Militärverweigerung in den USA - ein kurzer geschichtlicher AbrissDie Unterstützung der Friedensbewegung für ResistersVon Zoltan Grossman - ZNet 06.07.2006 Olympia, Washington. Heute ist der Nationale Aktionstag für Leutnant Ehren Watada, der sich weigert, im illegalen Krieg im Irak mitzukämpfen. In Fort Lewis (Washington) verweigern 1st Lt. Ehren Watada, Sgt. Kevin Benderman und Spc. Suzanne Swift öffentlich ihre Abkommandierung in den Irak. Es ist das neueste Kapitel in einer langen und noblen Geschichte des Widerstands innerhalb der US-Streitkräfte. Um diese Geschichte zu begreifen und wohin sie führen könnte, ist es hilfreich zu sehen, dass Verweigerung sehr unterschiedliche Formen annehmen kann - je nach Rang, Klassenzugehörigkeit und ethnischer Herkunft. Und es ist wichtig zu begreifen, wie schwer es Verweigerern fällt, ihren patriotischen Standpunkt klarzumachen, solange sie auf sich allein gestellt sind, ohne die Unterstützung der Friedensbewegung als solcher. In der gesamten US-Geschichte gibt es Berichte über Soldaten, die gegen eine Auslandsintervention protestierten - man denke an die Interventionen in Mexiko in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts oder Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Philippinen. Selbst im Zweiten Weltkrieg wurde rebelliert - Afroamerikaner rebellierten gegen einen armeeinternen Rassismus, der die Streitkräfte erschütterte, bis schließlich die Aufhebung der Rassentrennung in den Einheiten erzwungen war. Als der Krieg 1945 zu Ende war, forderten Soldaten und Seeleute die Demobilisierung und Rückfahrkarten in die Heimat. Es war eine große, erfolgreiche Bewegung - die Ende des Jahrzehnts möglicherweise sogar eine Intervention gegen die Chinesische Revolution verhindert hat. Den Koreakrieg in den 50er Jahren vermochte sie allerdings nicht zu verhindern. Während des Vietnamkriegs kam es innerhalb der Streitkräfte zu Massenwiderstand - auf Basen und Schiffen in Südostasien, im Pazifik, in den USA und Europa. Dieser militärinterne Widerstand leistete einen Beitrag zur Beendigung des Vietnamkriegs - zumal er das Militär politisch unberechenbar machte. David Cortrights Buch ‘Soldiers in Revolt’ und der aktuelle Film “Sir! No Sir!” sind Beleg für diesen geschichtlichen Hintergrund. In jener Zeit standen Soldaten und Soldatinnen massiv unter dem Einfluss der Antikriegsbewegung und der afroamerikanischen Befreiungsbewegung in ihrer Heimat und unter dem Eindruck persönlicher Begegnungen mit vietnamesischen Zivilisten. Doch der Widerstand brauchte Jahre, um sich zu entwickeln - nachdem die ersten US-Soldaten bereits 1960 nach Vietnam verlegt worden waren. Erst, als die Tet-Offensive zeigte, dieser Krieg ist nicht zu gewinnen, sprang der Funke über. Militärangehörige sämtlicher Waffengattungen beteiligten sich an explizit politischen Aktionen - unterzeichneten Antikriegspetitionen, trugen Buttons und Aufnäher, verweigerten illegale Befehle, drückten sich um Kampfeinsätze, versorgten die Friedensbewegung mit Informationen, streikten, machten bei Sit-Ins und Aufständen mit oder verübten Sabotageakte gegen Ausrüstungsgegenstände. Beleg für den Zusammenbruch der Disziplin waren Drogenmissbrauch, Rassenkonflikte, Deserteure und AWOLs (unerlaubte Entfernung von der Truppe) sowie der hohe interne Organisierungsgrad. Die Wurzeln des Aufbegehrens waren der Rassismus in der Heimat und der Militarismus am überseeischen Einsatzort und zwar zu gleichen Teilen. 