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Osttimor - und der Staatsstreich, den die Welt nicht zur Kenntnis nahm

Von John Pilger - ZNet Kommentar 23.06.2006

1994 entstand mein Film ‘Death of a Nation’. Eine Szene darin zeigt eine Party an Bord eines Flugzeugs zwischen Nordaustralien und der Insel Timor. Zwei Männer in Anzügen prosten einander mit Champagner zu: "Ein historisch einzigartiger Moment", sagt Gareth Evans, der damalige australische Außenminister, "wirklich einzigartig historisch". Sein indonesisches Gegenüber ist Ali Alatas. Die beiden feiern den ‘Timor-Gap-Vertrag’, der es Australien künftig erlauben würde, die Öl- und Erdgasvorkommen auf dem Meeresboden vor Osttimor auszubeuten. "Zillionen" Dollar werde das Ganze ultimativ einbringen, so Evans.

Diese Mauschelei, schreibt Prof. Roger Clark, eine Weltkapazität auf dem Gebiet des Seerechts, sei, "wie wenn ich etwas von einem Dieb kaufe… Tatsache ist, dass sie kein Anrecht auf Osttimor und seine Ressourcen haben, weder historisch, noch rechtlich, noch moralisch." Zu Füßen der Beiden im Flugzeug lag eine kleine Nation, die unter einer der brutalsten Besatzungen des 20. Jahrhunderts zu leiden hatte. Provozierte Morde und provozierter Hunger hatten ein Viertel der Bevölkerung Osttimors dahingerafft: 180.000 Menschen. Proportional war Kambodscha unter Pol Pot dagegen das kleinere Gemetzel. Wie die UN-Wahrheitsfindungskommission im Januar 2006, nach Sichtung von mehr als 1.000 offiziellen Dokumenten, konstatierte, tragen westliche Regierungen eine Mitschuld an dem Genozid. Australien hat die indonesische Gestapo trainiert - die so genannte ‘Kopassus’. Führende australische Politiker und Journalisten machten Diktator Suharto Avancen, einem Mann, den die CIA als Massenmörder bezeichnete.

Heute stellt sich Australien gern als großzügiger, hilfsbereiter Nachbar Osttimors dar - seit die Regierung Howard sich, nach öffentlichem Druck, gezwungen sah, die UN-Friedenstruppen nach Osttimor anzuführen. Das war vor sechs Jahren. Heute ist Osttimor ein unabhängiges Land. Seine Unabhängigkeit hat es der Tapferkeit des osttimoresischen Volkes und dem langen Atem des timoresischen Widerstands, unter Führung der Befreiungsbewegung Fretilin, zu verdanken. 2001 - bei den ersten demokratischen Wahlen im Land - stürmte die Fretilin an die (politische) Macht. Bei den Regionalwahlen 2005 konnte sie unter Premierminister Mari Alkatiri, einem überzeugten "Nationalökonomen", 80 Prozent der Stimmen erzielen. Alkariri ist gegen Privatisierungen und gegen eine Einmischung der Weltbank. Alkatiri ist ein säkularer Muslim in einem überwiegend katholischen Land. Vor allem aber ist er ein Antiimperialist, der sich gegen die schikanösen Forderungen der Regierung Howard nach einem (ungerechtfertigtem) Anteil an den Öl- und Gasvorkommen der Timor Gap zur Wehr gesetzt hat.

Am 28. April meuterten weite Teile der osttimoresischen Armee. Offensichtlich ging es um mehr Sold. Laut einer Augenzeugin, der australischen Radioreporterin Maryann Keady, sollen australische und amerikanische Offizielle in die Sache verwickelt sein. Am 7. Mai hat Premierminister Alkatiri die Unruhen als Staatsstreichsversuch bezeichnet: "Ausländer und Außenstehende" hätten versucht, die Nation zu spalten. In einem durchgesickerten Dokument der australischen Streitkräfte (Defence Force) steht, Australiens "vorrangigstes Ziel" in Osttimor sei es, sich "Zugang zu verschaffen" (to seek access), damit das australische Militär "Einfluss auf die osttimoresischen Entscheidungsprozesse" nehmen kann. Nicht einer der Bushitischen Neocons könnte es besser formulieren.

Eine Gelegenheit, "Einfluss" zu nehmen, bot sich auch am 31. Mai. Die Regierung Howard hatte vom osttimoresischen Präsidenten Xanana Gusmao und Außenminister José Horta (beide stehen gegen Alkatiris Nationalismus) die "Einladung" erhalten, australische Truppen in die osttimoresische Hauptstadt Dili zu entsenden - zur Begleitmusik von "Our-boys-to-the-rescue"-Berichten der australischen Presse und einer Schmierenkampagne gegen Alkatiri ("korrupter Diktator"). Am 31. Mai wurde die Einladung angenommen. Paul Kelly, Ex-Chefredakteur von Rupert Murdochs ‘Australian’, schrieb: "Hier handelt es sich um eine hochpolitische Intervention… Australien handelt als Regionalmacht bzw. als politischer Hegemon, der die Sicherheit und die politischen Ergebnisse gestaltet". Übersetzt heißt das: Australien gebührt (ganz wie dem Mentor in Washington) das gottgegebene Recht, in die Regierung anderer Länder einzugreifen. Don Watson - Redenschreiber des berüchtigtsten aller Suharto-Rechtfertiger, Ex-Premierminister Paul Keating -, schreibt: "Es mag besser sein, unter einer mörderischen Besatzung zu leben, als in einem ‘failed state’…". Einfach unglaublich.

Mit einer 2000-köpfigen Streitmacht in Osttimor angelandet, ließ sich ein australischer Brigadegeneral schnurstracks mit dem Helikopter ins Hauptquartier des Rebellenführers Major Alfredo Reinado fliegen - nicht etwa, um diesen wegen seines Staatsstreichsversuchs gegen den demokratisch gewählten Premier zu verhaften, sondern um ihn warm zu begrüßen. Wie viele der Rebellierenden war auch Major Reinado im australischen Canberra ausgebildet worden. Von John Howard heißt es, er möge den Titel ‘George W. Bushs "Deputy Sheriff" im Südpazifik’ ganz gern. Kürzlich entsandte Howard Truppen auf die Solomon Inseln, wo es zu einer Rebellion gekommen war. Imperiale Chancen winken ihm auch auf Papua Neuguinea, auf Vanuatu und anderen kleinen Inselstaaten. Dem obersten Sheriff wird’s recht sein.

Quelle: ZNet Deutschland vom 24.06.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: "East Timor: The Coup The World Missed"

Veröffentlicht am

25. Juni 2006

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