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Willkür-Staat: Libyen

Von Karl Grobe - Kommentar

Die libyschen Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt lassen aus mehreren Gründen schaudern. Die Todesstrafe kann grundsätzlich nicht akzeptiert werden, gleich ob sie in China, den USA oder in Nordafrika verhängt wird. Liegt dem Urteil wie jetzt beim Spruch des Berufungsgerichts in Tripolis mangelnde Beweiswürdigung zugrunde - wovon unabhängige Sachverständige ausgehen -, so kann das nicht hingenommen werden; der Verdacht der Rechtsbeugung besteht.

Libyens Außenminister Abdal Rahman Muhammad Schalgham verweist auf die Unabhängigkeit der Justiz in seinem Land. Das mag so sein; dann bestünde noch Hoffnung bis zu einer Entscheidung des Kassationsgerichts. Dafür gibt es eine Dreißig-Tage-Frist. Doch die Hoffnung ist vage. Die letzte Instanz müsste die Erkenntnis zulassen, dass das HIV-Virus nicht von böswilligen Ausländern verbreitet worden ist, sondern schon länger im Lande grassiert. Die obersten Richter säßen über das Gesundheitswesen Libyens zu Gericht, sofern die dort Verantwortlichen das Problem ignoriert haben. Das ist ein Politikum. Der Gerechtigkeit stehen innenpolitische Interessen des Regimes im Wege, das sich für das beste aller denkbaren hält.

Außenminister Schalgham meinte am Dienstag, das Image seines Landes sei perfekt. Das ist nun weniger der Fall als vorher. Das Urteil überschattet, was an Schritten zur Normalisierung der Auslandsbeziehungen bisher geschehen ist, von der Übernahme der Verantwortung für den Flugzeugabsturz in Lockerbie vor 18 Jahren bis zur Abkehr von der Unterstützung revolutionärer Bewegungen in nahezu aller Welt. Es hebt diese Schritte zwar nicht auf, es färbt das Bild des Ghaddafi-Landes aber wieder mit der Couleur eines Staates der behördlichen Willkür.

Es ist paradox: Selbst ein immerhin vorstellbares Machtwort aus dem Munde Moammar al-Ghaddafis, welches das Kassationsgericht zum Freispruch veranlassen könnte, ließe Libyen als Willkür-Staat erscheinen. Die jetzt in Frage gestellte Entwicklung der Beziehungen zur EU wäre vielleicht gerettet; Vertrauen aber kann sich nicht einstellen. Übrigens auch nicht in Libyen nach seinen Erfahrungen mit den unbegründbaren US-Bombardements vor zwanzig Jahren. Karl Grobe

Quelle: Frankfurter Rundschau   vom 20.12.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

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Veröffentlicht am

20. Dezember 2006

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