Der Bürgerkrieg hat viele VäterDer sunnitische Terror in Irak speist sich aus vielen Quellen. Dass er mit der Tötung des Extremisten Abu Mussab al-Sarkawi zum Erliegen kommt, ist daher kaum anzunehmen.Von Karl Grobe - Analyse "Wenn ein anderer Al-Sarkawi auftauchen sollte, dann werden wir auch ihn bekämpfen bis zum Tode." Das sagte der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki am Donnerstag nach der Bekanntgabe des tödlichen Luftangriffs auf den jordanischen Top-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi. Der Satz enthält die große Genugtuung über einen bedeutenden Erfolg. Besorgnis enthält er auch; und er passt zur Legendenbildung, deren Al-Sarkawi sich ebenso befleißigt hat wie die mindestens formal Regierenden in Bagdad. Die politische Krise und der Bürgerkrieg zwischen den extremistischen Gruppen der beiden großen Konfessionen sind nicht von Einzelpersonen erzeugt worden, auch nicht durch solche Tonbandbotschaften wie jener letzten, die Al-Sarkawi zugeschrieben wird. Die Botschaft, die vor einer Woche bekannt wurde, ruft zum Kampf gegen den bedeutendsten schiitischen Kleriker, Ali al-Sistani, auf und erklärt alle Bemühungen um nationale Einheit zur "vergifteten Waffe der Ungläubigen". Klar ist der Versuch des Sprechers, dessen Stimme die Al-Sarkawis sein könnte, sich zum Sprecher aller Sunniten zu machen und Anschluss an den Untergrund-Widerstand der Baath-Partei zu finden. Ein Flügel dieser Partei hat in einem vor einer Woche verfassten Manifest einen ähnlichen Ton angeschlagen. Darin wird eine imperialistische Koalition des "US-Kolonialismus im Bund mit dem Zionismus und den Ländern der Region, insbesondere Iran" beschworen, die die wichtigste Errungenschaft der irakischen Nation zerstören wolle: die Nationalisierung der Ölquellen seit 1972. Der kaum nachvollziehbare Verweis auf den angeblichen US-Bündnispartner in Iran zielt indirekt auf die schiitische Führung; der Tenor ist aber nationalistisch und nicht religiös-sektiererisch. Auch die nun in der Regierung vertretenen sunnitischen Politiker gelten den Baathisten als Verräter. Es ist klar, an wen sich die Botschaft richtet. Es handelt sich um jene Kräfte, die zu Beginn der Besatzungsverwaltung pauschal in Acht und Bann getan wurden, weil sie Sunniten, Funktionäre und Soldaten des alten Regimes waren. Dass Armee und Verwaltung undifferenziert aufgelöst und die Betroffenen damit von jeglicher Einkommensquelle getrennt wurden, hat dem saddamistischen Widerstand Kräfte aus der arabisch-sunnitischen Minderheit zugeführt. Auf der schiitischen Seite, unter der Mehrheit der Bevölkerung, haben sich sehr früh Milizen ("Vigilanten") gebildet, von denen manche an den älteren kommunistischen Widerstand gegen das Baath-Regime angeknüpft haben. Sie jagten den jahrzehntelang starken kommunistischen Organisationen bald die Massenbasis ab. Das städtische Proletariat war überwiegend schiitisch, ohne es mit der Religion sonderlich genau genommen zu haben; es stammte aus dem Süden Iraks, hatte die landwirtschaftliche Existenzgrundlage verloren und unter der Despotie jener sunnitischen Scheichs gelitten, auf die Saddam zuletzt seine Herrschaft stützte, die die Mehrheit der Sunniten gleichwohl ebenso unterdrückte wie die Mehrheit der Schiiten. Der Kollaps der Staatsmacht hinterließ eine atomisierte Gesellschaft, in der sektiererische Slogans Widerhall fanden. Al-Malikis am Donnerstag endlich vervollständigte Regierung ruft nun zu nationaler Versöhnung und zur Überwindung der religiösen Sektiererei auf. Das kann gelingen, wenn sie rasch materielle Erfolge vorzuweisen hat. Sie ist aber aus einem Oberschicht-Konsens hervorgegangen, der wiederum auf religiösem, sektiererischen Proporz beruht. Mit der Ausschaltung Al-Sarkawis hat die irakische Regierung einen Erfolg vorzuweisen, der den USA zu verdanken ist; die haben den Schlag geführt. Solange aber die ethno-religiöse Spaltung der Gesellschaft andauert, ist dadurch nicht viel gewonnen. Vielleicht ist nicht mehr besiegt worden als ein Phantom.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 09.06.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.
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