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Antwort auf Jürgen Rose: Waghalsige Spekulationen

Bisher hat niemand ernsthaft behauptet, der Iran verfüge über einsatzfähige Atomwaffen, auch nicht die USA und Israel

Mohssen Massarrat hat die Erwägung angestellt, dass die israelische Führung mit ihren massiven Luftangriffen gegen Libanon vielleicht einen Gegenschlag auf das eigene Kernland provozieren wollte, um dann gegen den Iran vorgehen zu können ( >>”Ein heimtückischer Plan” ). Ein solcher “heimtückischer Plan” wäre militärisch unsinnig, argumentierte daraufhin Jürgen Rose (>> “Kein heimtückischer Plan” ). Auf Roses Einwände reagiert nun seinerseits Mohssen Massarrat.

Von Mohssen Massarrat

Aus der Perspektive der iranischen Abschreckungsstrategen sind Hisbollahs Mittelstreckenraketen, die Tel Aviv erreichen, meines Erachtens ein militärtechnisch unbedeutendes, aber psychologisch sehr wirkungsvolles Gegengewicht zu Israels Atombomben. Sie stellen mehr oder weniger eine Art strategische Zweitschlagskapazität dar. Keine Frage, alle Fakten sprechen dafür, dass die Vernichtung genau dieser Raketensysteme iranischer Bauart ein wichtiges Ziel Israels im Libanon-Krieg war. Damit wäre ein gewichtiges Hindernis für einen möglichen amerikanisch-israelischen Luftkrieg gegen den Iran - Gott behüte uns davor - aus dem Weg geräumt. Rose rennt bei mir insofern offene Türen ein.

Eine völlig andere Frage ist allerdings, ob Israel sich im Zusammenhang mit den Hisbollah-Raketen - wie Rose behauptet - auch atomar bedroht fühlte. Für diese Annahme gibt es nicht den geringsten Anlass, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens hat bisher niemand, auch nicht die USA und Israel, ernsthaft behauptet, Iran - somit wahrscheinlich auch Hisbollah - verfüge über einsatzfähige Atomwaffen. Sonst hätte Irans Atomkonflikt einen völlig anderen Verlauf genommen - siehe Nordkorea.

Zweitens wären dann die Hisbollah-Mittelstreckenraketen als iranische Zweitschlagskapazität und Abschreckungswaffe gegen Israels Atombomben überflüssig, da der Aufbau einer auf Langstreckenraketen gestützten Zweitschlagskapazität auf eigenem Territorium die glaubwürdigste Alternative wäre. Gerade weil aber Iran bisher nicht über einsatzfähige Atombomben verfügt, hofften Irans Militärstrategen, mit Hisbollahs Hilfe und mit den Mittelstreckenraketen, die Tel Aviv und damit Israels Kernland mit konventionellen Sprengköpfen bedrohen können, Israel von einem Krieg gegen den Iran abzuschrecken, was auch tatsächlich funktionierte. Denn Israel stuft auch konventionelle Bomben auf Tel Aviv als einen Angriff auf seine Existenz ein.

Drittens ist Roses Spekulation, Israel habe Hisbollahs Besitz von Atomwaffen nicht ausschließen können, ziemlich waghalsig. Denn dann hätte Israel Hisbollahs nukleare Gefahr auch propagandistisch voll ausgeschlachtet und sogar in der Weltöffentlichkeit viel Verständnis für sein Kriegsabenteuer geweckt.

Viertens hätten Hisbollahs libanesische Widersacher niemals darüber geschwiegen, dass auf ihrem Territorium möglicherweise Atomwaffen stationiert sind.

Bei aller Notwendigkeit, aus friedenspolitischen Perspektiven die Bedrohungen scharfsinnig zu analysieren - jedenfalls ist das mein Motiv -, sollte man sich nicht so leichtfertig zu völlig unbegründeten Spekulationen über die Existenz iranischer Atomwaffen hinreißen lassen. Ist Roses Annahme von nuklearem Material in der Hand von Hisbollah hinfällig, dann entfällt auch die Argumentationsgrundlage für die Einwände gegen meine Vermutung zu einem “heimtückischen Plan”. Sein Argument vom Zweifrontenkrieg widerspricht nicht der Absicht, einen glaubwürdigen Vorwand für den geplanten Iran-Krieg zu provozieren. Letztlich ist es für die USA-Israel-Allianz eine Frage der Abwägung, was im Falle einer Eskalation wichtiger wäre: die Vernichtung von Hisbollahs Mittelstreckenraketen oder ein Krieg gegen den Iran.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   37 vom 15.09.2006.

Veröffentlicht am

16. September 2006

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