1972 waren drei Flugzeugträger im Westpazifik (vor der Küste Vietnams) gleichzeitig einsatzunfähig. An Bord des einen war es zu einem Aufstand der afroamerikanischen Besatzung gekommen, die beiden anderen wurden durch interne Sabotageakte lahmgelegt. Ende desselben Jahres wollten die USA nordvietnamesische Häfen verminen - was dadurch behindert wurde, dass Mitarbeiter des Marinemagazins der Subic Bay Naval Base auf den Philippinnen etliche der Schiffsminen unscharf gemacht hatten. Viele GIs verweigerten ihre Verlegung nach Vietnam, darunter 6 aus Fort Lewis. Das war 1970. Die “Fort Lewis Six” wurden im Gefängnis verprügelt und zu Haftstrafen zwischen ein und zwei Jahren verurteilt. Dies führte auf lokaler Ebene zu einer Welle der Solidarität mit protestierenden GIs (in einem Fall war diese Solidarität sogar wechselseitig: Indianische Soldaten organisierten Unterstützung und Schutz für Treaty-rights-Aktivisten, die sich auf Flüssen neben der Armeebasis aufhielten). Einige GIs bekannten sich öffentlich zu ihrer Verweigerung oder beantragten den Status eines Gewissensverweigerers, eines Conscientious Objectors (CO). Meist aber lief die Verweigerung eher im Stillen ab und kollektiv. Man betrieb Verzögerungstaktik und sabotierte die eigene Mission, wodurch die Kriegsmaschinerie entschleunigt wurde (wie man sowas macht, weiß jeder, der schon mal einen miesen Job hatte). So feierten einige GIs in Vietnam eine kleine Party, falls man sie auf Patrouille ausschickte, und wenn sie zur Basis zurückkehrten, erzählten sie fantasievolle Geschichten über Scharmützel mit Rebellen. Aber die Zeit des Vietnamkriegs und der allgemeinen Wehrpflicht war nicht der Initialfunke des militärinternen Widerstands, das wäre zu einfach. David Cortright belegt, unter Kriegsfreiwilligen mit eher Arbeiter-Hintergrund und Freiwilligen, die aus patriotischen Gründen zum Militär gingen und sich einfach mehr versprochen hatten, war der Ungehorsam am größten - größer als unter den Wehrpflichtigen. Zudem hatte die Einrichtung eines ‘Selective Service’ (nicht jeder Wehrpflichtige wird eingezogen) wenig mit Chancengleichheit zu tun. Weiße Jugendliche und Jugendliche aus der Mittelschicht waren sozial im Vorteil, wenn es darum ging, nicht eingezogen zu werden. Nach Vietnam galt das Gleiche übrigens für die so genannte “poverty draft”, die Rekrutierung der Armen. Radikalisierung innerhalb der Streitkräfte veranlasste in den 80er Jahren die Regierung Reagan, sich zunehmend auf Stellvertreterarmeen, Luftkampfstrategien und kapitalintensive Hightech-Waffensysteme (die von kleinen hochqualifizierten Einheiten bedient wurden) zu verlassen. Was die Navy betraf, so hatten Schiffsleute jetzt nur noch beschränkten Zugang zu Bereichen, wo das Schiff “von innen heraus bedroht werden kann… vor allem in Zeiten großer internationaler Spannungen”. Und doch hat die mangelnde Bereitschaft der Soldaten, in einem eventuell neuen ‘Vietnamkrieg’ zu kämpfen, zum Erfolg der Antikriegsbewegung beigetragen - die es geschafft hat zu verhindern, dass die USA in El Salvador oder Nicaragua direkt einmarschieren. Wenn Aktivisten der Antiinterventions- und Antinuklearbewegung in den 80er Jahren Friedensliteratur an Militärpersonen verteilten, machten sie bei Soldaten der unteren Ränge oft die Feststellung, dass ihnen allgemeine Sympathie entgegenschlug. Ich half damals bei der Herausgabe der Zeitung ‘About Face’, die sich an GIs richtete. Ich instruierte - gemeinsam mit Veteranen - europäische Aktivisten und Aktivisten der Philippinen, wie man am besten an GIs herantritt. Hilfreich war eine Militärvorschrift, die es Militärpersonal erlaubte, eine Kopie eines bestimmten literarischen Schriftstücks zu besitzen. In Vorschrift 1325.6, Sektion 3.5 des US-Verteidigungsministeriums heißt es bis heute: “der schiere Besitz nicht genehmigten gedruckten Materials ist nicht verboten… Allein die Tatsache, dass sich eine Publikation kritisch mit der Regierungspolitik oder mit Regierungsoffiziellen auseinandersetzt, ist noch kein Grund, deren Verbreitung zu verbieten”. 