Lehren aus dem Irakkrieg? Fangen wir mit der Geschichte der Vereinigten Staaten anVon Howard Zinn - ZNet Kommentar 18.03.2006 Der dritte Jahrestag von Präsident Bushs Irakdebakel ist ein wichtiger Tag, um darüber nachzudenken, wie diese Administration so viele Leute narren konnte, den Krieg zu unterstützen. Meiner Meinung nach gibt es zwei Gründe - Gründe, die weit in unsere nationale Kultur zurückreichen. Der erste Grund ist die Abwesenheit jeglicher historischer Perspektive (in unserem Land). Der zweite ist die Unfähigkeit, über die eigenen nationalen Grenzen hinauszudenken.
Präsident Polk belog die Nation bezüglich der Gründe für den Krieg gegen Mexiko im Jahre 1846. Mexiko hatte kein "amerikanisches Blut auf amerikanischem Boden" vergossen. Vielmehr war es so, dass Polk und die Sklavenhalteraristokratie halb Mexiko wollten. 1898 log Präsident McKinley über die Gründe für die Invasion in Kuba. Er wolle die Kubaner von spanischer Kontrolle befreien, sagte er. In Wirklichkeit wollte McKinley die Spanier aus Kuba haben, um die Insel für United Fruit und andere amerikanische Konzerne zu öffnen. Präsident McKinley belog uns auch über die Gründe für den Krieg gegen die Philippinen. Wir wollen die Filipinos "zivilisieren", sagte er. Der wahre Grund war, wir wollten dieses wertvolle Stück Land im fernen Pazifik besitzen - selbst um den Preis, Hunderttausende Filipinos töten zu müssen. Präsident Wilson belog uns über den Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg - ein Krieg, der angeblich geführt wurde, um "die Welt sicher für die Demokratie zu machen". In Wahrheit ging es beim Ersten Weltkrieg darum, die Welt für den weiteren Aufstieg Amerikas zur Macht zu sichern. Präsident Truman log, als er sagte, die Atombombe wurde über Hiroshima abgeworfen, weil Hiroshima "militärisches Ziel" war. Was Vietnam angeht, haben alle gelogen - Präsident Kennedy in Hinblick auf die Dimension unserer Involviertheit (in diesen Krieg), Präsident Johnson über den Golf von Tonkin und Präsident Nixon über das heimliche Bombardement Kambodschas. Alle zusammen behaupteten sie, der Vietnamkrieg habe das Ziel, Südvietnam kommunismusfrei zu halten. In Wirklichkeit wollten sie Amerikas südvietnamesischen Außenposten am Saum des asiatischen Kontinents behalten. Präsident Reagan log über den Einmarsch in Grenada. Er sagte, die Insel sei eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten. Das stimmte nicht. Bush senior belog uns über die Panama-Invasion (bei der Tausende normaler Panamanesen starben). Bush log über die Gründe für den Angriff auf den Irak 1991. Dabei ging es wohl kaum um die Verteidigung der Integrität des Staates Kuwait. Es ging um die Sicherung der amerikanischen Macht über den ölreichen Mittleren Osten. Und da existiert noch eine größere Lüge: die arrogante Idee, Amerika sei das Zentrum des Universums, wir seien ein bewundernswertes, ein überlegenes und tugendreiches Land. Falls wir im Angesicht der Welt um uns herum von der Prämisse, der festen Überzeugung, ausgehen, die Vorsehung habe unsere Nation mit einzigartigen Tugenden ausgestattet - mit Tugenden, die Amerika jeder anderen Nation auf Erden moralisch überlegen machen -, werden wir den Präsidenten wohl kaum infrage stellen, wenn er davon spricht, Truppen an diesen oder jenen Ort zu entsenden, hier und dort bomben zu lassen, um irgendeinem (buchstäblich) gottverlassenen Ort Tugenden wie Freiheit oder Demokratie und natürlich ‘free enterprise’ zu bescheren. Stellen wir uns ein paar harten Fakten, die im Widerspruch stehen zu der Idee einer einzigartigen, einer tugendhaften Nation. Wir haben eine lange Geschichte der ‘ethnischen Säuberungen’, zu der wir stehen müssen. Amerikanische Regierungen haben Millionen Indianer von ihrem Land vertrieben. Das Mittel der Wahl waren Massaker und Zwangsumsiedlungen. Wir müssen uns unserer langen Geschichte der Sklaverei, des Rassismus und der Segregation stellen - Geschichte, die noch nicht zu Ende ist. Wir müssen uns der nach wie vor gegenwärtigen Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki stellen. Es ist keine Geschichte, auf die man stolz sein könnte. Für unsere Führer ist es ganz selbstverständlich: Wir haben aufgrund unserer moralischen Überlegenheit das Recht, die Welt zu dominieren. Vielen Menschen haben sie diesen Glauben schon eingepflanzt. Republikaner und Demokraten teilen diese Vorstellung. Worauf gründet die Vorstellung unserer moralischen Überlegenheit? Ein ehrlicher Blick auf uns, als Nation, könnte uns auf Kommendes vorbereiten - auf das nächste Lügen-Bombardement als Begleitmusik für den nächsten Vorschlag, einen neuen Teil der Erde unsere Macht spüren zu lassen. Vielleicht inspiriert uns der ehrliche Blick dazu, unsere Geschichte neu zu gestalten. Wir müssen unser Land den Lügnern entwinden, die es regieren. Sagen wir ‘nein’ zu nationalistischer Arroganz. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, uns mit Menschen auf der ganzen Welt zu verbünden. Unser gemeinsames Anliegen heißt Frieden und Gerechtigkeit.
Howard Zinn war im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot der amerikanischen Air Force. Berühmt wurde sein Buch ‘A People’s History of the United States (deutsch: ‘Eine Geschichte des Volkes der Vereinigten Staaten’ (Schwarzerfreitag)) sowie ‘Voices of a People’s History of the United States’ von Howard Zinn/Anthony Arnove
Quelle: ZNet Deutschland vom 20.03.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Lessons of Iraq War Start With US History
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