Irak steht vor der SpaltungLand marschiert Analysen von US-Militärs zufolge aufs Chaos zu / Machtkampf in BasraIrak nähert sich mit wachsender Geschwindigkeit dem Chaos - und die Militärs in Washington wissen es.Von Karl Grobe “Central Command”, die oberste militärische Instanz, hat den Verlauf der Dinge analysiert, eigentlich nur für den internen Dienstgebrauch, aber die Presse zwischen Ost- und Westküste der USA kam dahinter. Seit dem Sturm augenscheinlich sunnitischer Milizen auf eine heilige schiitische Stätte in Samarra haben die Gewaltakte zwischen beiden Konfessionen zugenommen, sagt die Analyse. Die Skala zwischen “Frieden” und “Chaos” weist zu 80 Prozent in Richtung Chaos. Und die USA haben, wie die Los Angeles Times kommentiert, “keine Kraft, um die blutige konfessionelle Gewalt, den wachenden Einfluss Irans in der gesamten Region, die mögliche Ausbreitung dieses Konflikts auf arabische Nachbarstaaten, den möglichen Aufstieg des antiamerikanischen Klerikers Muktada al-Sadr zur Macht und die Destabilisierung über den Irak hinaus aufzuhalten”. Krach in der Bagdader Regierung besteht, seit Premier Nuri al-Maliki die Blockade des schiitischen Quartiers Sadr City in Bagdad aufgehoben hat und so den Stabilitätsplan für die Hauptstadt - der letztlich auf “ethnische Säuberung”, also innerstädtische Apartheid, hinauslief - außer Kraft setzte. Maliki gehört zur Dawa-Partei, der ältesten schiitischen Widerstandsorganisation im Lande. Er steht dem radikalen Muktada al-Sadr näher als dem Führer der größten schiitischen Partei, Abdulasis al-Hakim. Dieser hatte sich vor einigen Tagen vehement für eine Aufgliederung des Landes in weitgehend unabhängige Teilregionen der Schiiten, der Kurden und der arabischen Sunniten eingesetzt; Maliki und Sadr sind Zentralisten. Spaltung besteht schonDie Spaltung des Landes besteht in Teilen schon. Die kurdischen Provinzen verwalten sich längst selbst, die Chefs der beiden wichtigen Parteien, Dschalal Talabani und Massud Barsani, haben einen anscheinend haltbaren Pakt geschlossen und kämpfen gemeinsam um die Rückgliederung der Region von Kirkuk in kurdische Zuständigkeit. Die Milizen (Peschmerga) vertreten die Aufgaben der irakischen Armee. Eine - von Hakim geforderte und als legale Möglichkeit durchgesetzte - schiitische Gesamtprovinz im Süden würde die Spaltung komplettieren. Die Vorstellung, damit wäre ein Ausgleich zwischen Schiiten und Sunniten erreichbar, ist Illusion. Das für die Sunniten übrig bleibende Gebiet erstreckt sich nicht auf die Ölquellen des Landes. Es hinge am Tropf der anderen beiden Regionen, und der verfassungsmäßige Anspruch auf Beteiligung an zukünftigen Einnahmen wäre kaum durchsetzbar. Zudem zieht die Spaltung des Landes die Apartheid in Bagdad zwingend nach sich. Die türkische Regierung will eine starke kurdische Region in Irak nicht dulden, weil diese auf die kurdischen Regionen in der Türkei ausstrahlt; ein vermutetes Rückzugsgebiet kurdischer Autonomisten wäre Interventionsgebiet. Und Saudi-Arabien fürchtet erstens die Sogwirkung auf die eigene schiitische Bevölkerung in der Nordostregion, in der die wichtigsten Ölquellen liegen, und zweitens einen wachsenden Einfluss Irans in der gesamten Region; in Iran ist die Schia, die zweitgrößte Konfession des Islam, Staatsreligion seit fast 500 Jahren. Hakim hat vor vier Wochen seinen Föderalisierungsplan mit 140 von 275 Stimmen absegnen lassen. Damit hat er auch eine Spaltung der schiitischen Szene provoziert. Die Konsequenzen sind absehbar - Konflikte zwischen verschiedenen Milizen in Basra gibt es seit Monaten. Der Machtkampf in der Hafenstadt vollzieht sich unter den Augen der dort zuständigen britischen Besatzung, deren “Operation Sinbad” zur Befriedung und Übergabe der Macht an die irakische Armee dieser Tage ins Leere geht. An eine Konfliktlösung für die gesamte Region, in der sich 45 Prozent aller Erdöllager finden, ist derzeit nicht zu denken. Sie müsste Iran einbeziehen. Das aber wollen weder die USA noch Saudi-Arabien zulassen. Das Chaos ist keine bloß irakische Tragödie mehr. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 04.11.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Weblink:
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