Wir brauchen Whistleblower!
Von Antje Bultmann Erinnern Sie sich an David Kelly? David Kelly, den Experten für biologische Waffen ? Er war von der UN im Irak als Inspektor eingesetzt worden und hatte dem BBC gegenüber geäußert, dass der Irak über keine Massenvernichtungswaffen verfügt. Am 6. August 2003 wurde er in einem Wald tot aufgefunden. Vermutlich hat er Selbstmord begangen, nachdem von allen Seiten ein derartiger Druck auf ihn ausgeübt wurde, dass er keinen anderen Ausweg sah. Sie haben vielleicht von Mordechai Vanunu gehört, der vor 20 Jahren ausplauderte, dass Israel über Atomwaffen verfügt und der deshalb 18 Jahre bis April 2004 hinter Gitter saß, davon 12 Jahre in Einzelhaft. Sie haben vielleicht auch von der deutschen Veterinärin Margrit Herbst gelesen, die als eine der ersten auf die Gefahren von BSE aufmerksam machte, worauf sie von ihrem Arbeitgeber versetzt und schließlich entlassen wurde. Weltweit bekannt wurde auch der Fall des bis dato unbekannten Zeitsoldaten Joseph Darby, durch den die Folterungen in Guantanamo publik wurden. Er musste später vor dem Hass seiner Landsleute fliehen. Darby, Vanunu, Kelly und Herbst sind sogenannte Whistleblower, mutige Menschen, die “die Warnpfeife geblasen haben”, um die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren. Es gibt Tausende namenlose Whistleblower, die von den Medien nicht wahrgenommen werden, wie z.B. ein Arbeiter, der Kollegen gegenüber geäußert hatte, dass es tödlich sei, Asbest mit dem Besen zusammenzufegen. Er wurde entlassen. Unangenehme Nachtrichten werden gern ignoriert, totgeschwiegen und wenn das nicht möglich ist, wird der Unglücksbote kaltgestellt. In den etablierten Wissenschaften ist es nicht anders. Ich möchte hier stellvertretend den 52jährigen Guillermo Eguiazu von der Universität Rosario, Argentinien, vorstellen. Er hat sich mit Risikotechnologien wie Gentechnik, Pestiziden und Elektrosmog befasst, vor allem aber mit dem karzinogenen Schimmelpilzgift Aflatoxin, das bei unsachgemäßer Lagerung von Getreide, Nüssen, Milchprodukten, etc. entsteht. Er wollte aber auch Verantwortung für seine Forschung übernehmen. Er engagierte sich für die Aufklärung der Bevölkerung mit Vorträgen auf dem Land und Büchern in einfacher Sprache. Er setzte sich sogar für ein Gesetz zur Reduzierung von Schimmelbildung in einer verbesserten Lagerhaltung ein. Die Universitätsleitung wies ihn zurecht: es sei nicht sein Job, die soziale Frage zu stellen, und erst recht nicht, sich in politisch-wirtschaftliche Entscheidungen einzumischen. Eines Morgens fand er sein Institut verwüstet. Danach wurde es in eine alte Hühnerschlachterei verfrachtet, während alle anderen Institute in wohlhabenden Gegenden untergebracht waren. Er und sein Assistent Alberto Motta gaben nicht auf. Sie entwickelten eine neue Wissenschaft, die Technopathogenologie, kurz TPG. Es geht dabei um die Früherkennung von gefährlichen pathogenen Entwicklungen und die Vermeidung von Risiken neuer Technologien. Das argentinische Bildungsministerium zählt ihn zu den qualifiziertesten Wissenschaftlern Argentiniens. Das nützte ihm allerdings nichts. Sein Gehalt wurde gekürzt, das des Assistenten gestrichen. Der Professor durfte zwar sein Institut selber putzen, aber nicht mehr lehren. Ein Protest der Studenten konnte daran nichts ändern. 