Hartnäckig in MinskVon Karl Grobe - Kommentar Die Revolution hatte einen Namen und ein Symbol: "Jeans-Revolution", dargestellt durch Streifen aus blauem Denim-Stoff an Bäumen und Masten. Nur - stattgefunden hat sie nicht. Vielleicht noch nicht. Alexander Lukaschenko, der seit gut einem Jahrzehnt Belarus mit den Methoden regiert, die er als Kolchos-Leiter gelernt hat, bleibt an der Macht. Das Farcenhafte an der Wahl, die Unterdrückung der oppositionellen Presse, die Verhaftungen von mehr als hundert Andersdenkenden hätte er kaum nötig gehabt; kennzeichnend für die Situation ist, dass der Protest dagegen begrenzt blieb und den Wechsel-Prozess nicht gezündet hat. Wesentliche Voraussetzungen zu einer Minsker Neuauflage der Revolution in Orange von Kiew oder der Rosenrevolution von Tiflis bestehen in Belarus nicht. Dort verband sich der Überdruss über eine herrschende Clique und ihre Lenkung durch Wirtschaftsoligarchen und Kleptokraten, über grassierende Korruption und zuletzt massive Wahlfälschung mit zwei wesentlichen Elementen: einer stark jugendgeprägten, intellektuell-mittelständischen Volksbewegung und einer Elite charismatischer Politiker mit begründbarem Machtanspruch. Nationalistische Ideologie - oder wenigstens Phraseologie - kam ebenso hinzu wie der Appeal der Westbindung, eine postsowjetische Abwandlung des "amerikanischen Traums". All das zusammen war mehrheitsfähig und wäre es auch gewesen, wenn es moralische, propagandistische und finanzielle West-Hilfe nicht gegeben hätte. Was aber nach den "bunten Revolutionen" folgte, ähnlich in Kirgisien, war letztlich ein Austausch der Eliten ähnlicher Herkunft und sozialer Zugehörigkeit. Die außenpolitische Orientierung wechselte, und zwar so weit weg von Russland, wie die Umstände erlaubten. Gesellschaftliches Bewusstsein und zivilgesellschaftliches Engagement wuchsen, aber nicht so sehr, dass die Gesellschaft selbst transformiert wurde. Daher sind Rückwendungen möglich; dies steht am Sonntag in der Ukraine zur Wahl. In Belarus sind solche Elemente des demokratischen Wechsels erst im Keim vorhanden und gegenwärtig auf (noch) relativ kleine Segmente der großstädtischen Bevölkerung beschränkt. Auch unter aufgeklärten, kritischen Geistern ist die abwägende Sorge noch präsent, ein Wechsel zöge Destabilisierung nach sich. Der stärkste Kandidat der endlich fast geeinten Opposition, Alexander Milinkiewitsch, hat nicht das populistische Charisma des nun einmal vorhandenen Autokraten; er hat an Statur gewonnen, aber es hätte selbst dann nicht gereicht, wenn ihm nicht - wie seine Anhänger und viele unabhängige Beobachter meinen - am vergangenen Sonntag vier Fünftel seiner Stimmen gestohlen worden wären. Belarus ist noch postsowjetisch geprägt; die Ökonomie ist überwiegend in Staatshand, hat eben deswegen keine Bande kleptokratischer Oligarchen und Privatisierungsgewinnler hervorgebracht und erzielt annehmbare Ergebnisse. Zum Postsowjetischen gehört die - unter Lukaschenko wieder verstärkte - Präsenz des Russischen als Sprache und zu einem guten Teil als Identifikationsfaktor vor allem in den Städten. Das ist der Geschichte geschuldet. Die Bildungsschichten, die Nationales hätten aus sich heraus entwickeln können, sind von der stalinistischen Diktatur unterdrückt und russifiziert worden. Das prägende jüdische Element haben die nationalsozialistischen Besatzer ausgelöscht. Der Widerstand gegen die Besatzung war in diesem Land der Partisanen sowjetpatriotisch geformt. Das alles wirkt nach. Was Belarus von anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion unterscheidet, liegt also auf der Hand. Damit ist jedoch ein demokratischer Prozess nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Kundgebungen auf dem Minsker Oktoberplatz, so klein sie sich auch im Vergleich zum Kiewer Maidan ausnehmen, sind ein Ansatz. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt hat das Regime der Opposition das Recht auf Demonstration nicht vorbeugend streitig gemacht, obwohl es Einschüchterung mit Fleiß betreibt. Es kommt nun darauf an, das Recht und die Freiheit nach der Demonstration durchzusetzen. Hier muss das Engagement der demokratischen Kräfte einsetzen - auch jenseits der belarussischen Grenze. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 22.03.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|