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Peinliches Schweigen

Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006: Ehrung für Major Florian Pfaff - das Verteidigungsministerium reagiert nach dem Prinzip der “Drei Affen”

Von Jürgen Rose

“Recht ist, was den Waffen nützt” - getreu dieser Maxime hat eine politische Justiz in Deutschland immer wieder das Recht instrumentalisiert, um schon jeden Anflug von Pazifismus zu unterdrücken und zu bekämpfen. Sie schreckte nicht davor zurück, Kriegsgegner wegen angeblichen Landesverrates, wegen Wehrkraftzersetzung, Nötigung und der Beleidigung von Soldaten anzuklagen. Eines der prominentesten Opfer dieser “furchtbaren Juristen” war Carl von Ossietzky, bis 1933 prominenter Herausgeber des linksliberalen Wochenblatts Weltbühne, außerdem Vorsitzender der Deutschen Liga für Menschenrechte, die sich bis zum Verbot im März 1933 für die in der Weimarer Verfassung verankerten demokratischen Rechte engagierte. Zusammen mit dem Luftfahrtexperten Walter Kreiser wurde von Ossietzky im November 1931 vom Reichsgericht in Leipzig wegen des Artikels Windiges aus der deutschen Luftfahrt mit der Begründung, er habe militärische Geheimnisse verraten, zu 18 Monaten Haft verurteilt. Nach 1933 ließ ihn das NS-Regime in einem Konzentrationslager internieren, woraufhin Carl von Ossietzky in Würdigung seines antifaschistischen Widerstandes 1935 der Friedensnobelpreis verliehen wurde - doch auch das konnte ihn nicht retten, er starb am 4. Mai 1938 an den Folgen jahrelanger Torturen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Berlin die neue Internationale Liga für Menschenrechte, die seit 1962 jährlich die Carl-von-Ossietzky-Medaille an Personen und Gruppen verleiht, deren Zivilcourage besondere Anerkennung verdient. In der Liste der Preisträger finden sich Günter Grass, Heinrich Böll, Heinrich Albertz, Rudolf Bahro, Lea Rosh und Friedrich Schorlemmer, aber auch Graswurzel-Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. oder die Bürgerinitiative FREIe HEIDe. In diesem Jahr nun werden die Medaille der Rechtsanwalt Bernhard Docke und der Bundeswehrmajor Florian Pfaff erhalten. Die Liga begründet ihre Entscheidung mit beider Engagement “im Kampf gegen die Aushöhlung menschen- und völkerrechtlicher Standards im ›Krieg gegen den Terror‹”.

Bernhard Docke ist der Verteidiger des nach Afghanistan verschleppten und bis August 2006 im US-Lager Guantánamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz, der an seiner Aussage festhält, während seiner Internierung auch von Bundeswehrsoldaten misshandelt worden zu sein, genauer: von Angehörigen des “Kommandos Spezialkräfte” aus Calw.

Dass es in den Reihen der Bundeswehr mit dem Respekt vor den Menschenrechten wie auch dem Grundgesetz mitunter nicht zum besten steht, demonstriert auch der Fall des Majors Florian Pfaff. Der hatte sich 2003 geweigert, weiter eine militärische Software zu entwickeln, die den Angriff der USA auf den Irak unterstützen sollte. Pfaff - so die Begründung der Menschenrechtsliga für ihr Votum - habe sich einem Befehl widersetzt, “dessen Befolgung ihn zum Mithelfer an dem unheilvollen, das Völkerrecht missachtenden Angriffskrieg gegen den Irak gemacht hätte”. Im Gegensatz zu jenen Kämpfern am Hindukusch, die sich gegenseitig bei perversen Selbstinszenierungen mit Totenköpfen ablichteten, sowie jenen Offizieren, die erwiesenermaßen solche Entgleisungen der ihnen Unterstellten deckten, steht Pfaff als Staatsbürger in Uniform für eine Bundeswehr, wie sie der Erfinder der “Inneren Führung”, der General, Friedensforscher und Militärphilosoph Wolf Graf von Baudissin, einst wollte. Eine nach seinen Vorstellungen geführte Armee sollte dem Bürger im militärischen Dienst seine ihm qua Verfassung verbrieften Menschen- und Bürgerrechte garantieren, die er im Ernstfall unter Einsatz seines Lebens verteidigen soll. Hierfür hat Pfaff gestritten, als er sein Grundrecht auf Gewissensfreiheit geltend machte. Wie konsequent er das tat, illustriert nicht zuletzt die Anerkennung, die ihm aus der Zivilgesellschaft zuteil wird. Schließlich - auch daran sei der Vollständigkeit halber erinnert - propagierte Baudissin einen Soldaten, für den nicht mehr zuvörderst das Schlachtfeld der Ort ist, an dem er sich zu bewähren hat, was heißt: “Die Frage nach der Kampfmotivation steht im Frieden nicht zur Debatte”. Gerade auch dafür steht der “Angriffskriegs-Verweigerer” Pfaff.

Auf den Punkt gebracht repräsentiert dieser Stabsoffizier genau jene moderne, post-heroische Armee, die menschenrechtskompatibel, demokratiekompatibel und friedenskompatibel ist, eine Truppe, bei der - wie es Baudissin formulierte - die “Demokratie nicht am Kasernentor aufhört”.

Unter Kameraden freilich stößt die Ehrung des Majors auf wenig Gegenliebe. “Sind wir jetzt die schlechteren Soldaten?”, lautete die pikierte Frage, als bekannt wurde, wer die Ossietzky-Medaille 2006 erhalten soll. Im Verteidigungsministerium gerierte man sich nach dem Vorbild der bekannten “Drei Affen”: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Auf die Anregung, eine gebührende Berichterstattung anzustoßen, antwortete der Chefredakteur der bundeswehrinternen Informationsplattform INTRANET aktuell, die ansonsten jede Nichtigkeit aus der Truppe akribisch rapportiert, mit Rückendeckung des Informations- und Pressestabes in Berlin: “Vielen Dank für den thematischen Vorschlag. Das Thema wird zur Zeit intern allerdings nicht gefahren. Mit freundlichen Grüßen …”

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 48 vom 01.12.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose.

Veröffentlicht am

02. Dezember 2006

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