2004 wurde die gesamte Laboreinrichtung auf einem Lastwagen abtransportiert. Teile des Inventars fanden sich später bei Kollegen. Das sind raue Sitten, aber, meine Damen und Herren, ähnlich heftig geht man weltweit mit Whistleblowern um. Sie decken Korruption und den Missbrauch technischer Macht in allen Bereichen der Gesellschaft auf. Sie folgen ihrem Gewissen um das Wohl der Allgemeinheit zu schützen, ohne in Betracht zu ziehen, welche Folgen das für sie persönlich haben kann. Statt belohnt zu werden, werden sie bestraft. Sie haben einen schlechten Ruf, gelten als illoyal und als Nestbeschmutzer, Staatsfeinde. Viele Whistleblower verlieren ihren Arbeitsplatz, werden in psychiatrische Kliniken gebracht oder ins Gefängnis. Wir brauchen Whistleblower!In 2000 Jahren hat sich die Welt nicht so sehr verändert, wie in den letzten 200 Jahren. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Zunahme der Weltbevölkerung, ein zweiter, die Entwicklung der Wissenschaften und ihre heute oft äußerst risikoreiche technologische Umsetzung. Wir wissen es alle, niemals in der Geschichte sind - durch den Menschen verursacht - so viele Tier- und Pflanzenarten ausgestorben, wie heute. Niemals wurden Boden, Wasser und Luft so sehr verseucht. Niemals wurden hemmungslos so viele Ressourcen verbraucht. Auch die forcierte Intention die Evolution selber in den Griff zu bekommen besonders durch sogenanntes
(um sich dabei noch als Retter der Welt zu fühlen), hat tragische Folgen für die gesamte Lebenswelt. Top Wissenschaftler und Nobel Preisträger wie Josef Rotblat, Max Born und José Lutzenberger haben ihre Warnungen oft und deutlich in die Welt geschickt. Sie haben Zweifel am Überleben der Menschheit. In unserer neoliberalen Gesellschaft werden Risiken für Gesundheit und Leben oft legalisiert, vor allem, bei der Aussicht auf hohe Gewinne. Konsum und Gewinnmaximierung sind quasi zu einer Religion geworden, beklagt José Lutzenberger. Die Wirtschaft hat mit ihrem Neoliberalismus in kürzester Zeit mehr Menschen missioniert, als der Katholizismus und der Protestantismus zusammen. Manchmal wird der sogenannte Risikofaktor einer Technologie berechnet. Auch wenn der bei 0,001 liegt, kann dies bezogen auf die Zeit Tausende Tote bedeuten. Mit mathematischen Größen kann man auf dem Papier sauberer manipulieren als wenn die Opfer mit Namen genannt werden. Wenn wir uns entwickeln wollen, müssen wir einen guten Blick auf große und kleine Konflikte und Katastrophen haben, die von Menschen verursacht oder nicht verhindert werden. Die Verletzlichkeit der Natur und des sozialen Friedens betrifft vor allem: 1. die Zerstörung der Grundlagen des Lebens und der Umwelt, und unbedacht zerstörerische Eingriffe in die Evolution; 2. die Gefährdung unserer Gesundheit; 3. die Bedrohung elementarer Menschenrechte; 4. geistige und finanzielle Korruption. Whistleblower sind das wache Gewissen einer Gesellschaft und notwendig für eine funktionierende Demokratie. Sie bilden eine Art Frühwarnsystem. Wir brauchen das dringend. Besonders Wirtschaft und Wissenschaft dürfen nicht weiter den Kopf in den Sand stecken. Wie war das doch noch? Ist die Wissenschaft nicht eigentlich der Wahrheit verpflichtet? Ich schreibe seit 1991 für Zeitungen und Magazine. Aufgrund eigener Erfahrungen bin ich in den Bereich Zivilcourage und Whistleblowing hineingeraten. Ich arbeite dafür, dass beide als Werte ins öffentliche Bewusstsein dringen. 