Entschlossene GeschlossenheitKommentar: Merkel, Bush und der IranVon Mohssen Massarrat Die beiden Kernsätze nach der Merkel-Visite jüngst bei George Bush lauteten: Es soll eine friedliche Lösung geben, und die wolle man gemeinsam finden. Im Umkehrschluss: Kein Krieg und keine Alleingänge der Amerikaner. So vielversprechend das klingen mag - beide Essentials sind nicht deckungsgleich, wenn die deutsche Kanzlerin zugleich von der "entschlossenen Geschlossenheit" spricht, die der Westen gegenüber Teheran zeigen müsse. Das bedeutet letztlich, stets auf Schulterschluss mit der US-Position bedacht zu sein, um diese "Geschlossenheit" nicht zu gefährden. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Sollte die Eskalation mit abgestuften Sanktionen gegen Teheran so systematisch wie bisher fortgeführt werden und der Iran ungeachtet dessen einen Totalverzicht auf sein Atomprogramm verweigern, dürfte Merkel am Ende nichts anderes übrig bleiben als gegen den Iran einen US-Gewalteinsatz - mit oder ohne UN-Resolution - hinzunehmen. Merkels "entschlossene Geschlossenheit" lässt eben keine andere Option zu. Ob mit Zähneknirschen oder nicht - das wird für die Dynamik, die von einem bestimmten Punkt an entsteht, ohne Belang sein. Deutschland wäre dann für einen Krieg mitverantwortlich, der auf jeden Fall für Iran und für die gesamte Region, aber auch für Europa verheerend sein dürfte. Gleichzeitig ist die Ablehnungsfront gegen eine Militärintervention in den vergangenen Wochen gewachsen. Russland und China haben offenbar aus Fehlern der Vergangenheit gelernt, als sie im Vorfeld des Kosovo- wie des Irak-Krieges scheinbar "weichen" UN-Resolutionen zustimmten, die trotz aller diplomatischen Formulierungen eine Verbindung zu Kapitel VII der UN-Charta und damit zu einer militärischen Option herstellten. Zugleich fällt auf, dass der Brief des iranischen Präsidenten an George Bush nicht ohne Wirkung bleibt. Mahmud Ahmadinedschad hat mit seinem Vorstoß zunächst einmal - zumindest nach außen hin - den Wunsch vieler Iraner respektiert, Gesprächsbereitschaft zu demonstrieren. Er hat dieses Schreiben genutzt, um an die lange Geschichte konfliktreicher Beziehungen zwischen den USA und der islamischen Welt zu erinnern, und stößt damit im Mittleren und Nahen Osten auf viel Sympathie. Und er ist nicht zuletzt vielen Politikern in der Welt entgegen gekommen, die einen Ausweg in direkten Gesprächen zwischen Teheran und Washington sehen. Mit anderen Worten: In einem höchst brisanten Augenblick, in dem die US-Administration auf mehr Widerstand stößt, als sie möglicherweise annahm, hat Ahmadinedschad für kurze Zeit die Initiative übernommen. Zwangsläufig stärkt das die Position Russlands und Chinas. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Ahmadinedschad in seinem 18-seitigen Brief mit Blick auf das iranische Atomprogramm vom Recht jedes Landes zur wissenschaftlichen Forschung spricht und damit erstmals indirekt dem russischen Vorschlag zustimmt, der bekanntlich besagt: Urananreicherung im Iran nur zu Forschungszwecken und unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO. Das ist der Kern dessen, was Russlands Außenminister Lawrow im März den Amerikanern als Kompromiss angeboten hatte, um ein herablassendes Lächeln zu ernten. Insofern kommt es letzten Endes nicht darauf an, ob Amerikaner und Iraner direkt oder indirekt miteinander verhandeln. Wenn die US-Seite auch künftig nicht anderes vorzuweisen hat als Unnachgiebigkeit und die stereotype Formel "völliger Verzicht auf jede Anreicherung von Uran", wird Teheran klar nein sagen. Man muss über keine prophetischen Gaben verfügen, um das vorherzusagen. Deshalb wollen ja die Vereinigten Staaten auf jeden Fall eine neue UN-Resolution, die in der Aussage klar ist und ihnen mehr Handlungsspielraum verschafft als die bisherigen Beschlüsse des Sicherheitsrates in Sachen Iran. Sie bestehen auf dem Bezug zu Kapitel VII der Charta und damit auf der Option Militärschlag. Die Annahme, mit Zusicherungen der USA in Form einer Protokollnotiz - wie von Außenminister Steinmeier vorgeschlagen - einen Automatismus für den Gewalteinsatz verhindern zu wollen, ist Selbstbetrug. Bisher jedenfalls hat der amerikanische UN-Botschafter Bolton wissen lassen, er halte nichts von derartigen Zusicherungen. Folglich werden auch Russen und Chinesen bei ihrer Ablehnung einer Kapitel-VII-Resolution bleiben. Auf mittlere Sicht könnte es daher keine neue Iran-Entschließung der Vereinten Nationen geben. Sollte es der US-Regierung trotzdem gelingen, das Bedrohungsszenario gegen den Iran weiter zuzuspitzen, dürfte die Gefahr eines Krieges zunehmen. Doch auch die Ablehnungsfront dürfte an Zulauf gewinnen. Und die daraus hervorgehende Isolation der US-Führung wäre nötig, um statt Krieg einem Kompromiss, zum Beispiel dem russischen Vorschlag, zuzustimmen.
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 20 vom 19.05.2006.
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