Nahost-Krieg: Friedens- statt Gewaltpolitik!
Manifest des Komitees für Grundrechte und Demokratie
Von Andreas Buro
Direkte Gewalt und Politik der strukturellen Gewalt beherrschen seit Jahrzehnten die Konflikte im Nahen Osten. Friedenspolitische Ansätze werden immer wieder von Gewaltpolitik überrollt. Israel setzt, wie jetzt im Überfall auf den Libanon, wie auch die Hisbollah im asymmetrischen Krieg mit ihrem Raketenbeschuss auf israelische Städte, ganz auf die militärische Karte.
Auch die internationale Unterstützung setzt vor allem auf Gewaltpolitik und liefert Waffen und Munition an die verfeindeten Gruppierungen. Gerechtfertigt wird dieses Engagement mit der angeblich notwendigen Fürsorge für Sicherheit und Verteidigung. Diese ruchlose Politik der militärischen Aufrüstung - die USA, Deutschland, Syrien, Iran und andere haben kräftig dazu beigetragen - führte zu den mörderischen Untaten der Vergangenheit und zu der jetzigen Situation, in der heuchlerisch der Tod von durch Bomben und Raketen ermordeten Kindern beklagt wird. Im Libanon sind fast eine Million Menschen auf der Flucht. Dies ist eine Größenordnung, die den Flüchtlingsströmen im Kosovo nach Beginn der NATO-Angriffe auf Serbien/Jugoslawien entspricht - Früchte der Gewaltpolitik, die auf allen Seiten terroristischen Charakter hat. Gegen diese Gewaltpolitik demonstrieren in zunehmenden Maße Friedensgruppen in Nahost und in aller Welt.
Der Dauerkonflikt in Nahost wird überlagert von dem westlichen Interesse an der Beherrschung der Region. Als Mittel dazu dient in erster Linie militärische Überlegenheit. Dabei spielt Israel als Partner des Westens eine herausragende Rolle. Entsprechend einseitig und nachsichtig ist die Beurteilung der Handlungen Israels im Vergleich zu denen arabischer und islamischer Staaten und Bewegungen, obwohl Israel fast alle UN-Beschlüsse missachtet und sich atomar aufgerüstet hat. Es ist deshalb erforderlich, die bisherige asymmetrische Bewertung zugunsten Israels zu überwinden. Berechtigte Kritik an der israelischen Politik als Besatzungs- und Interventionsmacht ist als Unterstützung für die Sicherheit und Lebensperspektive Israels zu werten und nicht als Antisemitismus.
Früher sprach man von der "gelben Gefahr" und meinte die Chinesen, deren Reich damals ganz wesentlich durch die Kolonialpolitik der westlichen Kolonialmächte zerstört wurde. Heute wird gegenüber den islamischen Gesellschaften in ähnlicher Weise ein psychologisches Feindbild
aufgebaut. Der tiefere Sinn dieses Feindbildes besteht darin, die islamischen Gesellschaften je nach Bedarf in das Reich des "Bösen" schieben zu können, während die westlichen Gesellschaften die Position der "Guten" übernehmen. Die Bush-Administration hat mit diesem kruden Gut-Böse-Schema viel Unheil und Verstellung der Realität bewirkt. Der einseitige Terrorismus-Vorwurf ist angesichts allseitiger Gewalt sinnlos und friedenspolitisch schädlich. Wir rufen dazu auf, sich diesem Schema in der Öffentlichkeit zu widersetzen. Dazu gehört auch, dem Mythos entgegenzutreten, die westliche Welt und die USA führten ihre Kriege als Beitrag zur Demokratisierung oder aus humanitären Gründen. Ein Blick auf die USA und ihre Kriege, aber auch auf so manchen Verbündeten aus der westlichen Welt lehrt uns, dass davon keine Rede sein kann. Die Medien haben bei der Vermittlung einer realitätsgerechten Sichtweise eine wichtige Funktion und dürfen sich nicht für die Produktion von Feindbildern einspannen lassen.
