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Es hagelt super Ideen

Wozu taugt ein Hartz-IV-Empfänger? Richtig. Zum Arbeitslosenberatungsagenten

Von Rudolf Walther

Bis vor kurzem sprach man vom “Sommerloch” als einer Zeit, in der Hinterbänkler und Stallwachen aus den Parteizentralen Gelegenheit hatten, “ihr” Thema - ein Nicht-Thema oder Lückenfüller - in die Medien zu lancieren. Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist aus der vorübergehenden Veranstaltung des Sommerlochfüllens eine Dauereinrichtung geworden, was ein Schlaglicht wirft auf die Zustände “in diesem unseren Lande” (Helmut Kohl).

Eine Form des Lochfüllens war auch der ältere Keynesianismus: um das Übel der Arbeitslosigkeit und des daraus zwangsläufig folgenden Nachfragelochs nach Konsumgütern zu vermeiden, schlug Keynes vor, Arbeitslosen “Stellen” zu verschaffen, indem man sie Gräben aufreißen und wieder zuschütten lasse.

Hierzulande wurde das Arbeitsamt zur Arbeitsagentur geadelt und entsprechend apart fiel deren Vorschlag zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit aus. Weil für richtige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der politische Wille und das Geld fehlen, will die Agentur wenigstens für sich selbst etwas tun: bundesweit soll die Mangelverwaltung der fehlenden Stellen personell verstärkt werden. Arbeitslose werden jetzt zu Arbeitslosenberatungsagenten umgeschult. Und wenn das nicht funktioniert, finanzieren die Nürnberger die Gründung privater Firmen für die Qualifizierung von arbeitslos gewordenen Arbeitslosenberatungsagenten. Sind diese erst “qualifiziert”, kommt die nächste Generation - ganz wie früher bei den Terroristen: Weil man die Täter nicht fand, hielt man sich an die Umfelder der Täter und danach an die Umfelder der Umfelder der Täter usw. So komponierte man die Ersatztätergruppen zu Täter-Generationen, die den Vorteil bieten, beliebig vermehrbar zu bleiben bis ans Ende der Zeiten.

Viele unter den mit dem Lochfüllen beschäftigten Politiker fragten sich in diesem Sommer: “Wozu taugt der “Hartz-IV-Empfänger?” Was der “Hartz-IV-Empfänger” nicht kann, ist jedem klar, der auch nur einmal in der Kantine des Bundestags zu Besuch war. Hier ist man unisono der Meinung, dass sich diese Kundschaft für Urlaub allein deshalb nicht eignet, weil sie sich im Dauer-Urlaub befindet.

Wenn er schon existiert, der “Hartz-IV-Empfänger”, dann ist er - in der Kantine wie am Stammtisch - im Mai/Juni reif zum Spargelstechen. Die Frage, wie und mit welchem Aufwand man den “Hartz-Vierer” von Duisburg, Bremen, oder Garmisch zum Spargelstechen ins badische und hessische Land bringt, spülen Kantine wie Stammtisch mit einem Schluck weg.

Der Spargel hat den Nachteil, dass er nur zwei Monate lang gestochen wird. Haushaltshilfen dagegen sind der Ernstfall für das gehobene Publikum. Wer aus diesen Kreisen hätte sich zur Abwechslung fürs Waschen, Wienern und Schruppen nicht einen stämmigen Bauarbeiter oder eine türkische Informatikerin gewünscht? Auch die Pflegebedürftigen stehen ganzjährig auf der “Hartz-Agenda”, und eine arbeitslose Fleischverkäuferin oder ein arbeitsloser Bankkaufmann werden mit dem Job schon zurecht kommen, denn die haben ja Erfahrung im Umgang mit Rohfleisch bzw. Kunden.

Ein cleverer Vorschlag kam von der CDU, die bekanntlich für christliche Nächstenliebe eintritt. Für “Hartz-Menschen”, die keinen Urlaub verdienen, aber trotzdem gerne reisen, liegt es auf der Hand, sich zu Sicherheitskräften im öffentlichen Nahverkehr befördern zu lassen. Da schlägt man gleich zwei Fliegen auf einen Schlag. Der “Hartz-Mann” kann zwölf Stunden am Tag gratis hin und her reisen und kriegt ganz nebenbei noch Nachhilfeunterricht im Umgang mit netten Menschen, die jeder schon lange aus der Nähe kennen lernen wollte. Und die Kollateralschäden kurieren die Notfall- und Intensivstationen.

Das muntere sommerliche Lochfüllen beendeten Anfang September die fünf Wirtschaftsweisen mit dem netten Vorschlag, das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent zu kürzen, um die “Kundschaft” - wie es heißt - zu zwingen, irgendeine Arbeit anzunehmen, die dann staatlich mitfinanziert (Kombilohn) würde. Das ist ein starker Wurf, der insbesondere im Osten des Landes voll ins Schwarze trifft. Da reisen viele Leute schon jetzt bis zu 80 Kilometer pro Tag zur Arbeit und wieder zurück, um an die Mangelware Job zu kommen. Wenn jetzt nochmals mindestens 1,5 Millionen Mitbewerber kommen, können die Unternehmen die Löhne (5,10 Euro brutto) halbieren, den staatlichen Zuschuss von 50 Prozent kassieren und liegen dann bei einem Stundenlohn von satten 1,25 Euro. Ein kleiner Webfehler ist den Weisen unterlaufen: Die Arbeitslosen sind zwar da, aber die Arbeitsstellen nicht oder ganz weit weg.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   38 vom 22.09.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Rudolf Walther.

Veröffentlicht am

22. September 2006

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