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Erneuerbare Energien als sicherheitspolitische Investition

Vortrag bei der 12. Internationalen Fachtagung “Energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe”, der Technischen Universität Bergakademie Freiberg 7.9.2006.

Von Otfried Nassauer

Einschneidende Ereignisse wie die Ölkrise in den siebziger Jahren, der Golfkrieg in den Achtzigern, der zweite Golfkrieg zu Beginn der Neunziger oder die aktuelle Diskussion nach dem 11.September, dem dritten Golfkrieg und den jüngsten Preisanstiegen für Öl und Gas haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu lebhaften Diskussionen darüber geführt,

  • wie gefährdet die verlässliche Versorgung Europas mit den derzeit wichtigsten Energieträgern Öl und Gas ist, deren Vorkommen in krisenanfälligen Regionen konzentriert ist;
  • dass neue Gefährdungen kritischer Infrastrukturen [vom (Kern)Kraftwerk über Raffinerien bis hin zu Tankern, Engpässen auf Transportwegen (Meerengen, Kanäle und Pipelines)] durch nicht-staatliche Gewaltakteure wie Terrorismus und Piraterie im Entstehen begriffen sind;
  • dass die prognostizierte, wachsende Nachfrage nach fossilen Energieträgern seitens der schnell wachsenden Ökonomien Asiens eine verstärkte Konkurrenz um verfügbare, fossile Energien hervorruft, die nicht nur ökonomische Risiken wie steigende Preise sondern auch Entwicklungsprobleme für schwächere nationale Ökonomien hervorrufen und sogar zu militärischen Konflikten führen können; und
  • wie dringlich eine Reduzierung der Abhängigkeit von Öl und Gas in Europa zu den zentralen Zukunftsaufgaben von Politik und Wirtschaft in Europa gehört.

Parallel zu diesen Debatten wird verstärkt diskutiert, welche Rolle der Sicherheitspolitik, der Militärpolitik und letztlich der Bundeswehr hinsichtlich der Absicherung der Energieversorgung Deutschlands zukommt. Seit Veröffentlichung der Verteidigungspolitischen Richtlinien 1991 wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr die Aufgabe der Sicherung von Transportwegen übernehmen müsse. Der jüngste Entwurf eines Weißbuches aus dem April 2006 geht sogar noch einen Schritt weiter und sieht die Bundeswehr vor der allgemeineren Aufgabe, energiepolitisch Versorgungssicherheit mit zu gewährleisten. Die Bundeswehr selbst sieht nach dem Wegfall der Bedrohungen des Kalten Krieges in solchen neuen Aufgaben eine willkommene Legitimationshilfe - auch hinsichtlich der Begründung ihres finanziellen Ressourcenbedarfs.

Die Diskussion über die verstärkte Nutzung und Förderung neuer Energietechnologien und erneuerbarer Energien findet dagegen in einem scheinbar gänzlich anderen inhaltlichen Umfeld statt. Hier geht es fast ausschließlich um Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu den Kosten anderer Energieträger, um Klimawandel und Klimaschutz, die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Fördermitteln und Subventionen etc.. Sicherheitspolitische Aspekte spielen in der Diskussion über erneuerbare Energien bislang so gut wie keine Rolle. Auch die Diskussion um die Notwendigkeit der Reduzierung der Abhängigkeit von Öl und Gas beginnt erst langsam, sich zu in dieser Debatte wirklich zu spiegeln.

Noch - so kann man überspitzt formulieren - finden die Diskussionen über Sicherheitspolitik und erneuerbare Energien meist auf zwei verschiedenen Planeten statt. Was aber würde passieren, wenn diese beiden Debatten einmal zusammengeführt würden? Könnten sie einander befruchten? Die Kräfteverhältnisse in einem oder gar in beiden Bereichen konstruktiv verändern? Meine These lautet “Ja - dies wäre wohl in beiden Bereichen der Fall”.

Betrachten wir zunächst die Sicherheitspolitik: Investitionen in eine neue Energie- und Energiesicherheitspolitik können Investitionen in die Sicherheit Europas sein, weil sie die Abhängigkeit Europas von Öl und Gasimporten substantiell verringern können. Diesbezüglich ist es gleichgültig, wann die Verfügbarkeit von Öl und/oder Gas geringer wird. Peak Oil und auch Peak Gas sowie Situationen, in denen die Nachfrage durch das Angebot an beiden fossilen Energieträgern nicht mehr gedeckt werden kann, kommen so sicher wie das Amen in der Kirche - offen ist lediglich, wann. Und damit der Zeitraum, der noch zur Verfügung steht, um sich auf diese Situationen vorzubereiten. Investitionen in erneuerbare Energien und neue Energietechnologien können nicht nur zu den erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen beitragen, sondern auch weitere sicherheitspolitisch relevante Aspekte beisteuern:

  • Sie können zu einer wirksamen Dezentralisierung der Energieversorgungsstrukturen beitragen, die ihrerseits die Verletzlichkeit der kritischen Infrastrukturen reduziert, z.B. indem sie die Bedeutung langer, verletzlicher Transportwege ebenso reduziert wie die zentralisierter Einrichtungen.
  • Sie können darüber hinaus wesentlich zur Konfliktprävention beitragen, weil sie die Konkurrenz um die knapper werdenden fossilen Rohstoffe reduzieren.
  • Sie können die Chancen zu nachhaltiger Entwicklung verbessern und
  • in vielen Fällen einen effizienteren Einsatz staatlicher finanzieller Ressourcen darstellen als vergleichbar große Investitionen in neue militärische Fähigkeiten.

