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Raketenwettrüsten erhöht Atomkriegsgefahr

Von Wolfgang Kötter

Immer öfter werden auch Raketen genannt, wenn vor einer Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gewarnt wird. Das ist nicht verwunderlich, können sie doch als Trägermittel die tödliche Last praktisch in jeden Winkel der Welt befördern. Und es gibt bisher keinerlei völkerrechtlich bindende Verbote für Raketen, sondern lediglich freiwillige Beschränkungen.

Eine solche Übereinkunft ist das 1987 gegründete MTCR-Raketenregime (Missile Technology Control Regime), dessen Mitglieder sich heute (02.10.) in Kopenhagen treffen. Die 34 vornehmlich entwickelten Industriestaaten wollen die Verbreitung waffenfähiger Trägersysteme durch koordinierte Exportkontrollen verhindern. Die vereinbarten Richtlinien enthalten strikte Beschränkungen für die Ausfuhr von dualen Gütern und Technologien, die sowohl für den friedlichen als auch für den militärischen Raketenbau verwendbar sind. Besondere Zurückhaltung wird für das Versenden von Bauplänen, Daten und Informationen mit immateriellen Technologien wie E-Mail oder Fax angemahnt. Auf den jüngsten Treffen in Madrid, Wien und Seoul wurden die Informationen der Länderreports ausgewertet und weitere Schritte gegen die Verbreitung von Raketen beschlossen. Verstärkt wollen die Teilnehmer zukünftig auch gegen geheime Transporte von Raketenkomponenten, Bauteilen und Ausrüstungen vorgehen. Trotz erzielter Erfolge leidet die MTCR-Gruppe jedoch nach wie vor am Vorwurf, lediglich ein diskriminierender Exklusivklub der Reichen zu sein.

Seit einigen Jahren gibt es deshalb vermehrt Bemühungen, der Weiterverbreitung von Raketen auch in einem universellen Rahmen entgegenzutreten. Im November 2002 wurde in Den Haag ein “International Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation” (ICOC) unterzeichnet, dem inzwischen mehr als 120 Mitglieder angehören. Mit der Vereinbarung wollen die Teilnehmer eine universelle Norm zum Umgang mit ballistischen Raketen setzen. Der Kodex enthält Prinzipien, Verpflichtungen und vertrauensbildende Maßnahmen. Die Regierungen verpflichten sich zur äußersten Zurückhaltung bei der Entwicklung, Erprobung und Stationierung von Raketen, ohne dabei jedoch auf die friedliche Nutzung des Weltraums zu verzichten. Die Partner lehnen eine Zusammenarbeit mit Staaten ab, die nach Massenvernichtungswaffen streben. Besondere Wachsamkeit gilt dabei dem Export von Dual-Use-Gütern. Notifizierungen geplanter Testflüge sowie Transparenzmaßnahmen bei den Raketenbeständen und in der Militärpolitik zielen auf mehr Berechenbarkeit und Vertrauensbildung.

Auch unter dem Schirm der UNO laufen Aktivitäten. Im Auftrag der Vollversammlung studieren Expertengruppen die Möglichkeit multilateraler Barrieren gegen die Raketenverbreitung. Nach zunächst gescheiterten Versuchen, gemeinsame Empfehlungen zu formulieren, soll im kommenden Jahr ein neuer Anlauf unternommen werden. Aber Fortschritte stellen sich nur langsam ein, denn zu oft verhindern Interessengegensätze und regionale Rivalitäten substantielle Ergebnisse.

