Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Afghanische Tragödien

Von Karl Grobe - Kommentar

Geschichtliche Tragödien kehren wieder; nicht immer als Farce, wie Karl Marx angemerkt hat, sondern auch als Tragödien. Die Akteure wechseln. Die Objekte ihres Handelns haben keine Gelegenheit, sich zu entziehen. Der afghanische Krieg ist ein Beispiel dafür.

Die friedensbewahrende "Mission" der Nato im afghanischen Norden steht unter deutschem Kommando. Viel Frieden, der zu bewahren wäre, ist dort nicht mehr. Deshalb werden feste Stützpunkte gebaut, abgesichert gegen Insurgenten und abseits vom Volk. Keine Hochsicherheitstrakts wie die "Grüne Zone" in Bagdad - die Möglichkeit, dass es dazu kommt, besteht allerdings -, aber doch Elemente einer Isolation, in welcher die Isolierten Fremde statt Freunde sind. Es ist ein fataler Selbstläufer, dass auf diese Festungen geschossen, von dort zurückgeschossen und in der Folge "das Mandat robuster definiert" wird.

Das hat mit der Machtlosigkeit der Kabuler Zentrale in den Provinzen zu tun. Diese Zentrale ist Ergebnis eines Versuchs zur Demokratisierung, Resultat von Wahlen eines Präsidenten (Hamid Karsai, der vorher von den USA installiert worden war und von einem mutigen und hoffnungsvollen Volk bestätigt wurde) und eines Parlaments. Der allgemeine Auftrag lautete: Modernisierung und Aufbau, Frieden und Sicherheit.

Die formalen Voraussetzungen sind erfüllt; der Inhalt ist abstrakt geblieben. Der Präsident hat manchen Warlords die Machtbasis entziehen wollen, indem er sie ins demokratische System einzugliedern trachtete. Die regionalen Netze der Macht blieben aber intakt, auf Gruppen-, Clan- und Stammesloyalitäten beruhende Beziehungsgeflechte erweisen sich dann als stärker, wenn der in die Hauptstadt berufene Chef sich nicht als Wohltäter seiner Klientel erweisen kann. Solidarisiert er sich mit der zentralen Macht, so fällt die Klientel von ihm ab und sucht sich neue Führer. Vertritt er weiter seine Klientel, so schwächt das die Regierung.

Das ist ein Kennzeichen der gegenwärtigen Lage. Die Modernisierung kommt von oben, aus der Hauptstadt und einigen urbanen Zentren. Sie ist geprägt von Grundsätzen - Demokratie, Gewaltenteilung, staatliches Machtmonopol -, die als westliche Werte bezeichnet werden können. Drei Viertel aller Afghanen, unabhängig von Ethnie und Verwaltungsgliederung, leben aber abseits der Städte. Der kommunale Zusammenhang, die überkommene soziale Struktur, Wirtschaftsweise und Rechtsverständnis in den ländlichen Regionen haben mit urbanen Denkweisen und Verhaltensmustern nicht viel gemeinsam.

An dieser Konstellation ist der Modernisierungsversuch jener städtischen Eliten gescheitert, die lange vor der sowjetischen Invasion, aber von sowjet-sozialistischem Denken geprägt, dem Volk eine andere Zukunft aufdrängen wollten. Ihr Scheitern zog die "brüderliche" Invasion 1979 nach sich; die Invasion vollendete die erste Tragödie der afghanischen Völker.

Im willkommenen Stellvertreterkrieg gegen die Sowjet-Invasoren zogen die USA, Pakistan und andere die konservativen Warlords heran; die "Islamisierung", die Verwandlung der Religion aus alltäglichen Verhaltensregeln in eine mobilisierende Ideologie, schließlich die totalitäre Herrschaft der Taliban nach dem Scheitern der Warlord-Fraktionen sind auch Ergebnisse dieses Prozesses.

Nun wieder: Modernisierung von oben, aus den Städten. Die Tragödie kehrt wieder. Es treten dabei neue Akteure auf, die neue Themen einbringen. Eins davon ist die Verquickung von Widerstand, Terrorismus und Rauschgift. Erst seit Warlords und - zeitweise - Taliban sich aus dem Opiumanbau finanzierten, ist daraus ein Weltproblem geworden; das wird es bleiben, solange selbst dem schwächsten Glied in dieser Kette, den Bauern, der Mohn-Anbau zehn Mal mehr bringt als der Weizenanbau.

Da dürfen Isaf und Nato nicht eingreifen. Da helfen jedoch auch Bomben und Flächenbesatzung nicht. Am Aufbau mitzuwirken und ihn abzusichern - so der deutsche Auftrag - ist nur unter Friedensbedingungen möglich. Solange die nicht bestehen, droht der Tragödie dritter Teil: Verwicklung in einen Landkrieg in Asien.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.07.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

24. Juli 2006

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von