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Die Berichterstattung über den Nahen Osten oberflächlich und verzerrt

Von Robert Fisk, 09.11.2006

Journalisten im "Westen" sollten sich großer Schuld bewusst sein, weil vieles, was sich im Nahen Osten abspielt, mit ihrer Leichtgläubigkeit zu tun hat, die als fiktive Version der Ereignisse verkauft wird.

Ihren ständigen Hinweis auf einen "Zaun" anstelle eine Mauer, auf Siedlungen oder Wohngegenden anstelle von (jüdischen) Kolonien, ihre Beschreibung der Westbank als "umstrittenes" statt besetztes Gebiet, hat eine oberflächliche Art des Berichtes über den israelisch.-palästinensischen Konflikt hervorgebracht.

Genau wie im Irak als so viele Berichterstatter der großen westlichen Zeitungen und Fernsehstationen die lächerlichen Beschreibungen des US-Botschafters Bremer über die grausamen Aufständischen als "Dead-enders" oder "klägliche Reste" beschrieb - es ist die selbe Phrase, die weiterhin von unsern Kollegen in Kabul benützt wird - hinsichtlich einer deutlich wieder erwachenden Talibankraft, die trotz der Leugnungen Generals Musharrafs vom pakistanischen Geheimdienst (ISI) unterstützt wird.

Schlimmer jedoch ist das Versäumnis, die wirkliche Politik der Regierungen zu untersuchen. Warum gab es z.B. keine Behandlung der diesjährigen Herzlia-Konferenz auf der Titelseite der Zeitungen? Sie ist die wichtigste israelische politische Zusammenkunft….

Die Konferenz war der Ort, an dem Ehud Olmert zuerst vorgeschlagen hat, Streifen der Westbank abzugeben: "Die Wahl, ob Juden in allen Teilen des Landes Israels (Israel mit der Westbank) leben dürfen und damit in einem Staat mit jüdischer Mehrheit und also auch die Aufgabe von Teilen des Landes Israels. Wir können nicht weiter Teile der Gebiete kontrollieren, in denen die meisten Palästinenser leben."

Die Redner stimmten darin überein, dass den Palästinensern ein Staat auf dem Teil des Landes gegeben werden sollte, der übrig bleibt, wenn die Siedlungen durch die Mauer an Israel angeschlossen worden sind. Benjamin Nethanyahu schlug sogar vor, die Mauer noch tiefer in die Westbank hineinzubauen. Aber die Auswirkungen wurden deutlich.

Ein palästinensischer Staat soll genehmigt werden, aber ohne eine Hauptstadt in Ost-Jerusalem und ohne Verbindung zwischen dem Gazastreifen und den übertragenen Restteilen der Westbank. Also wird es keinen Frieden geben, und die Wörter "Palästinenser" und "Terrorist" wird unlösbar mit Israel und den USA verbunden sein.

Es gibt Artikel in der israelischen Presse über Herzliya, einschließlich einen von Sergio Della Pergola, in dem er vor der "Bedrohung" Israels durch die palästinensische Geburtsrate warnt und den Rat gibt, wenn der demographische Gleichstand nicht 2010 kommt, dann kommt er 2020". Bei früheren Konferenzen wurde schon die mögliche Notwendigkeit diskutiert, die Bürgerschaftsrechte einiger israelischer Araber zurückzunehmen.

Erst in diesem Jahr berichtete Haaretz von eine Meinungsumfrage, in der 68% der israelischen Juden sagten, sie würden sich weigern, mit einem Araber im selben Haus zu leben - … und 46 % der israelischen Juden sagten, sie würden einem Araber nicht erlauben, sie in ihrer Wohnung zu besuchen.

Der Wunsch der Trennung wird mit fallendem Einkommen der Befragten größer - so wie man erwartet hatte. Es gab aber keine Umfrage nach der palästinensischen Meinung, obwohl Palästinenser darauf verweisen können, dass zehntausende von Israelis in großen Siedlungen überall in der Westbank auf ihrem Lande leben, dass illegal in israelischen Händen bleibt.

All diese Details können in der arabischen Presse gelesen werden - und natürlich auch in der israelischen Presse - aber sie sind in weiten Teilen in unserer Presse nicht vorhanden. Warum? Sogar als Norman Finkelstein einen vernichtenden akademischen Bericht über die Art und Weise schrieb, wie der Oberste Gerichtshof "bestätigte", dass die Mauer vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag als illegal erachtet wurde - so wurde dies praktisch vom Westen ignoriert. Dasselbe gilt auch für die USA. Der Bericht der beiden Akademiker über die Macht der Israel-Lobby zwang die Amerikaner - nachdem der übliche Vorwurf des Antisemitismus kam, über die Berichte zu schreiben, wenn auch in falscher und erschrockenen Weise. Es gibt noch so viele Beispiele unserer Angst vor der nahöstlichen Wahrheit.

Ist dies wirklich das Beste, was wir Journalisten tun können. Abgesehen vom unermüdlichen Seymour Hersh, gibt es keine wirklich recherchierenden Korrespondenten bei der US-Presse.

Aber die Behörden herauszufordern sollte nicht so schwierig sein. Keiner ist darum gebeten worden, den offenen Bericht arabischer Tyranneien zu beenden. Noch werden wir dazu eingeladen zu fragen - und wir sollten fragen, warum die muslimische Welt so viele Diktatoren produziert hat, von denen die meisten von "uns" unterstützt werden. Doch gibt e zu viele dunkle Ecken, in die wir nicht schauen wollen. Wo sind z.B. die geheimen CIA-Folter-Gefängnisse? Ich kenne zwei Reporter, die von solchen Örtlichkeiten wissen. Aber sie schweigen - natürlich aus Gründen der "nationalen Sicherheit".

Und so machen wir weiter mit der Nahöstlichen Tragödie und erzählen der Welt, dass die Dinge besser werden, obwohl sie schlimmer werden, dass die Demokratie blüht, wenn sie im Blut versinkt, dass Freiheit nicht ohne "Geburtswehen" zu haben ist, während die Hebamme das Baby umbringt.

Es war schon immer meine Überzeugung, dass die Menschen in diesem Teil der Welt gerne etwas von unserer Demokratie hätten. Sie hätten auch gerne einige Päckchen der Menschenrechte von unserm Supermarkt. Sie wollen Freiheit. Aber sie wollen eine andere Art von Freiheit - sie wollen von uns befreit sein. Und genau diese Absicht haben wir nicht.

Genau dies aber führt unsere Nahost-Präsenz in noch größere Dunkelheit. Deshalb sitz ich auf meinem Balkon und frage mich, wo die nächste Explosion stattfinden wird - denn sie wird sicher stattfinden.

Um Bin Laden kümmert sich keiner mehr, ob er nun tot oder lebendig ist. Weil er wie Atomwissenschaftler die Bombe erfunden hat. Man könnte nun alle Atomwissenschaftler verhaften, doch die Bombe ist vorhanden. Bin-Laden schuf El-Qaida mitten im Brandherd des Nahen Ostens. Sie existiert. Seine Präsenz ist nicht mehr nötig.

Und rund um all diese Länder gibt es eine Legion junge Männer, die einen Schlag gegen uns, unsere Symbole und gegen unsere Geschichte vorbereiten. Und vielleicht sollte ich nun all meine Berichte mit den Worten beschließen: Passt auf!

 

Der Titel von Robert Fisks neues Buch lautet: "The Conquest of the Middle East".

 

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs. Originalartikel: Journalists’ Coverage of Middle East Shallow and Distorted .

 

Veröffentlicht am

19. November 2006

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