Wir gehen davon aus, dass Israel nur in Sicherheit leben kann, wenn es die Sicherheit und Gleichberechtigung auch der anderen Staaten und Völker in der Region anerkennt und es die Besatzungspolitik aufgibt zugunsten eines selbstständigen und lebensfähigen Palästinenser-Staates in den Grenzen von 1967. Grundlagen sind die UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 194 und 242, die sich auf die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und den Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 beziehen; ferner die Resolution des Palästinensischen National Council von 1988, in der die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert wird, und der Vorschlag Saudi-Arabiens von 2002, indem die Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Grenzen von 1967 mit einer Anerkennung Israels durch alle arabischen Staaten angeboten wurde.
Frieden in Nahost ist nur möglich auf der Basis von Friedenspolitik, nicht aber auf der Basis des Bestrebens nach Vernichtung und Demütigung der jeweiligen Gegner. Das oberste Ziel von Friedenspolitik ist es, Vertrauen zwischen den Konfliktparteien herzustellen, das zu Kooperation führen kann. Angesichts des Ausmaßes der Verfeindung ist dies sicherlich ein weiter Weg und bedarf der unparteiischen Vermittlung. Aus dieser verfeindeten und mit Feindbildern gepflasterten Situation können wir uns die folgenden Schritte in Richtung Friedenspolitik vorstellen:
- In einer UN-Resolution - sie könnte durchaus von Deutschland vorgeschlagen werden - werden alle Konfliktparteien nicht nur zu einem sofortigen Waffenstillstand, sondern auch zu einer Friedens- und Dialog-Politik aufgerufen. In ihr wird als Ziel die Beendigung der Gewaltpolitik und die Entwicklung von Kooperation in der Region benannt. Syrien, Libanon und Palästina werden aufgefordert, ihre Bereitschaft zu bilateralen Friedensverhandlungen mit Israel ohne Vorbedingungen zu erklären. Von Israel wird im gleichen Sinne eine solche Bereitschaft gefordert.
- In diesem Zusammenhang werden die Konfliktparteien ermutigt, einseitige Schritte zu unternehmen, die ihre Bereitschaft zeigen, von der Konfrontation zum Dialog überzugehen. Das könnten
- einseitige Schritte zur Beendigung militärischer Aktionen sein;
- die Entlassung von Gefangenen und Geiseln;
- die Erklärung der Bereitschaft, mit allen anderen Konfliktparteien den Dialog ohne Vorbedingungen aufzunehmen: der palästinensischen Hamas-Regierung, den Regierungen in Israel, Syrien, dem Libanon und der Hisbollah, sowie dem Iran;
- das Angebot zu humanitärer Hilfe auf der jeweils anderen Seite als Zeichen der Bereitschaft zur Aussöhnung;
- den Weiterbau der Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland einzustellen, und vieles mehr.
- Die Regierungen, die bisher Waffen in das Kriegs- und Krisengebiet geliefert haben, erklären, solche Waffen nicht mehr zu liefern, um Friedenspolitik zu erleichtern.
- Angesichts der bestehenden tief greifenden Verfeindung wird es trotz Friedensbemühungen in einer Übergangsperiode noch Gewaltakte geben. Diese dürfen jedoch nicht zu erneuter Eskalation führen. Deshalb bilden alle Konfliktparteien einen ständigen Ausschuss, in dem gemeinsam über den Umgang mit ihnen beraten wird. Dabei ist es oberstes Ziel, den bisher geltenden Rache-, Drohungs- und Vergeltungszyklus zu unterbrechen und so eine Voraussetzung für Deeskalation zu schaffen. Das gesellschaftliche Klima von Gewalt- auf Friedenspolitik umzustellen, ist auch eine Aufgabe der jeweiligen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen. Internationale Kooperation von Friedensgruppen kann hierbei eine wichtige Rolle spielen.
