Frau Merkel kann einen Iran-Krieg verhindernIm Gespräch: Der Politikwissenschaftler, Nah- und Mittelost-Experte Mohssen Massarrat über Zugeständnisse in Teheran, die rote Linie und den Charme eines russischen KompromissesFREITAG: Sind letzte Chancen auf einen Kompromiss im Atomstreit mit dem Iran verspielt, seit die USA den jüngsten russischen Vorschlag abgelehnt haben? MOHSSEN MASSARRAT: Das glaube ich nicht, denn dieser Vorschlag wurde vom Iran als - im Prinzip - akzeptabel betrachtet. Eine Position, die nach langen kontroversen Debatten zwischen beiden Fraktionen in Teheran zustande kam. Zwischen wem genau? Zwischen den konservativen Hardlinern um den Präsidenten Ahmadinedschad und den Reformern um Rafsanjani und Ex-Präsident Khatami, die daran interessiert sind, einen Krieg zu vermeiden. Wenn es bei diesem Konsens bleibt, sollte man davon ausgehen, dass der russische Vorschlag erneut zur Debatte stehen kann. Die Amerikaner müssten dann begreifen, dass ihre Option, einen Luftkrieg gegen den Iran führen zu wollen, letztlich ohne politische Basis ist. Mit anderen Worten: Wird den Amerikanern klar gemacht, dass die Europäer keinerlei militärische Lösung unterstützen, hat der russische Vorschlag weiter eine reelle Chance. Wenn der Iran das russische Angebot akzeptiert, verzichtet man dann nicht letzten Endes auf seine bisherige Position, auf keinen Fall einer Urananreicherung auf fremdem Territorium zuzustimmen? Davon gehe ich ziemlich dezidiert - um nicht zu sagen hundertprozentig - aus. Die jüngste Rede von Hassan Rohani - einst Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates und während der Präsidentschaft Khatamis Verhandlungsführer gegenüber den EU-3, also Deutschland, Großbritannien und Frankreich - enthielt zwischen den Zeilen das Eingeständnis: Die bisherige Doppelstrategie, die darauf zielte, sich irgendwann auch in militärischer Hinsicht als Nuklearmacht zu platzieren, ist gescheitert. Ich glaube, auch die Hardliner in Teheran können sich dieser Einsicht nicht länger verschließen. Die Devise lautet: Abwarten. Das heißt, man will einen Krieg vermeiden und hat sich darauf eingestellt, diese Doppelstrategie aufzuschieben, für die es unverzichtbar war, den gesamten Brennstoffkreislauf auf iranischem Gebiet zu haben - sowohl für die friedliche Nutzung der Kernenergie wie auch für die Option, Atomwaffen bauen zu können. Das heißt, im Unterschied zu bisherigen Beteuerungen wird damit indirekt zugegeben, dass man eben doch an eine militärische Nutzung der Kernenergie dachte … Wenn man zwischen den Zeilen der Rede von Rohani liest, wird genau das eingestanden. Nun heißt es: Wir müssen eine bessere Gelegenheit abwarten. Das läuft auf Gesichtsverlust hinaus. Nicht unbedingt, der russische Vorschlag besitzt den Charme, genau das zu verhindern. Er sieht vor, dass ein beschränktes Kontingent iranischer Wissenschaftler an einer Art Joint Venture für Uran-Anreicherung in Russland beteiligt wird. Zugleich soll dem Iran - im Rahmen der Forschung - erlaubt werden, Uran in einem geringen und kontrollierten Umfang anzureichern. Das ist die Brücke, die von den Russen gebaut wurde, damit sich die Iraner und die internationale Gemeinschaft darauf treffen können. Warum hat sich die EU nicht energischer für den russischen Kompromiss engagiert? Aus meiner Sicht ist deren Haltung inzwischen das Hauptproblem für eine Lösung geworden, auch wenn versucht wird, in der Öffentlichkeit den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Am 7. März war der russische Außenminister Lawrow in Washington und hatte mit Zustimmung der Iraner und nach vorsichtig positiven Signalen von Angela Merkel wie auch IAEO-Generaldirektor Al Baradei versucht, den Amerikanern die russische Variante schmackhaft zu machen, stieß aber auf resolute Ablehnung. Noch am gleichen Tag hat Lawrow für alle einigermaßen verblüffend diesen Vorschlag als nicht mehr existent bezeichnet. Danach waren sich die EU-Außenminister - und das war in der Tat unverschämt - für die Erklärung nicht zu schade: Iran sei am Scheitern der russischen Vermittlung schuld. Das ist für mich das eigentlich Katastrophale, dass die EU in keiner Weise zum selbstständigen Handeln in der Lage ist. Eigentlich hätte doch die EU selbst einen ähnlichen Vorschlag unterbreiten müssen, wie er stattdessen von Russland kam, und sie hätte die US-Führung von diesem Vorschlag überzeugen müssen. Weshalb hat die EU darauf verzichtet? Weil sie konzeptionslos handelt und ihr außenpolitisch jede Identität fehlt. Die EU-Diplomatie ist im Mittleren und Nahen Osten auf der ganzen Linie gescheitert - entweder gibt man israelischen oder amerikanischen Forderungen, genauer den neokonservativen und damit den absoluten Hardlinern in der Weltpolitik, voll und ganz nach. Da kann ich nur sagen: Oh, du armseliges Europa! Dieser Staatenbund legt ein Verhalten an den Tag, das seiner moralischen und wirtschaftlichen Stärke nicht angemessen ist. Er ist offenbar unfähig, sein Potenzial im Sinne eines