Der Dolchstoß in den RückenVon Uri Avnery, 02.08.2006 Der Tag nach dem Krieg wird der Tag des Dolchstoßes sein. Jeder wird jedem die Schuld geben. Die Politiker werden einander beschuldigen. Die Generäle werden einander beschuldigen Die Politiker werden die Generäle beschuldigen. Und vor allem werden die Generäle die Politiker beschuldigen. In jedem Land und nach jedem Krieg, in dem die Generäle versagten, wird die Legende vom “Dolchstoß in den Rücken” wieder laut. Wenn doch nur die Politiker die Armee nicht in dem Augenblick gestoppt hätten, als sie gerade im Begriff war, einen großartig historischen Sieg zu erringen… Dies geschah in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, als durch diese Legende die Nazibewegung geboren wurde. Dies geschah in Amerika nach dem Vietnamkrieg. Das ist es, was jetzt hier geschieht. Man kann es schon spüren. Die simple Wahrheit ist die, dass bis jetzt, am 22. Tag des Krieges, kein einziges militärisches Ziel erreicht worden ist. Derselben Armee, die 1967 in nur sechs Tagen drei große arabische Armeen vernichtend geschlagen hat, ist es nicht gelungen, eine kleine “Terroristenorganisation” in einem Zeitraum zu besiegen, der sogar schon länger als der folgenschwere Yom Kippur-Krieg ist. Damals hatte die Armee in nur 20 Tagen Erfolg, nachdem sie eine niederschmetternde Niederlage am Anfang schließlich in einen großartigen militärischen Sieg verwandelte. Um den Eindruck zu erwecken, etwas erreicht zu haben, behauptete der Militärsprecher gestern, dass “es uns gelungen sei, 200 (oder 300 oder 400 - wer zählt sie schon?) der 1.000 Hisbollahkämpfer zu töten. Die Behauptung, dass die ganze schreckliche Hisbollah aus 1.000 Kämpfern besteht, spricht allein schon Bände. Nach Korrespondentenberichten ist Bush frustriert. Die israelische Armee hat nicht die “Ware geliefert”. Bush hat sie im Glauben in den Krieg geschickt, dass sie eine mächtige Armee sei, die mit den neuesten und besten amerikanischen Waffen ausgerüstet den “Job in wenigen Tagen erledigen” werde. Sie sollte die Hisbollah eliminieren, den Libanon einer Marionettenregierung der USA vermachen, den Iran schwächen und vielleicht auch den Weg zu einem “Regimewechsel” in Syrien vorbereiten. Kein Wunder, dass Bush so ärgerlich ist. Ehud Olmert ist sogar noch wütender. Er ging in gehobener Stimmung und mit leichtem Herzen in den Krieg, weil die Generäle der Luftwaffe versprochen hatten, die Hisbollah und deren Raketen innerhalb weniger Tage zu zerstören. Nun steckt er im Dreck - und kein Sieg ist in Sicht. Wie gewöhnlich beginnt mit dem Ende der Kämpfe (möglicherweise schon früher) bei uns der Krieg der Generäle. Die Frontlinien tauchen schon auf. Die Kommandeure der Landarmee beschuldigen den Generalstabschef und die machtbesessene Luftwaffe, die versprochen hatten, den Sieg alleine zu erlangen. Bombardements über Bombardements von Straßen, Brücken, Wohnvierteln und Dörfern - dann Schluss! Die Jünger des Generalstabschefs und der anderen Luftwaffengeneräle werden den Landkräften die Schuld geben und besonders dem Kommando Nord. Ihre Sprecher in den Medien erklärten schon, dass dieses Kommando voll unfähiger Offiziere sei, die man dorthin abgeschoben habe, weil im Norden nichts los wäre, während die wirklichen Aktionen im Süden (Gaza) und im Zentrum (Westbank) passierten. Da gab es schon Andeutungen, dass der Chef des Kommando Nord General Udi Adam für diesen Job bestimmt worden sei - allein als Hommage gegenüber seinem Vater, dem General Kuti Adam, der im 1. Libanonkrieg getötet worden war. Die gegenseitigen Beschuldigungen sind alle berechtigt. Dieser Krieg ist voll militärischer Fehlschläge - von der Luft aus, auf dem Land und von See aus. Sie hängen mit der schrecklichen Arroganz zusammen, mit der wir erzogen wurden und die zu einem Teil unseres nationalen Charakters wurde. Sie ist besonders