“Vereint die Stimme der Waffen übertönen”Die Aktion “Ferien vom Krieg” im Sommer 2006Von Helga Dieter Auf dem Frankfurter Flughafen spielten sich herzzerreißende Abschiedsszenen ab. Ungewöhnlich daran ist, dass es sich um 70 junge Menschen handelt, die eine Feindberührung der besonderen Art hinter sich haben und sich zu Hause nicht wieder sehen können, obwohl manche nur einen Steinwurf voneinander entfernt wohnen. Die einen, 35 Palästinenser aus der Westbank, fliegen nach Jordanien, um von dort einen mühsamen Weg nach Hause zu nehmen; die anderen, 35 junge Israeli, kehren direkt zurück nach Tel Aviv. Alle haben zwei Wochen in Workshops intensiv an ihren persönlichen Erfahrungen und Verletzungen im Kriegsgebiet gearbeitet, sich erstaunt mit der Sichtweise der anderen Seite auseinandergesetzt, die unterschiedliche Geschichtsschreibung und Propaganda hinterfragt, aber auch gemeinsam Spaß bei einem Ausflug nach Amsterdam oder einer Bootsfahrt auf dem Rhein gehabt. Im dreizehnten Jahr hat das “Komitee für Grundrechte und Demokratie” junge Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten zu Dialogseminaren und gemeinsamen Ferien eingeladen. Damit wurde bisher insgesamt über 19.000 Kindern und Jugendlichen die Gelegenheit geboten, ihre angeblichen Feinde unter gleichberechtigten Bedingungen und in einer angenehmen Atmosphäre kennen zu lernen. Jugendliche aus Bosnien, Kroatien und Serbien leben zusammenCa. 400 Jugendliche aus Bosnien, Kroatien und Serbien fuhren diesen Sommer in vier Gruppen ans Mittelmeer, um gemeinsam Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben zu entwickeln. In friedenspädagogischen Workshops wurden Strategien entwickelt, wie die TeilnehmerInnen zu Hause in Schulen und Jugendgruppen ihre Erfahrungen von den gemeinsamen Ferien verbreiten können. In einer Gruppe aus sogenannten Rückkehrer-Dörfern, in denen die mehr oder minder freiwillig zurückgekehrten muslimischen Flüchtlinge kaum Kontakte zu den serbischen Nachbarn haben, bemalten die Jugendlichen T-Shirts mit dem Slogan “Alle unter demselben Himmel”, um auszudrücken, dass sie gemeinsam leben wollen. Sie entwarfen Wandzeitungen für ihre Jugendclubs zu Hause. In einer Gruppe schrieben 10 Jungen zur Melodie des Fan-Songs für die bosnische Fußball-Nationalmannschaft das Lied “Gemeinsam sind wir stärker”, das zur Erkennungsmelodie ihrer Freizeit wurde. Einige Jugendliche bearbeiteten in dem Gruppenprozess auch ihre dramatischen Kriegserfahrungen. Ein Workshop informierte über die verschiedenen Religionen. Eine Gruppe reiste schon wenige Wochen nach ihrer Rückkehr zum ersten Besuch bei den neuen Freunden. Solche Begegnungen sind in den neuen Ländern des ehemaligen Jugoslawien, wo eher eine “feindliche Koexistenz” als eine friedliche Zusammenarbeit herrscht, immer noch ein ungewöhnliches Unterfangen - auch noch 11 Jahre nach dem “Friedensvertrag” von Dayton und der massiver Präsenz von UN-Truppen. Im Kosovo ist es sehr schwierig, albanische und serbische Jugendliche zu finden, die an den gemeinsamen Ferien interessiert sind. Die Vorurteile scheinen in dem jahrelangen UN-Protektorat bis heute aus Beton gegossen zu sein. Immer mehr Serben halten das Leben in den abgeschlossenen Enklaven nicht mehr aus und verlassen ihre Heimat. Es ist faktisch keiner (Hilfs-) Organisation gelungen, die Mitglieder der verfeindeten Gruppen zusammen zu bringen, außer in den letzten Jahren bei den “Ferien vom Krieg”. Unserer langjährigen Partnerorganisation, die sich stark um gemeinsame Aktivitäten bemüht hat, wurden Fördermittel nicht bewilligt, um diese Arbeit fortzusetzen. Aus diesen Gründen fuhren diesen Sommer nur 25 albanische und 25 serbische TeilnehmerInnen aus dem Kosovo nach Montenegro ans Meer. Junge Erwachsene aus Israel und Palästina begegnen sich in Deutschland85 junge Erwachsene aus Israel kamen während des Libanonkrieges nach Deutschland, um in einem heiklen Prozess 85 gleichaltrigen Palästinensern aus der Westbank zu begegnen. Die Prozesse in den drei Gruppen verliefen sehr unterschiedlich. In den ersten beiden Freizeiten bestand zwischen den Gruppenleitern beider Seiten Einverständnis darüber: “Jeden Sommer gab es bisher israelische Militärattacken und palästinensische Selbstmordattentate. Immer haben wir gesagt: Schlimmer