1983 kam es bei einer Women’s-Peace-Aktion gegen die Verlegung von Atomraketen aus einem New Yorker Armeedepot zum Dialog mit den Militärpolizisten. Einer der Offiziere sagte: “Meine Männer sind verängstigt und verwirrt. Am liebsten würden sie runterkommen und euch alle töten - oder runterkommen und sich mit euch allen verbünden”, eine Aussage, die die Widersprüchlichkeit der “dual consciousness” in den Köpfen vieler Soldaten genau auf den Punkt bringt. Soldaten sind offen für einen Dialog mit Aktivisten, solange diese respektvoll mit ihnen umgehen und an das Positive im Denken und Fühlen dieser Soldaten appellieren. Der Golfkrieg 1991 half dem Pentagon bei der Überwindung des “Vietnamsyndroms”. Präsentiert wurden hygienisch einwandfreie Videogame-Bilder eines Krieges, in dessen Mittelpunkt der entmenschlichte arabische Feind stand. Eine militärische Verweigerungshaltung zum Ausdruck zu bringen, war unter diesen Umständen schwer (dennoch gab es einzelne mutige Ausnahmen, wie Jeff Paterson und viele andere, die ins Gefängnis gingen, nachdem das Militär die Anerkennung von CO-Verweigerern stoppte). Zu diesem Zeitpunkt war ich einer der nationalen Direktoren des Committee Against Registration and the Draft und produzierte ein Interview-Video mit Veteranen, das sich an GIs richtete sowie Musik- und Radiohörspielprojekte. Der Golfkrieg ging schnell vorüber - noch bevor sich öffentlicher Protest regen konnte. Allerdings sorgte die Kampagne der Friedensbewegung ‘“Asyl” für Militärverweigerer’ kurz für Schlagzeilen. Nach dem Golfkrieg kam die Clinton-Administration. Wiederholt bombardierte sie Irak, Serbien und andere Länder. So gelang es ihr, öffentlich den Eindruck zu erwecken, als ob Krieg für die US-Streitkräfte keine oder nur minimale Folgekosten hätte. Diese historische Selbsttäuschung endete am 11. September bzw. mit dem Einmarsch in Afghanistan und der Besetzung des Irak. Wieder einmal erkannten die Berufssoldaten: Die Unterschrift, die sie geleistet hatten und ihr Einsatz würden Konsequenzen für ihr reales Leben haben. Es wurde schwerer, Rekrutierungswillige zu finden. Eine Stop-loss-Politik des Pentagon zwang Irakkriegsveteranen und Reservisten zurück an die Front. Selbst die größten Kriegsbefürworter unter den Soldaten und ihren Familien wurden nun wütend. Ein wichtiger Unterschied zur Zeit des Vietnamkriegs und zum Ersten Golfkrieg ist der, dass Soldaten heute Zugang zum Internet und zu alternativen Quellen der Informationsbeschaffung haben. Auch für Leutnant Ehren Watadas selbstinduziertes Lernen war das Internet ein wichtiger Faktor. Die Militärgemeinde nutzt das Medium Internet heute, um - jenseits der offiziellen Kanäle (die Militärkultur neigt dazu, interne Kritiker durch Einschüchterung zum Schweigen zu bringen) -, über Krieg und die Situation zu diskutieren. Vergleicht man die ersten drei Jahre des Vietnamkriegs mit den ersten drei des Irakkriegs, so fällt auf, dass es eine ungleich größere militärinterne Opposition gibt. Seit Beginn des Irakkriegs sind über 8.000 Soldaten desertiert (laut ‘USA Today’), 400 davon nach Kanada. Das Militär zögert, Reservisten der ‘Individual Ready Reserve’ (IRR) zu bestrafen und belässt es lieber bei einer Entlassung. Ironischerweise haben gerade die Verhaftung Saddam Husseins und der Tod Zarkawis die Bushsche Position geschwächt, unsere Truppen müssten im Irak verbleiben, um die Irakis, gegen ihren Willen, zu “beschützen”. Und der Widerstand wird weiter zunehmen. Bislang verweigern ungefähr 12 Soldaten ihre Verlegung. Eine aktuelle Zogby-Umfrage unter amerikanischen Irak-Soldaten zeigt, dass 