Und wie steht es mit den Auswirkungen auf die energiepolitische Debatte? Wenn neue Energietechnologien und erneuerbare Energien nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit sondern auch einen Beitrag zur Sicherheit leisten, dann verändern sich ihre Rolle und ihr Gewicht: Sie leisten einen Beitrag zu den von der klassischen Realpolitik definierten Kernaufgaben des Staates: zu Souveränitätswahrung und innerer sowie äußerer Sicherheit, also jenen Bereichen, für die die Verauslagung auch umfangreicher Steuermittel kaum umstritten ist - wie man an den Ausgaben für Streitkräfte und Polizeien unschwer sehen kann.

Ein Negativ-Beispiel macht es deutlich: Staaten, die über die Nutzung der zivilen Kerntechnik die Verfügung über die Atombombe anstreben, investieren in die Kerntechnik notfalls unabhängig von deren wirtschaftlicher, umweltpolitischer oder klimapolitischer Sinnhaftigkeit, weil es ihnen letztlich um den Besitz atomarer Waffen und damit um ein Mittel zur Verteidigung ihrer staatlichen Souveränität und Machtprojektion geht. Dies impliziert umgekehrt: Die sicherheitspolitische Bedeutung erneuerbarer Energien und neuer Energietechnologien verändert das gesellschaftliche und politische Kräfteparallelogramm im energiepolitischen Diskurs. Investitionen in erneuerbare Energien können auch als sicherheitspolitisch begründete Investitionen legitimiert werden und unterliegen damit veränderten, deutlich günstigeren politisch-strategischen Rahmenbedingungen in der innenpolitischen Konkurrenz um Ressourcen. Dieses Argument spielt in der Debatte um die Weiterentwicklung und den Ausbau neuer Energietechnologien und der erneuerbaren Energien bislang eine deutlich unterbewertete Rolle. Wie groß diese Rolle sein könnte, wird unschwer deutlich, wenn man einen Vergleich zur wehrtechnischen Industrie zieht. Diese gilt als für die Aufrechterhaltung staatlicher Souveränität und die Versorgungssicherheit der Streitkräfte unabdingbar und erhält deshalb aus dem Staatshaushalt Forschungs-, Entwicklungs- und Beschaffungsmittel in erheblichem Umfang. Zudem werden sie deshalb als ein Feld strategischer Industriepolitik betrachtet. Sind neue Energietechnologien und erneuerbare Energien aber ebenfalls von großer sicherheitspolitischer Relevanz, so wird deutlich, welch gewichtiges Argument dies sein kann.

Eine warnende Beobachtung: Zwei energiepolitische Interessensgruppen stellen die Verbindung zwischen Sicherheitspolitik und Energiepolitik bereits mehr oder weniger deutlich her: Die Befürworter einer Renaissance der Nuklearenergie und die Befürworter der Nutzung der Brennstoffzellentechnologie auf Wasserstoffbasis. Teils arbeiten sie argumentativ sogar gemeinsam, weil die Nuklearindustrie die Chance sieht, den großen Energiebedarf zur Wasserstoff-Herstellung zu decken. Dies darf nicht verwundern. Beide Energieträger setzen zentralisierte Infrastrukturen voraus und bieten die Chance auf Groß- und Langläuferprojekte, für deren Umsetzung nur große Konzerne in Frage kommen. Beide Interessensgruppen sind das Großgeschäft mit dem Staat gewohnt und verfügen über entsprechende der Lobbyarbeit dienliche Infrastrukturen. Sie haben Erfahrung darin, ihre Eigeninteressen als Gemeinwohlinteressen und als Beitrag zur staatlichen Aufgabenerfüllung - hier Sicherheit und Energiesicherheit zu gewährleisten - darzustellen. Sie sind es gewohnt, das erforderliche argumentative politische Umfeld durch entsprechende Expertisen und Studien vorzubereiten, indem sie diese finanzieren.

Welche Schlussfolgerung ist daraus zu ziehen? Aus meiner Sicht gilt es herauszuarbeiten, dass neue Energietechnologien und erneuerbare Energien einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit und damit zur staatlichen Zentralaufgabe der Souveränitätswahrung leisten können. Dieses Argument darf keinesfalls allein den Verfechtern der Nuklear- und Wasserstoff-Technologie überlassen werden. Regenerative Energien bieten z.B. in den Bereichen Dezentralität, Verwundbarkeit, Nachhaltigkeit und Konfliktprävention vielfältige, substantielle Vorteile. Die Nuklearenergie beispielsweise kann nur dann langfristig genutzt werden, wenn abgebrannte Brennelemente wiederaufgearbeitet werden. Der breite Einstieg in die Wiederaufarbeitung vergrößert aber die Proliferationsrisiken erheblich, weil nunmehr nicht nur Uran angereichert, sondern auch ein breiter Einstieg in die proliferationsriskante Wiederaufarbeitung und Plutoniumseparation riskiert werden muss. Die Aufgabe, die sicherheitspolitische Relevanz von Investitionen in erneuerbare Energien und neue Energietechnologien herauszuarbeiten, die Arbeit und die Kosten, dies auszuargumentieren, zu unterfüttern und öffentlich deutlich zu machen, wird den Befürwortern erneuerbarer Energien allerdings niemand abnehmen. Die Bedeutung und das Gewicht dieses Arguments müssen sie selbst in die Debatte einbringen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS   vom 27.09.2006. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Veröffentlicht am

02. Oktober 2006

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