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Blix-Report: Macht uns der Regen von gestern nicht nass?

Ein Weltabrüstungsgipfel über die unkontrolliert und ungezügelt wachsenden Arsenale von ABC-Waffen ist unumgänglich

Von Wolfgang Kötter

Als die schwedische Regierung diese Abrüstungskommission im Dezember 2003 ins Leben rief, betraute sie ihren renommierten Experten Hans Blix mit deren Leitung. Der 1928 in Uppsala geborene Rechtsprofessor hatte bis dahin nahezu sein gesamtes Berufsleben dem Thema internationale Sicherheit gewidmet. Er war Außenminister, später langjähriger Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und Chef der UN-Kontrollkommission für den Irak (UNMOVIC). Gerade diese Funktion brachte ihm die Feindschaft der Falken in der US-Regierung ein, weil er darauf bestand, in Irak weder ABC-Waffen noch deren Produktionsstätten entdeckt zu haben, und jede Militärintervention ablehnte. Blix trug mit dazu bei, dass der Sicherheitsrat den Amerikanern und Briten ein Plazet zum Irak-Einmarsch verweigerte.

Wie ein Wanderprediger zieht Hans Blix um den Globus und warnt die Menschheit vor dem selbstverschuldeten Untergang. In der UN-Generalversammlung appelliert er an die 192 Mitgliedsstaaten, den Kurs der Weltpolitik zu korrigieren und dem bereits vor über 60 Jahren formulierten Abrüstungsauftrag endlich nachzukommen. In Berlin beschwört er die Bundesregierung zu konstruktivem Handeln, denn sie übernimmt in einem Monat besondere Verantwortung als EU-Ratspräsident und Sprecher der G-8. Nun ruft der unermüdliche Blix vom Londoner Institute of International and Comparative Law aus zu einem Weltabrüstungsgipfel auf, um daraufhin wieder einmal als einsamer und weltfremder Rufer in der Wüste verschrien zu sein. Doch für alle, die an menschliche Vernunft glauben und darauf hoffen, die Zeitbombe der in Jahrzehnten angehäuften Massenvernichtungswaffen zu entschärfen, ist er der Abrüstungsstar Nr. 1.

Das Thema Rüstungskontrolle steckt nicht nur in einer Dauerkrise, es ist genau genommen tot: Verträge werden gebrochen, aufgekündigt oder unterlaufen. Neue kommen nicht zustande, multilaterale Gesprächsforen sind seit langem paralysiert. Inzwischen übersteigen die jährlichen Weltrüstungsausgaben mit mehr als einer Billion Dollar sogar die schwindelerregenden Höhen des Kalten Krieges, von denen man glaubte, sie seien nicht zu überbieten. Bei den inhumansten aller Tötungsmittel - den atomaren, biologischen und chemischen Waffen - zeichnen sich besorgniserregende Trends ab, die riesige, leider weitgehend ignorierte Gefahren für den Erhalt der menschlichen Zivilisation bergen.

In ihrer “Internationalen Kommission zu den Massenvernichtungswaffen” haben der Vorsitzende Blix und weitere hochkompetente Frauen und Männer (s. Übersicht) darüber nachgedacht, welche Auswege es geben kann. In einem mit Weapons of Terror betitelten Report entwickeln sie auf 227 Seiten Überlegungen für eine von ABC-Waffen freie Welt. Die Verfasser verstehen ihr Papier auch deshalb als Alarmruf, weil Kernwaffen erneut an Priorität in den Sicherheitsstrategien aller Großmächte gewinnen, die ihre Arsenale von derzeit über 27.000 Trägerraketen (in der Regel versehen mit maßgeschneiderten Sprengköpfen) noch aufstocken. “Solange nur ein Staat Atomwaffen hat, werden auch andere sie haben wollen”, warnen die Autoren des Blix-Reports. “Solange diese Waffen existieren, wird es auch das Risiko geben, dass sie eines Tages absichtlich oder bei einem Unfall benutzt werden. Jegliche Anwendung wäre katastrophal.”

Wenn sich der Aufrüstungstrend des begonnenen Jahrhunderts fortsetzt, könnte es schon im Jahr 2020 weitere zehn oder gar fünfzehn Atommächte geben. Wird sie nicht aufgehalten, könnte die Biotechnologie den Produzenten biologischer Waffen schon bald Krankheitserreger zur Verfügung stellen, die unser Vorstellungsvermögen übersteigen. Wenn Chemiewaffen weiterhin sehr viel langsamer als erforderlich abgerüstet werden, wächst die Gefahr einer flächendeckenden Umweltverseuchung. Eine bis dato völlig unkalkulierbare Bedrohung geht von terroristischen Gruppen aus, sofern sie - unter welchen Umständen auch immer - auf Massenvernichtungswaffen zugreifen können. Die verheerenden Folgen radiologischer Attacken oder der Auslösung einer weltweiten Pandemie mit Millionen Krankheitsopfern lassen sich erahnen.