1997 habe ich “Auf der Abschussliste”, mein erstes Buch über Whistleblowing herausgebracht. Inzwischen kann man den Begriff, für den es im Deutschen keine richtige Übersetzung gibt, sogar in kleineren Zeitungen finden. Ich bin Geschäftsführerin der Ethikschutz-Initiative, der wir jetzt auch die Bezeichnung Whistleblower-Netzwerk gegeben haben ( www.whistleblower-netzwerk.de ). Wir befassen uns vor allem mit Whistleblowern, die noch mitten im Prozess der Auseinandersetzung stehen. Wer helfen will, setzt sich zwischen alle Stühle. Das Ansehen der “Nestbeschmutzer” färbt auf die ab, die sich mit ihnen befassen. Wer will schon etwas mit scheinbaren Versagern zu tun haben, die keinen Erfolg haben, die gemieden, gedemütigt und bestraft werden? - Es ist nicht leicht, verzweifelten Menschen zu helfen, die am Boden zerstört und finanziell am Ende sind und doch eigentlich dachten, sie hätten etwas Gutes für die Allgemeinheit getan. Viele Organisationen, die sich um Whistleblower kümmern oder einen Preis vergeben, warten deshalb, bis sich die Whistleblower etabliert haben, bis sie in etlichen Talkshows aufgetreten sind und ihre einstmals unbequeme Botschaft mindestens von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert wurde. Solche Whistlebower sind natürlich besser als Vorbilder geeignet. Aber vorher müssen die Kartoffeln aus dem Feuer geholt werde. Dafür ist Mitgefühl notwendig. Gerade mitten in der Verfolgung brauchen Whistlebower Unterstützung. Man muss sich dann aber nicht nur mit diesem selbst befassen, sondern auch mit der umstrittenen Sache, das kostet viel Zeit und benötigt fachliches Wissen. Übrigens eine positive Nachricht: Whistleblower würden - so eine amerikanische Studie - zu 90 Prozent in der gleichen Situation wieder genauso handeln. In Amerika und England, wo Gesetze Whistleblowing schützen, hat sich das Ansehen dieser mutigen Leute entscheidend verbessert. Die Gesetze haben außerdem einen vorsorglichen Nebeneffekt: Potentielle Täter haben plötzlich mehr Angst, geistige oder finanzielle Korruption zu begehen. Es ist notwendig, den Dialog über Whistleblowing zu unterstützen und eine Kultur der Zivilcourage anzuregen, um in ganz Europa eine Basis für Gesetze zu schaffen. Im kommenden Frühjahr soll das nächste Buch über gefährliche Zivilcourage herauskommen, das ich zusammen mit einem Kollegen geschrieben habe. Ein Verlag, mit dem wir einen Vertrag hatten, hat kalte Füße bekommen, obwohl sich bereits eine bekannte TV-Show dafür interessiert hatte. Aber wir sind sicher, einen neuen Verlag zu finden. Whistleblower lassen sich nicht mundtot machen. Das Image der Whistleblower muss positiv besetzt werden. Sie sind die Helden des Alltags. Sie müssen aus dem Schatten der Gesellschaft heraustreten. Wer unser internationales Whistleblower-Netzwerk unterstützen möchte oder mitarbeiten möchte, ist dazu herzlich eingeladen. Unter anderem suchen wir dringend Juristen. … Es ist für mich eine besondere Freude und Ehre, den Rupert-Riedl-Preis zu bekommen. Ich hatte noch das Glück Prof. Riedl kennen zu lernen. Er war auch ein Mann, der Zivilcourage hatte. So unerschrocken, wie er sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat, ist er zu einem Vorbild geworden. Dieser Preis wird mich in meiner Arbeit bestärken. Herzlichen Dank! Antje Bultmann
Weblinks:
Quelle: Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit . E-Rundbrief - Info 454 vom 17.09.2006. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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