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Wehrlos gegen die Gewalt - jedoch keine Unterwerfung gegenüber Gewalttätigen

US-Kriegsdienstverweigerer Agustin Aguayo im Militärgefängnis Mannheim

Ermordete amische Schulmädchen beerdigt


Von Wolfgang Krauß - Brief vom 07.10.2006.


Liebe Geschwister,

am vergangenen Dienstag, dem Tag der deutschen Einheit, mögen manche von euch die Gelegenheit genutzt haben, am “Tag der offenen Moschee” mit muslimischen Nachbarn in Kontakt zu kommen. Auch ich hatte das vor, doch es kam anders.

Am Morgen erfuhr ich per Email, dass der US-Kriegsdienstverweigerer Agustin Aguayo um 11.45 aus USA nach Frankfurt-Flughafen zurückgebracht werde. Er hatte sich am 26.9.06 in der kalifornischen Militärbasis Fort Irwin gestellt, nachdem er am 2.9.06 in Schweinfurt vor der drohenden gewaltsamen Verlegung in den Irak untergetaucht war.

Ich rief Michael Sharp, meinen Kollegen von Military Counseling Network ( MCN ) an und gemeinsam mit Tim Huber und Jared Diener fuhren wir kurzentschlossen zum Flughafen.

Kurz zuvor hatte ich im Radio von dem Mord an Schulmädchen in einer amischen Schule bei Lancaster gehört. Ich war tief getroffen von dieser schrecklichen Nachricht. Letztes Jahr war ich in Lancaster gewesen und hatte dort und in Indiana Kontakt mit Amischen. Gibt es perfektere Opfer als gerade die Amischen? In Bekenntnis und Lebensstil vollkommen gewaltfrei, ja wehrlos. Selbst ihre Autoverweigerung hat Bezug zur Gewaltfreiheit. Eine amische Kutsche ist kein tödliches Geschoss, bei Unfällen ziehen amische Verkehrsteilnehmer die Gefahr auf sich. Amische Buggies tun der Schöpfung keine Gewalt an. Gibt es perfektere Opfer als kleine Mädchen in einer amischen Einraumschule?

Am Flughafen FfM finden wir schnell das Tor, wo die Passagiere von United Airline Flug 932 erwartet werden. Dort warten auch zwei baumlange Militärpolizisten. Außerdem zwei Frauen aus dem MCN-Netz. Bald können wir durch die sich immer wieder öffnenden Automatiktüren, Agustin sehen, wie er mit zwei weiteren Soldaten am Gepäckband auf seinen Koffer wartet. Die beiden anderen haben kein Gepäck, als sie aus der Schiebetür treten. Einer zieht Agustins Rollkoffer, der andere bleibt eng in seiner Nähe.

Die beiden Frauen gehen auf Agustin zu, umarmen und begrüßen ihn. Auch wir sagen Hallo. Doch außer den Begrüßungsworten darf er nicht reden. Man hat ihm Handschellen angelegt, die er durch ein darüber gelegtes Kleidungsstück verdeckt.

Ein Journalist von “Stars and Stripes” macht Fotos. Auch ich fotografiere. Zielstrebig gehen die vier Soldaten durch den Flughafen Richtung Parkhaus. Die zwei riesigen MPs scheinen ausgesucht zu sein, Agustin richtig kleinzumachen. Verwundert schauen uns manche Leute nach. Doch die meisten werden nicht bemerken, was hier vor sich geht.

Am Parkautomat angekommen zahlen die beiden Soldaten, die Agustin auf dem Flug von USA bewacht haben, ganz normal ihr Parkticket. Eine in ihrer vordergründigen Normalität gespenstische Szene. Die beiden sind übrigens vorgesetzte Offiziere aus Agustins Kaserne in Schweinfurt.

Im Parkhaus steigen sie zu fünft in den Aufzug und verschwinden in Richtung der höheren Parkdecks. Später erfahren wir von Agustins Anwalt, dass er ins Militärgefängnis in den Coleman Barracks bei Mannheim gebracht wurde. Was weiter geschieht, ist offen. Er wird sich in Deutschland oder im Irak einem Kriegsgerichtsverfahren stellen müssen.

Die nächsten Tage gibt es Anfragen im DMFK-Büro: Werdet ihr auf die Schultragödie reagieren? Ja, wir sollten, doch wie? Meine emotionale Betroffenheit hat mich bis heute daran gehindert. Ich erfahre, dass die Teilnehmer der gerade tagenden Theologischen Studientagung der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden einen Kondolenzgruß an die amischen Gemeinden geschickt haben. “Wir trauern mit euch über euren Verlust. Ihr seid in unseren Gebeten in dieser Zeit des Schmerzes.” Gute, einfache Worte.

Aus den Berichten der Lokalzeitungen in Lancaster erfahre ich von den ersten Beerdigungen, davon dass ältere Mädchen den Mörder gebeten haben, sie doch anstelle der anderen zu erschießen, von der Würde der Familien, die auch noch den ganzen Medientross und hunderte Fotografen ertragen müssen. Gewöhnlich möchten sie nicht fotografiert werden. Ich lese von der Sorge und vom Mitgefühl mit der Familie des Mörders, seiner Frau und seinen Kindern, von der Solidarität der amischen und mennonitischen Gemeinschaft mit den unmittelbar Betroffenen. Vom Mitgefühl der Menschen insgesamt in der Gegend.

Zwei Beispiele, die zunächst nichts miteinander zu tun haben. Und doch sind beides Menschen, die sich entschieden haben, keine Gewalt zu üben, wehrlos zu sein im Angesicht übermächtiger Gewalt, sich jedoch den Forderungen der Gewalttätigen nicht zu beugen.

Die 13jährige Marian Fischer, die den Mörder bittet, sie zuerst zu erschießen, in der Hoffnung anderen dadurch das Leben zu retten ..

Der 34jährige Soldat Agustin Aguayo, der für seine Weigerung weiter am Krieg teilzunehmen im Gefängnis sitzt, keine 30 km von meinem Schreibtisch entfernt.

Die eine aufgewachsen und erzogen in der Tradition einer Gemeinschaft, die seit Jahrhunderten auf dem Weg Jesu Gewalt verweigert. Überrascht durch den Einbruch der Gewalt in ihr ländliches Leben.

Der andere den Weg der Gewaltfreiheit und der Liebe neu entdeckend inmitten der Gewaltmaschine des US-Militärs.

Lasst uns beide in unseren Fürbitten vor Gott bringen.

Herzliche Grüße,

Wolfgang Krauß, DMFK


Wolfgang Krauß ist Mitarbeiter im DMFK   - Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee.

Veröffentlicht am

09. Oktober 2006

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