In letzter Zeit häufen sich Meldungen über Erprobungsflüge von Raketen unterschiedlicher Reichweite in verschiedenen Regionen der Erde. Offensichtlich reagieren einige Staaten auf die wiederholten Drohungen mit der Anwendung von Atomwaffen durch die Nuklearmächte und bauen ihrer eigene Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung aus. Raketen als Trägermittel halten sie für deren Glaubwürdigkeit als unverzichtbar. Große Aufregung verursachte eine Serie von Raketentests im Japanischen Meer, die die KDVR (= Nordkorea) im vergangenen Sommer von ihren Abschussbasen Kittaraeyong, Musudanri und Anbyun aus startete. Die Erprobungsflüge umfassten das gesamte Arsenal, das mit den kleineren, bis zu 300 km fliegenden Scud-Raketen beginnt und auch die Nodong-Mittestreckenraketen einschließt, die mit Reichweiten von bis zu 900 km Japan, Südkorea, Ostsibirien und große Teile Chinas abdecken können. Die zu mehrstufigen Taepodong-2 ausgebaute Rakete soll sogar 6.700 km schaffen und würde die US-Bundesstaaten Alaska, Kalifornien und Hawai erreichen. Nach der Testserie setzten die USA im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution mit Boykottmaßnahmen gegen das Raketenprogramm durch. Nordkorea tritt auch als Exporteur auf, zu dessen Abnehmern bis vor wenigen Jahren Pakistan und Libyen gehörten. Iran, Ägypten, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Nigeria und Vietnam werden ebenfalls als tatsächliche oder potentielle Kunden genannt.

Expertenmeinungen zufolge entwickeln mehrere Länder Raketen, die modifiziert und unter unterschiedlichen Namen, auf den selben Grundmodellen basieren. So heißt die koreanische Mittelstreckenrakete Nodong zum Beispiel im Iran Shahab und in Pakistan Ghauri, alle gehen aber letztlich auf russische bzw. chinesische Prototypen zurück. Pjöngjang versucht, die Reichweite der Nodong durch das Anfügen einer zweiten Brennstufe zu erweitern und schoss diese im August 1998 als Taepodong-1 über Japan hinweg in den Pazifik. Demgegenüber belässt es Teheran mit seiner Shahab-3 bei einer Brennstufe, rüstet diese aber durch ein Aluminiumgehäuse und längere Brennzeit auf. Die Reichweite könnte so auf 1.500 bis 2.000 km ausgedehnt werden. Iran erprobt seit einiger Zeit sowohl Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen im Persischen Golf, die Boden-Boden-, Luft-Boden wie auch die von U-Booten verschossenen Flugkörper können teilweise israelisches Territorium erreichen. Pakistan erprobt mehrere Kurz- und Mittelstreckenraketen und hat die ursprüngliche Ghauri-1 inzwischen über mehrere Entwicklungsstufen zur Gauri-5 mit einer Reichweite über 3.000 km hochgezüchtet. Im vergangenen Mai meldete Islamabad den erfolgreichen Flugversuch einer zweistufigen Shaheen-II-Rakete, deren Reichweite mit 2.500 km angegeben wird. Indien testet gegenwärtig neben der nuklearfähigen und 350 km weit reichenden Prithvi-3 eine Verbesserung der Agni-Rakete, die ihren Ursprung in der amerikanischen Scout-Rakete hat. Delhi entwickelte den relativ einfachen, robusten Flugkörper mit massiver Ummantelung zur Agni-3 fort, die nun eine Nutzlast von 1.000 kg bis zu 4.000 km weit tragen und damit große Teile Chinas erreichen kann.

Obwohl diese Ereignisse dringend nach kooperativen, multilateralen Schritten gegen eine weitere Raketenverbreitung verlangen, schlägt Washington einen entgegengesetzten Kurs ein. Zukünftig werden einige der bisher ausschließlich für nukleare Missionen vorgesehenen Trident-II-Raketen mit einer Reichweite von 7.400 km auch mit konventionellen Sprengköpfen ausgestattet. Dadurch sollen die US-Streitkräfte innerhalb der nächsten Jahre eine “Prompt Global Strike”-Fähigkeit erreichen und jedes Ziel überall auf dem Globus innerhalb einer Stunde bekämpfen können. Als Folge werden das Wettrüsten mit Raketen wahrscheinlich noch mehr beschleunigt und die Nuklearkriegsgefahr enorm anwachsen, denn wie können Aufklärungssatelliten und Frühwarnsysteme unterscheiden, welchen Gefechtskopf eine Langstreckenrakete trägt? Ein potentieller Gegner könnte den Raketenstart deshalb für einen Angriff mit Atomwaffen halten. Und mit gleicher Münze heimzahlen.

Veröffentlicht am

02. Oktober 2006

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