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Hört endlich auf, uns Schrecken einzujagen!

Von Shulamit Aloni, Haaretz, 27.02.2006

Der Staat Israel ist der stärkste Staat der Region: militärisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell. Er erfreut sich weit reichender Unterstützung von Seiten der USA und der europäischen Länder. Er hat friedliche Beziehungen zu Ägypten und Jordanien. Wir könnten sogar ein Friedensabkommen mit dem Libanon und Syrien erreicht haben, wenn wir es gewollt hätten - aus dieser Richtung kommt also keinerlei Bedrohung.

Aber Benjamin Netanyahu droht uns: “sie wollen uns ins Meer treiben.” Wer? Die Palästinenser? Sagen wir mal, sie würden es wollen - könnten sie es denn? Netanyahu und seine Unterstützer auf dem rechten und auf dem extrem rechten Flügel wollen uns Angst einjagen, damit sie weiter palästinensisches Land wegfressen können, bis alles unser ist. Dies ist die Doktrin des rechten Flügels.

Aber noch beunruhigender sind - in Wort und Tat - unsere Generäle, die im aktiven Dienst und jene, die es einmal waren: Moshe Ya’alon und Shaul Mofaz. Sie ordnen eine Strategie der Macht und noch mehr Macht an - von heute bis in alle Ewigkeit. Sie warnen vor einer bedrohlichen Zukunft in Jordanien und Ägypten. Sie provozieren mit aggressiven Akten gegenüber dem Land der West Bank und machen mit dem Töten weiter, ruinieren und morden unschuldige Menschen (ohne dass diese “tickende Zeitbomben” wären). All dies, um sicher zu gehen, dass es genügend Aktion und Risiko gibt, damit der Armee ein größeres Budget gegeben wird, dass die Waffenindustrie gedeiht, der Handel zunimmt und wir weiter unsere Helden anbeten, die für unsere Sicherheit ihr Leben geopfert haben.

Jeder Einfaltspinsel weiß, dass es für Israel keine existenzielle Bedrohung gibt. Jeder vernünftige Mensch versteht, dass die übertriebenen Operationen des israelischen Militärs gegen die Palästinenser nur Hass, Zorn, Fanatismus und Rachegefühle wecken. Die Bemerkungen der Generäle, die nicht versehentlich herausrutschten, sondern absichtlich gemacht wurden, wollen weiterhin unsere Angst schüren und uns erlauben, mit dem Töten, Zerstören, Vertreiben, mit den Straßensperren und Apartheidstraßen fortzufahren. Neue Schläge werden ausgeteilt, angeregt durch die lebendige Phantasie unserer Generäle.

Als der letzte Generalstabschef - derjenige, der gegen den Rückzug aus dem Libanon und aus dem Gazastreifen war und der mehr Häuser zerstörte und alles, was ihm im Wege stand - sich auch der Gruppe derjenigen anschloss, die das Jüngste Gericht ankündigten und Angstgerüchte verbreiteten, erinnerte mich das an die Rede des US-Generals und Präsidenten Dwight Eisenhower. Bei seiner Abschiedsrede an sein Volk (1961) - nach 8 Jahren Präsidentschaft - warnte er vor zu engen Verbindungen zwischen der Armee und der riesigen Rüstungsindustrie. (In Israel ist diese Industrie, der Verkauf und Handel eng mit einander verbunden).

Der große Einfluss dieser Industrie auf alle Lebensbereiche kann zur überflüssigen und gefährlichen Anwendung unnötiger Gewalt führen. In seiner Rede konzentrierte sich Eisenhower auf die Notwendigkeit, Demokratie und Versöhnung zwischen den Völkern zu stärken, Kriege zu verhindern und die Prioritäten bei der Aufteilung von Arbeitsleistung und Produktion zu verändern. Militär und Rüstungsindustrie sind stark und einflussreich, sagte er, und deshalb muss dieser Einfluss gebremst werden. Man müsste sich um Frieden, Versöhnung, Freiheit und die Menschenrechte bemühen.

Wie recht er hatte, wurde den USA erst klar, als es zu spät war, als sie mitten im Sumpf des Vietnamkrieges steckten und den Kalten Krieg “kultivierten”. In Israel wurde das Militär bei der Errichtung des Staates zur Heiligen Kuh. Und heute sind die obersten Ränge der Armee sehr mächtig. Die IDF ist ein Eroberer mit sehr leichtem Finger am Abzug, jeder grüßt sie und jeder, der sie kritisiert, wird als schlechter Patriot bezeichnet. Diese Armee verachtet aber menschliches Leben und Besitz, macht sich über die anderen lustig und behandelt eine geschädigte Bevölkerung grausam. Es ist eine Armee, die - um “unserer Sicherheit” willen - jedes Dorf und jede Stadt in ein Gefängnislager verwandelte, obwohl sie gleichzeitig sehr wohl weiß, überfällt sie diese Orte, provoziert sie Reaktionen, die Israel teuer zu stehen kommen..

Was heute am meisten beunruhigt, ist die Vorsicht, mit der Leute aus der Friedensbewegung über Möglichkeiten der Versöhnung - selbst mit einer Hamasregierung - sprechen, damit sie nicht wegen fehlendem “Nationalismus” angeklagt werden. Beunruhigend ist auch die angenommene Tatsache, dass Israel das palästinensische Geld zurückhält mit der Forderung, sämtliche Abkommen einzuhalten. Dabei ist es Israel, das als erstes die Abkommen verletzt.

Die voreilige Kritik, die Suche nach kollektiven Strafen und die schnelle Abschiebung der Palästinenser auf die Seite der muslimischen Länder, sind genau so eine Torheit, die gefährlich werden könnte. Anscheinend werden “unsere weisen Männer” glücklich sein, wenn sich die muslimischen Länder noch einmal gegen uns wenden. Dann können wir uns noch einmal als das letzte Opfer der Welt sehen und dann - ein Hoch auf die Armee und unsere Kriegsausrüstung! Danach wird es wieder viele festliche Gedenktage geben.

Aber so muss es nicht sein. Es könnte ganz anders sein. Es ist möglich, dass wir versuchen, uns zu versöhnen und zu verstehen versuchen, dass die Palästinenser auch das Recht auf einen eigenen Staat haben. Es sollte uns klar werden, dass wir jetzt eine rassistische, kolonialistische und verachtenswerte Politik treiben, die wir (eigentlich) so nicht wollen. Allein wenn wir dies laut aussprechen, läuft es uns kalt den Rücken runter; denn wir dachten, wir Juden hätten humanitäre Werte und denken daran, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Wenn wir uns wirklich daran erinnern würden, mit unsern Aktionen aber gegen die Palästinenser so weiter machen wie bisher, werden wir schizophren.

Shulamit Aloni, früheres Knessetmitglied von Meretz und unter Rabin Bildungsministerin, Menschenrechtsaktivistin.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

06. März 2006

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