“Wir wollen die letzten Atombombenopfer auf dieser Welt sein”
Von Kazuo Soda Dies ist nun das 16. Mal, dass ich hier in Wien bin. Ich bin sehr glücklich, dass ich wieder bei der Pagode sein und an der Gedenkveranstaltung für die Atombombenopfer teilnehmen kann. Gegen Ende Mai dieses Jahres musste ich mich in Spitalsbehandlung begeben, da der Verdacht auf Krebs bestand. Aber glücklicherweise wurde die betroffene Stelle nach eingehender Untersuchung als harmlos, als nicht von Krebs betroffen diagnostiziert. Da ich mich zu dem Zeitpunkt, als ich mich ins Spital begab, auf das schlimmste vorbereitet hatte, war ich erleichtert, als ich erfuhr, meine Krankheit sei gutmütig. Ich war allerdings nicht in der Lage zu entscheiden, ob ich mich auf eine meiner Friedensreisen begeben solle. Und wie ihr sehen könnt - nun bin ich hier in Europa. Und ich stehe geradewegs vor der Friedenspagode. Nun spreche ich zu euch allen hier bei der Pagode an der Donau, die dort unmittelbar vorbei fließt. Und jetzt fühle ich mich gestärkt und aufgerichtet, da ich mit euch allen hier den unbedingten Wunsch nach Frieden teile. Jetzt fühle ich den wirklichen Sinn am Leben zu sein, und die Verwirklichung der Würde des Lebens. Mein Herz ist voll tiefer Empfindungen, wenn ich an meinen ersten Besuch in Wien, 1985, denke und wie wir vor dem Stephansdom die Friedenskundgebung abhielten. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen dieselbe Geschichte wieder erzähle, die ich bei jedem meiner Besuche vortrage. Aber ich habe keine andere Möglichkeit, als mich auf die Tatsachen zu beziehen wie ich die Atombombe überlebte, denn die Szenen des Infernos von 1945, die sich mir eingegraben haben, waren die ausschlaggebende Motivation für mein Engagement in der Friedensbewegung. Ich überlebte die Atombombe auf Nagasaki im Alter von 15 Jahren, ca. 2,5 km vom Epizentrum (dem Explosionspunkt) entfernt. In der Folge litt ich unter extremer Mattigkeit und Durchfall, die als Folgen angesehen wurden, der radioaktiven Strahlung ausgesetzt gewesen zu sein. Vor neun Jahren erkrankte ich an Krebs, aber glücklicherweise konnte ich die Krankheit besiegen, während zwei Drittel meiner SchulkollegInnen unmittelbar getötet wurden oder an verschiedenen, durch die radioaktive Strahlung ausgelösten Krankheiten starben. Die vielen, die sofort getötet wurden konnten natürlich von dem ihnen zugefügten Leid nicht mehr erzählen und über die Inhumanität des Einsatzes von Atomaffen nicht mehr berichten. Es gab nur einige wenige medizinische Einrichtungen wo all diejenigen übersät mit Wunden und Verbrennungen versorgt werden konnten. Wie viele namenlose Körper, von Wunden übersät oder verbrannt lagen auf den Straßen und in den vom Feuer verwüsteten Orten. Schätzungen, die Ende 1945 gemacht wurden, gehen von 140.000 Menschen in Hiroshima und 70.000 in Nagasaki aus, die unmittelbar getötet wurden. Zu ihrem Andenken fühlten wir Überlebende uns verpflichtet, das Verbrechen der Atombombeneinsätze zu bezeugen. Und die atomare Strahlung beeinflusst das Leben vieler der Atombombenopfer und Zeitzeugen bis heute. Es heißt, dass wir Atombombenopfer (Hibakushas) der radioaktiven Strahlung unser Leben lang innerlich ausgesetzt sind. Wie Sie wissen, haben die Nuklearwaffen weit mehr Potential an zerstörerischer Kraft als alle anderen konventionellen Waffen und darüber hinaus hatte und hat die Radioaktivität, die zum Zeitpunkt der Explosion freigesetzt wurde einen großen und schrecklichen Einfluss über einen langen Zeitraum auf unser Leben, so lange, dass auch unsere Nachkommenschaft sicherlich noch genetisch infiziert ist. Die Zerstörung, an der wir leiden, ist kein Naturphänomen sondern eine Tragödie, in der Menschen andere in die Tiefe der Hölle zurückwerfen. Die Vernichtung aller Atomwaffen liegt daher in unserer eigenen Macht und nicht außerhalb der Kontrolle der Menschen, denn sie sind ja von Menschenhand gemacht. Manchmal habe ich an Klassentreffen meiner ehemaligen SchulkollegInnen teilgenommen, die die Atombombe auch überlebt haben. Zu meinem großen Bedauern haben viele meiner SchulfreundInnen es immer vermieden, mit den Folgen des nuklearen Zeitalters zu recht zu kommen, auch wenn sie selbst A-Bombenopfer waren und sind. Nur wenige interessieren sich für den gegenwärtigen und künftigen Status unseres Landes. Ihre fürchterlichen Erfahrungen verbinden sie nicht mit der Frage nach den Aufgaben des einzigen mit Atombomben bombardierten Landes in unserer Welt. Auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nach Ende des 2 WK hindert sie Überbleibsel ihrer Vorkriegs- und Kriegserziehung daran, die Umstände in denen sich ihr Land heute befindet richtig zu interpretieren. Ich muss euch mit großem Bedauern sagen, dass unsere derzeitige Regierung versucht die Verfassung Japans zum Schlechten zu verändern, dahin gehend, dass Auslandseinsätze der Armee (auch Kriegseinsätze) möglich werden sollen. In dieselbe Richtung gehen auch Versuche, das Grundgesetz über Erziehung und Bildung unwiederbringlich zu ändern, so dass die Öffentlichkeit auf die Treue zu einer kriegführenden Nation eingeschworen werden soll. Wir Hibakushas kennen ganz genau unsere wichtige Rolle im Kampf gegen diese gefährlichen Rückwärtsentwicklungen in Kriegs- und Vorkriegstagen, als wir grob behandelt wurden. Wir Hibakushas wünschen uns nichts mehr, als die letzten Atombombenopfer auf dieser Welt zu sein. So lange die Nuklearwaffen existieren werden wir nicht in Frieden sterben können, auch wenn wir es wollten. Nuklearwaffen sind ein Produkt der Menschen. Diese offensichtliche Tatsache lässt es absolut möglich erscheinen, dass sie auch durch Menschenhände abgeschafft werden. Die Friedenspagode in Wien ist nicht nur ein großartiges religiöses Zeichen, sondern auch ein Symbol für unseren Wunsch, dass die Tollheiten, die die Menschheit im 20 Jhd. begangen hat, sich niemals wiederholen mögen. Wir dürfen der nächsten Generation nicht erlauben, unser negatives Erbe des 20. Jahrhunderts tatsächlich anzutreten. Danke für eure Aufmerksamkeit.
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