außen- und friedenspolitisch wirksamen Konzepts einzubringen. Wäre es nicht denkbar, dass die Europäer bei diesem Konflikt homogener auftreten wollen als vor dem Irak-Krieg? Das mag sein, doch es wäre kontraproduktiv, weil eine solche Homogenität nur der amerikanischen Seite hilft. Die USA bestehen darauf, die Drohkulisse gegen Teheran aufrechtzuerhalten, weil sie die Option für einen Krieg nicht aufgeben wollen. Gerade das erschwert es der iranischen Seite, einem Kompromiss zuzustimmen. Bush, Cheney und Rumsfeld nutzen die auch von Angela Merkel immer wieder betonte Einstimmigkeit auf der westlichen Seite dazu, um Iran mit ihrer harten Forderung nach einem vollständigen Verzicht auf jede Urananreicherung zu konfrontieren, die unweigerlich in den Krieg führt. Nun deutet allerdings einiges darauf hin, dass im Sicherheitsrat Russland und China den USA nicht bedingungslos folgen. Rechnen Sie damit, dass die Amerikaner eine Anti-Iran-Koalition jenseits der UNO bilden? Das ist durchaus denkbar, wenn die EU-3 ihre jetzige Position nicht korrigieren und so den Amerikanern moralisch den Rücken freihalten, damit sie weiter die Legende pflegen können, allein die aggressive Haltung Teherans sei schuld, wenn eine friedliche Lösung misslinge. Ändert sich daran nichts, schließe ich nicht aus, dass die USA schon bald, zusammen mit Israel und Großbritannien, eine Allianz bilden, um jenseits der UNO zu handeln und zum Militärschlag auszuholen. Sie sagen, dafür seien aus Sicht der USA die strategischen Bedingungen nie günstiger gewesen, die Amerikaner haben alles, was sie für Luftangriffe brauchen, rings um den Iran disloziert. Man könnte entgegnen, die Bedingungen waren auch selten ungünstiger. Irak liegt Washington zu sehr im Magen, das Risiko Iran ist zu hoch. Rational gesehen haben Sie völlig Recht. Das sagen auch US-Militärexperten. Aber wir müssen davon ausgehen, dass die Neokonservativen schon im Fall Irak nicht rational gehandelt haben, sondern missionarisch und hegemonial. Denken Sie bitte daran, Präsident Bush möchte das, was er als seinen göttlichen Auftrag ausgibt, in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit vollenden. Er steht unter dem Druck seiner eigenen Wünsche und der Interessen diverser Fraktion um sich herum. Deshalb gehe ich davon aus, hier spielen letztlich völlig irrationale Entscheidungskriterien eine Rolle. Sind die Amerikaner nicht auch Getriebene der Israelis, die etwas gegen den Iran unternehmen wollen? Israels Wunsch, als Atommacht keine Konkurrenz im Mittleren und Nahen Osten zu dulden, deckt sich mit der US-Hegemonialpolitik. Eine iranische Koalition mit der Hisbollah im Libanon, mit der Hamas in Palästina und radikalen Schiiten im Irak als Antwort auf Israels Drohung könnte den Ausschlag geben für einen - wie es dann sicher begründet würde - präventiven und flächendeckenden Militärschlag. Wann ist keine Deeskalation mehr möglich? Die rote Linie könnte mit harten Sanktionsmaßnahmen erreicht sein, die als Vorstufe eines Militärschlages zu verstehen wären, sollte der Sicherheitsrat einen solchen Beschluss fassen - was ich für eher unwahrscheinlich halte. Lassen Sie mich das an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen, hier hat die EU immer noch die Chance zu verhindern, dass die rote Linie überschritten wird - hier hat Deutschland eine Schlüsselrolle inne. Ich bin davon überzeugt, dass ein klares Nein der Bundesregierung zu einem Krieg - und zwar jetzt und nicht erst dann, wenn die rote Linie erreicht wird - die Absichten der USA durchkreuzen kann, weil die Neokonservativen in Washington auf diesen außenpolitischen Rückhalt angewiesen sind. Innenpolitisch fehlt er ihnen, weil nur noch 30 Prozent der Amerikaner ihren Kurs unterstützen. Insofern hat Frau Merkel eine historische Chance, einen möglichen Krieg zu verhindern. Diesen Gefallen wird sie Ihnen mit Verweis auf die Historie kaum tun. Ein solches Nein würde als ein unfreundlicher Akt gegenüber Israel gedeutet und die deutsche Regierung unter einen enormen Druck setzen. Das ist sicher richtig, nur handelt es sich um psychologische Fesseln, die sich die EU und Deutschland - bewusst oder unbemerkt - angelegt haben. Aber wenn aus der Zivilgesellschaft, aus den Parteien - der SPD, den Grünen und der Linkspartei - ein entsprechender Druck entsteht, der in der Gesellschaft spürbar wird, dann sind diese Fesseln zu durchbrechen. Ihre Absurdität sollte vor Augen geführt werden, indem man sich fragt: Was bedeuten sie eigentlich? Man unterwirft sich dem Diktat Israels und der Hardliner in den USA. Das muss in der Gesellschaft neu diskutiert und offen gelegt werden, damit es allen klar wird, dass Deutschland und Europa so aus dieser Sackgasse nicht herauskommen, und was für sie im Mittleren Osten auf dem Spiel steht.
Das Gespräch führte Lutz Herden
Quelle: FREITAG . Die Ost-West-Wochenzeitung 12 vom 24.03.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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