72% der stationierten Truppe für einen Rückzug innerhalb eines Jahres sind. Was die Resisters brauchen, ist öffentliche Unterstützung - vor allem aus ihren Heimatgemeinden. So öffnete am 16. Juni, wenige Tage nach Leutnant Watada Verweigerung, die United Methodist Church in Tacoma bei Fort Lewis ihre Pforten für ein Soldaten-“Asyl”. Einige Medien wundern sich über Leutnant Watadas Verweigerung so kurz nachdem im Hafen von Olympia Proteste gegen die Verschiffung von Panzerfahrzeugen der 3rd Stryker Brigade stattfanden. Aber man darf nicht vergessen, Soldaten und Antikriegs-Demonstranten haben etwas sehr Entscheidendes gemeinsam: Sie nehmen den Krieg ernst, und sie sind entsprechend bereit, Risiken einzugehen. Am 2. Juni, bei einer Feier anlässlich der Verlegung der Stryker-Brigade, sagte der Kommandant von Fort Lewis, Generalleutnant James Dubik: “Weniger als 1 Prozent der Nation tragen 100 Prozent der Bürde dieses Kriegs”. Fünf Tage später stimmte Leutnant Watada mit ein: “Wenn die Soldaten aus dem Irak zurückkehren, haben sie den Eindruck, viele Leute wissen gar nicht, dass (drüben) ein Krieg abgeht; sogar Freunde und Familie scheinen sich mehr für populäre Kultur und amerikanische Idole zu interessieren, sagen sie. Die Leute interessieren sich nicht für die Hunderte Irakis und Dutzende Amerikaner, die Woche für Woche sterben.” Wenn unsere Soldaten sehen, dass auf den Straßen Hunderte gegen den Krieg protestieren, werden sie (unabhängig davon, was sie von der Botschaft der Demonstranten halten) begreifen: Zumindest diesen Leuten ist nicht egal, dass ein Krieg stattfindet, es interessiert sie. Weil Krieg herrscht, nehmen sie Unbequemlichkeiten und eine Unterbrechung ihrer täglichen Routine auf sich. So können, sichtbare, Antikriegs-Aktionen dazu beitragen, “die Bürde” auf einen größeren Kreis Schultern zu verteilen und eine Brücke zu bauen zu den Soldaten und ihren Familien. Voraussetzung ist allerdings, dass Demonstranten einen respektvollen Dialog mit den Soldaten eingehen.
Zoltan Grossman ist Mitglied der Fakultät für ‘Geography and Native Studies’ des Evergreen State College in Olympia/Washington und seit vielen Jahren Friedensaktivist und ‘justice activist’. Eine Version des vorliegenden Artikels erschien in dem Londoner Journal ‘Race Today’. Weitere Artikel von Grossman unter
http://academic.evergreen.edu/g/grossmaz
Mailadresse: grossmaz@evergreen.edu
Hier eine Liste weiterer Weblinks: A Matter of Conscience: GI Resistance during the Vietnam War Center on Conscience and War Central Committee for Conscientious Objectors Citizen Soldier Courage to Resist Department of Defense Directive on dissident activities GI Rights Hotline USA/ 1-800-394-9544 Gold Star Families Speak Out Iraq Veterans Against the War Kevin Benderman Defense Committee Kevin Benderman Timline Know All You Can Know: Student privacy & alternatives to militarism Military Families Speak Out Military Families Speak Out (WA Chapter) Military Law Task Force (National Lawyers Guild) Mission Rejected: U.S. Soldiers Who Say No to Iraq Not in Our Name Not Your Soldiers Olympia Movement for Justice and Peace Operation Truth Poll of troops in Iraq: 72% for withdrawal Seattle Draft & Military Counseling Center “Sir!No Sir!” Film and Library Soldiers for Truth Thank you, 1st Lieutenant Watada U.S. Heroes of the Iraq War U.S. Military Interventions Since 1890 U.S. Military Base Network Expansion Veterans Call to Conscience Veterans for Common Sense Veterans for Peace Veterans for Peace (Rachel Corrie Chapter) Vietnam Veterans Against the War
Quelle:
ZNet Deutschland
vom 10.07.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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