typisch für die Armee - am meisten aber bei der Luftwaffe. Seit Jahren erzählten wir einander, dass wir die aller-aller-allerbeste Armee der Welt hätten. Wir waren nicht nur selbst davon überzeugt, sondern auch Bush und die ganze Welt. Wir hatten einen großartigen Sieg im Sechs-Tage-Krieg gewonnen. Als dieses Mal die Armee nicht innerhalb von sechs Tagen einen großen Sieg erlangte, war deshalb jeder erstaunt. Was war nur geschehen? Eines der erklärten Ziele dieses Krieges war die Rehabilitation der Abschreckung der israelischen Armee. Das ist so nicht geschehen. Denn die andere Seite der Medaille - der Arroganz - ist die tiefe Verachtung gegenüber den Arabern, eine Haltung, die schon in der Vergangenheit zu Fehlschlägen geführt hat. Es genügt, an den Yom Kippur-Krieg zu erinnern. Nun erfahren unsere Soldaten auf schmerzliche Weise, dass die “Terroristen” hoch motivierte, tapfere Kämpfer sind und keine Junkies, die von “ihren” Jungfrauen im Paradies träumten. Aber abgesehen von der Arroganz und der Verachtung für den Feind, gibt es ein grundsätzlich militärisches Problem: es ist einfach unmöglich, einen Krieg gegen Guerillas zu gewinnen. Wir haben dies während der 18 Jahre Besetzung im Libanon erfahren. Dann zogen wir endlich die Schlussfolgerung und gingen. Zwar ohne Verstand und ohne Abkommen mit der andern Seite (wir sprechen ja nicht mit Terroristen … auch dann nicht, wenn sie vor Ort die vorherrschende Macht sind). Doch wir gingen. Weiß Gott, wer den heutigen Generälen das unbegründete Selbstvertrauen gab, das ihnen eingab, sie würden dort gewinnen, wo ihre Vorgänger elendiglich gescheitert waren. Und das Wichtigste: selbst die beste Armee der Welt kann keinen Krieg gewinnen, der kein klares Ziel hat. Karl von Clausewitz, der Lehrmeister der Militärwissenschaften hat es folgendermaßen formuliert: “Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.” Olmert und Peretz, zwei absolute Dilettanten, haben dies auf den Kopf gestellt: “Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung des Mangels an Politik mit anderen Mitteln.” Militärexperten sagen, um in einem Krieg Erfolg zu haben, muss es (a) ein klares Ziel geben, es muss (b) ein erreichbares Ziel sein, und (c) es müssen die nötigen Mittel dafür vorhanden sein. Alle drei Vorbedingungen fehlen in diesem Krieg. Das ist die Schuld der politischen Führung. Deshalb sollte die Hauptschuld den Zwillingen Olmert-Peretz angelastet werden. Sie waren der Versuchung des Augenblicks erlegen und führten den Staat in einen Krieg, in eine Entscheidung, die voreilig, unüberlegt und fahrlässig war. Nehemia Strassler schrieb in Haaretz: Sie hätten den Krieg nach zwei oder drei Tagen stoppen können, als alle Welt darin übereinstimmte, dass Hisbollahs Provokation eine israelische Antwort rechtfertigte, als noch keiner an den Fähigkeiten der israelischen Armee zweifelte. Die Operation hätte sensibel, sachlich und verhältnismäßig ausgesehen. Aber Olmert und Peretz konnten nicht aufhören. Als Greenhorns in Kriegsangelegenheiten wussten sie nicht, dass man sich nicht auf die Prahlerei der Generäle verlassen kann, dass selbst die besten militärischen Pläne das Papier nicht wert sind, auf denen sie geschrieben sind, dass im Krieg das Unerwartete erwartet werden muss, und dass nichts so schnell vergeht wie Kriegsruhm. Sie waren berauscht von der Popularität des Krieges, sie waren von einer Herde katzbuckelnder Journalisten angestachelt worden, die wegen des Feldherrenruhms ihren Verstand verloren hatten. Olmert wurde von seinen eigenen unglaublich kitschigen Reden begeistert, die er mit seinen Handlangern einstudiert hatte. Peretz schien vor einem Spiegel zu stehen und sich schon als nächsten Ministerpräsidenten, Mister Sicherheit und als zweiten Ben Gurion, zu sehen. Und so marschierten sie wie zwei Dorftroddel beim Klang von Trommeln und