- Deutschland könnte, unterstützt von anderen Staaten möglichst auch aus der arabisch-islamischen Welt, Vorschläge für eine dauerhafte "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nah- und Mittelost" unterbreiten und sie angesichts ihrer vielen guten Beziehungen in den Ländern dieser Region erläutern. Ein Anknüpfungspunkt könnte der 2002 vom damaligen saudi-arabischen Kronprinzen im Namen von 22 arabischen Staaten unterbreitete Vorschlag an Israel sein: Gegenseitige Anerkennung in Verbindung mit der Bildung eines Palästinenser-Staates in den Grenzen von 1967.
- Ein wichtiger einseitiger Schritt von westlichen Staaten wäre die Anerkennung der jetzigen palästinensischen Regierung, die aus den jüngsten Wahlen hervorgegangen ist. Damit könnten sie Glaubhaftigkeit für ihre Forderung nach Demokratisierung herstellen. Bei der Hamas, die die palästinensische Regierung stellt, lag bereits eine vorsichtige Öffnung zu dem Gedanken, die israelische Regierung und damit Israel zu akzeptieren, vor - eine wichtige Neuorientierung! Sie muss nun als vollwertiger Gesprächspartner auch dadurch Akzeptanz erfahren, dass ihr die bisher verweigerten finanziellen Mittel wieder zugänglich gemacht werden.
- Solange die Menschen im Gaza-Streifen und dem Westjordanland zu einem großen Anteil unterhalb des Existenzminimums und ohne eine Perspektive für die Verbesserung ihrer Lebenssituation existieren, werden sich immer wieder gewalttätige Strömungen herausbilden und zur Störung eines möglichen Friedensprozesses beitragen. Es ist deshalb eine friedenspolitische Aufgabe, das Schicksal dieser Menschen zu erleichtern und ihnen auch eine entwicklungspolitische Perspektive durch Kooperation in der Region und Förderung zu geben. Hilfe von außen ist dafür erforderlich.
- Erforderlich ist auch die Kritik der westlichen Staaten an jeder strukturellen Gewalt, welche die palästinensische Bevölkerung hindert, ihre Lebenssituation zu verbessern. Die israelische Siedlungspolitik und der Mauerbau sind keine friedenspolitischen Beiträge!
- Gegenwärtig wird die Stationierung von NATO- oder EU-Truppen zur Entwaffnung der Hisbollah (UNSR-Beschluss 1559) im Libanon im Rahmen der UN erörtert. Wir halten dies nicht für einen Schritt zum Frieden. Eine solche Stationierung kann von der arabisch-islamischen Welt nur als eine neo-koloniale Einmischung der westlichen Staaten zugunsten Israels angesehen werden. NATO- oder EU-Truppen werden dann möglicherweise gegen die Hisbollah kämpfen - eine friedenspolitische Katastrophe! Eine Abrüstung der Hisbollah setzt die Erfüllung der oben genannten UNSR-Beschlüsse 194 und 242 voraus. Deeskalation und Abrüstung können nur das Ergebnis eines friedenspolitischen Prozesses sein.
Sicher können die hier vorgeschlagenen Schritte verbessert, ergänzt und präzisiert werden. Das würden wir begrüßen. Entscheidend ist jedoch, dass endlich eine friedenspolitische Wende versucht wird, auf die sich die Staaten und Gesellschaften der Region einlassen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Eine solche Wende muss den Gesellschaften der am Konflikt beteiligten Staaten und Organisationen wie Hamas und Hisbollah eine neue auf Zusammenarbeit gerichtete Sinnorientierung geben, so dass sie nicht einen, den Friedensprozess blockierenden Zerfall und Einflussverlust befürchten müssen.
Eine friedenspolitische Wende ist notwendig, die endlich auch von den einflussreichen westlichen Staaten ernsthaft und glaubwürdig mitgetragen wird. Eine solche Politik liegt im Gegensatz zur vorherrschenden Gewaltpolitik im Interesse aller Völker der Region, aber auch Europas und der USA.
Andreas Buro ist Friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie
Quelle:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
, 07.08.2006