kann es nicht mehr kommen! Wenn wir unseren Dialog von den aktuellen Entwicklungen abhängig machen, brauchen wir gar nicht weg zu fahren. Wir müssen versuchen, davon zu abstrahieren.” Der Libanonkrieg wurde in diesen Gruppen also unterm Teppich gehalten. Diese absichtsvolle Verdrängung hat offenbar zu einer produktiven Auseinandersetzung geführt. Gemeinsame Projekte für die Zukunft wurden geplant. Anders in der dritten Gruppe. Die israelischen TeilnehmerInnen kamen aus dem Norden, also dem von der Hisbollah bombardierten Teil und standen z.T. sichtbar unter Schock. Die palästinensische Gruppe kam aus Nablus, einer Stadt die seit Jahren von der israelischen Armee angegriffen wird. Unmittelbar vor der Abreise und während des Aufenthaltes in Deutschland wurden in Nablus Jugendliche erschossen. Es hat bei dieser Gruppe lange gedauert bis das Eis zwischen einzelnen TeilnehmerInnen geschmolzen ist, zu schwer lastete die Angst auf den Jugendlichen. Auf persönlicher Ebene gelang dann einigen die Annäherung bis hin zu Freundschaften mit der wechselseitigen Versicherung, gegen alle Widrigkeiten in Kontakt bleiben zu wollen, sei es auch nur durch E-Mails. Auf politischer Ebene blieben die Fronten verhärteter. In den Vorjahren waren sich gegen Ende der Freizeiten die Kontrahenten in simulierten Friedensverhandlungen schließlich über die Kompromisslinie einig: Zwei getrennte Staaten in den (durchlässigen) Grenzen von 1967, infolgedessen Räumung aller israelischen Siedlungen in der Westbank, Jerusalem unter UN-Verwaltung, Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge oder finanzielle Kompensationen, Anerkennung des Staates Israel durch Palästina und die arabischen Staaten. Die größten Kontroversen bei diesem “Friedensplan” gab es meist bei dem Problem der Rückkehr der Flüchtlinge. In diesem Sommer gab es einige TeilnehmerInnen, die solche Kompromisse nicht eingehen wollten. Die Siedlungen seien Teil Israels und müssten dies bleiben. In Gaza habe man gesehen, dass die Räumung der Siedlungen militante Palästinenser keineswegs befriedet habe. Nur Erez Israel - notfalls mit einer arabischen Minderheit - sei denkbar. Auf der anderen Seite sahen palästinensische Jugendliche die Hisbollah als Sieger im Libanonkrieg. Die militärische Übermacht Israels sei im Wanken, ein Groß-Palästina deshalb nicht mehr aussichtslos, in dem könnten dann auch Juden als Minderheit leben, sofern sie das wollten. Diese radikalen Positionen waren zwar vermutlich nicht mehrheitsfähig in den beiden Gruppen, aber sie wurden nach unserer Wahrnehmung auch nicht scharf zurück gewiesen. Mitten in der zugespitzten Kriegssituation wäre es ein trügerischer Eierkuchen-Friede, wenn von den 70 TeinehmerInnen nicht einige zwischen Militanz und Gewaltlosigkeit hin- und hergerissen wären. Dies waren bei insgesamt 758 TeilnehmerInnen aus Israel und Palästina bisher aber nur wenige Ausnahmen (siehe die 188 Plädoyers für einen israelisch-palästinensischen Dialog unter www.ferien-vom-krieg.de). Ein junger Israeli fragte die Koordinatorin des Projektes beim Abschied: “Warum werden hier nur Jugendliche eingeladen? Die Politiker beider Seiten sollten zu einem solchen Prozess herkommen: Zwei Wochen unter einem Dach leben und zwischen den Gesprächen miteinander Jonglieren oder Clownsworkshops machen, das würde den Friedensprozess in Gang bringen.” “Weiter auf dem begonnenen Weg des Respekts und des Friedens”Eine Gruppe aus den drei Entitäten Bosniens schrieb einen Brief an die Israeli und Palästinenser in Deutschland:
Zur weiteren Information über die friedenspolitische Aktion “Ferien vom Krieg” können bebilderte Broschüren mit der Beschreibung der schwierigen Gruppenprozesse vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Verhältnisse und eine DVD mit Interviews bestellt werden (siehe auch www.ferien-vom-krieg.de ). Das Projekt “Ferien vom Krieg” kostet jährlich über 300 000 €, die ausschließlich durch private Spenden, in Benefizveranstaltungen, bei Sammlungen in Schulen, Gemeinden oder bei Familienfeiern aufgebracht werden. Eine “Ferienpatenschaft” beträgt 130 €. So.Kto.: VB Odenwald BLZ 508 63513, Kto. Grundrechtekomitee FvK Nr. 8013055 Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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