Trompeten an der Spitze eines Marsches von Toren geradewegs in eine politische und militärische Panne. Es wäre verständlich, wenn sie nach dem Krieg den Preis werden zahlen müssen. Was wird die Folge dieses Schlamassels sein? Keiner redet mehr über die Eliminierung der Hisbollah, von ihrer Entwaffnung oder der Zerstörung aller Raketen. Das hat man längst vergessen. Zu Beginn des Krieges wies die Regierung den Gedanken weit von sich, eine internationale Truppe entlang der Grenze aufzustellen. Die Armee war der Überzeugung, dass solch eine Truppe Israel nicht schützen würde, sondern nur ihren Handlungsspielraum einschränken werde. Auf einmal ist die Aufstellung solch einer Truppe zum Hauptziel des Feldzugs geworden. Die Armee fährt mit ihrer Operation nur fort, “um die Grundlage für die internationale Truppe vorzubereiten”, und Olmert erklärt, dass der Kampf so lange weitergehen soll, bis diese Truppe vor Ort erscheint. Das ist natürlich ein erbärmliches Alibi, eine Leiter, mit der man vom hohen Baum wieder heruntersteigen kann. Die internationale Truppe kann nur in Übereinstimmung mit der Hisbollah aufgestellt werden. Kein Land wird Soldaten an einen Ort schicken, wo sie die Einheimischen würden bekämpfen müssen. Und überall werden die lokalen Schiiten in ihre Dörfer zurückkehren - und zusammen mit ihnen auch die Hisbollahuntergrundkämpfer. Außerdem ist die Truppe total vom Einverständnis der Hisbollah abhängig. Falls eine Bombe unter einem Bus voll französischer Soldaten in die Luft gehen sollte, wird ein Schrei durch Paris gehen: bringt unsere Söhne heim! Das geschah, als 1984 die US-Marines in Beirut bombardiert wurden. Die Deutschen, die die Welt in dieser Woche damit schockierten, weil sie gegen eine Waffenpause waren, werden sicher keine Soldaten an die israelische Grenze schicken. Es wäre gerade das, was sie noch bräuchten: gezwungen zu werden, auf israelische Soldaten zu schießen. Und noch wichtiger: nichts wird die Hisbollah daran hindern, jederzeit, wenn sie will, ihre Raketen über die Köpfe einer internationalen Truppe zu schicken. Was sollte die internationale Truppe denn dann machen? Das ganze Gebiet bis Beirut erobern? Und wie wird Israel reagieren? Olmert will, dass die Truppe die libanesisch-syrische Grenze kontrolliert. Auch das ist illusorisch. Die Grenze ist lang. Sie geht im ganzen Westen und Norden des Libanon entlang. Jeder, der Waffen schmuggeln will, wird dies nicht über die Hauptstraßen tun, die von internationalen Soldaten kontrolliert werden. Er wird Hunderte von Möglichkeiten entlang der Grenze finden. Mit der angemessenen Bestechung kann man im Libanon alles erreichen. Deshalb werden wir nach dem Krieg mehr oder weniger an derselben Stelle wie vorher stehen, bevor wir mit diesem Abenteuer begonnen haben, vor der Tötung von fast tausend Libanesen und Israelis, vor der Vertreibung von mehr als einer Million Menschen aus ihren Häusern, Libanesen und Israelis, vor der Zerstörung von mehr als eintausend Wohnungen im Libanon und in Israel. Nach dem Krieg wird die Begeisterung sich beruhigen: die Einwohner des Nordens werden ihre Wunden lecken, und die Armee wird beginnen, ihre Fehlschläge zu untersuchen. Jeder wird behaupten, dass er oder sie von Anfang an gegen diesen Krieg war. Dann wird der Tag des Gerichts kommen. Die Schlussfolgerung, die sich von alleine stellt: werft Olmert aus seinem Amt, schickt Peretz nach Hause und entlasst Halutz. Um einen neuen Kurs einzuschlagen, den einzigen, der das Problem lösen wird: Verhandlungen und Frieden mit den Palästinensern, den Libanesen und des Syrern - und mit der Hamas und der Hisbollah. Weil man nur mit Feinden Frieden macht. Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert. Siehe auch: www.uri-avnery.de . Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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