In dieser Situation erklärt die Blix-Kommission: Massenvernichtungswaffen müssen “ausnahmslos und ein für allemal als illegal geächtet werden”, aber ohne eine kooperative und rechtsförmige internationale Ordnung wird das nicht möglich sein. Um so nachdrücklicher wird deshalb die bei den Nuklearmächten vorherrschende Meinung zurückgewiesen, “dass Atomwaffen in den Händen der einen keine Bedrohung darstellen, während sie im Besitz anderer die Welt einer tödlichen Gefahr aussetzen”. Natürlich hegen die Experten keine Illusion darüber, dass die Kernwaffenarsenale quasi über Nacht verschwinden könnten. Sie empfehlen daher ein abgestuftes Vorgehen und erinnern alle Nuklearwaffenstaaten daran, eingegangene völkerrechtliche Zusagen einzuhalten, auf den Ersteinsatz von Kernwaffen zu verzichten und den Nichtkernwaffenstaaten verbindliche Sicherheitsgarantien gegen atomare Angriffe zu geben. Um die Gefahr eines irrtümlichen Gebrauchs zu verringern, komme es zunächst darauf an - so der Report - den Status der Alarmbereitschaft für Nuklearwaffen zu senken und die Sprengköpfe von den Trägermitteln getrennt zu lagern. Zugleich sollte ein allgemeines Produktionsverbot für nukleares Spaltmaterial zu militärischen Zwecken die weitere quantitative Aufrüstung stoppen. Die Autoren sind überzeugt: Würden Atommächte ihre Potenziale nicht länger auch auf dem Territorium anderer Staaten stationieren, bestände die Aussicht, dass sich auch nukleare Schwellenländer wie Iran oder Nordkorea umstimmen ließen, jedweder atomaren Hybris abzuschwören. Im Übrigen bestätige der jüngste Atomwaffenversuch Pjöngjangs ausdrücklich alle Experten, die ein sofortiges oder schnellstmögliches Inkrafttreten des Teststoppvertrages für extrem wichtig halten. Schließlich gilt ein erfolgreich zur Explosion gebrachter Sprengsatzes nach wie vor als quasi selbsterteilter Ritterschlag, mit dem sich ein Staat die atomaren Weihen verschafft.

Weiter schlägt der Blix-Report vor, auf Raketenabwehrsysteme ebenso zu verzichten wie auf einen “Krieg der Sterne” überhaupt. Weil sie bisher vom Völkerrecht kaum erfasst sind, sollten auch Raketen und andere Trägermittel sowie nichtstrategische Kernwaffen, etwa die Sprengköpfe auf Kurzstreckenraketen und Atomminen, begrenzt werden. Im Nahen und Mittleren Osten oder auf der koreanischen Halbinsel könnten kernwaffenfreie Zonen deeskalierend wirken. Allerdings bedürfe das zuverlässiger internationaler Verifikation.

Die Warnungen der Blix-Kommission klingen beunruhigend - sie als Panikmache abzutun, wäre nicht nur leichtfertig, sondern verderbliche Ignoranz, gebietet der Report doch unverzügliches Handeln von Politikern auf höchster Ebene. Mag die lange Liste der Vorschläge noch so wohlbegründet sein, kein einziger davon dürfte angenommen werden, sollte es am politischen Willen zur Umkehr fehlen. Der von Hans Blix in seinem Londoner Aufruf geforderte Weltabrüstungsgipfel wäre daher nur sinnvoll, würden dort eine radikale Kurskorrektur und eine Reform der UN-Abrüstungsinstitutionen beschlossen, die nicht mehr als ein Schattendasein fristen. Nur wer unbeirrt handelt, so Blix, könne die Menschheit vom Abgrund der Selbstauslöschung hinweg führen.


Die Blix-Kommission
Hans Blix (Schweden) Kommissionsvorsitzender
Dewi Fortuna Anwar (Indonesien) Direktorin des Instituts für Sozial- und Humanwissenschaften, Jakarta
Alexei G. Arbatow (Russland) Direktor des Instituts für Weltwirtschaft (IMEMO), Moskau
Marcos de Azambuja (Brasilien) Ehem. UN- und Abrüstungsbotschafter
Alyson J. Bailes, (Großbritannien) Direktorin des SIPRI-Instituts, Stockholm
Jayantha Dhanapala (Sri Lanka) Ehem. Stellvertretender UN-Generalsekretär
Gareth Evans (Australien) Präsident der “Internationalen Krisengruppe”, Brüssel
Patricia Lewis (Irland) Direktorin UN-Abrüstungsinstituts UNIDIR
Masashi Nishihara (Japan) Präsident der Nationalen Verteidigungsakademie, Tokio
William J. Perry (USA) Ehem. US-Verteidigungsminister
Vasantha Raghavan (Indien) Präsident des Zentrums für Sicherheitsanalysen, Delhi
Prinz Hassan bin Talal (Jordanien) Präsident des “Club of Rome”
Zhenqiang Pan (China) Professor am Institut für Strategische Studien, Peking

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 49 vom 08.12.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter und des Verlags.

Veröffentlicht am

11. Dezember 2006

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