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Kofi Annan nimmt Abschied von der UNO

Nach zehn Amtsjahren geht der siebente Generalsekretär


Von Wolfgang Kötter

Mit “standing ovations” verabschiedeten die 192 Mitgliedstaaten der UN-Vollversammlung den Mann, der ein Jahrzehnt lang an der Spitze der Weltorganisation gestanden hat. Mit “tiefer Dankbarkeit” würdigten sie seinen “außerordentlichen Beitrag” zum Weltfrieden und zur internationalen Sicherheit sowie seine “mutigen Initiativen” wie etwa zur Verringerung der Armut, der Bekämpfung von Aids und für weltweite Bildung. Symbolträchtig spielten junge Musiker aus Israel, Palästina, den arabischen Ländern und Spanien - vereint im West-Eastern Divan Orchestra unter Leitung von Daniel Barenboim - Mozart und Brahms zur Verabschiedung des weithin als personifiziertes “Weltgewissen” gelobten Politikers. Der Abschied war überwältigend. Zu Beginn der Amtszeit Kofi Annans sah das ganz anders aus. Der Ghanaer galt zunächst nur als dritte Wahl und als “Madeleins Darling”, Liebling der US-amerikanischen UN-Botschafterin Albright, die seine Ernennung durchgesetzt hatte. Kofi Annan war der erste Schwarzafrikaner als höchster Weltpolitiker und er war der erste, der sich von der Pike auf durch die Hirachien der Organisation emporgearbeitet hatte.

Am Freitag geboren, am Freitag gewählt

Wirtschaftswissenschaften und Management hatte Annan zunächst in der Heimat und später in den Vereinigten Staaten und der Schweiz studiert. “Vor fast 50 Jahren, als ich als Student frisch aus Afrika nach Minnesota, kam, hatte ich viel zu lernen - angefangen bei der Tatsache, dass es nicht verpimpelt ist, bei minus 15 Grad Ohrenschützer zu tragen. Mein ganzes Leben war seither ein Lernprozess,” erinnerte er sich erst kürzlich. Ab 1962 arbeitete Annan in Genf für die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Menschenrechtskommission, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Wirtschaftskommission für Afrika. Von 1993 bis 1995 leitete er die Hauptabteilung für “Peacekeeping” (Friedenserhaltung) in der New Yorker Zentrale und war anschließend Sonderbeauftragter für Jugoslawien. verheiratet ist er mit der schwedischen Anwältin und Malerin Nane Maria Lagergren, sie haben drei erwachsene Kinder aus früheren Ehen.

Die Mitarbeiter im UN-Apparat sind ihrem Chef in Sympathie und Achtung zugetan. Nicht nur, dass sie in ihm einen der ihren sehen, sondern er räumte auch als eine der ersten Amtshandlungen mit dem Dünkel seines Vorgängers auf. Der bislang für den Secretary General reservierte Fahrstuhl im Sekretariatsgebäude wurde wieder für die Benutzung aller freigegeben, und so konnte es geschehen, dass der Hausherr gemeinsam mit den Mitarbeitern plaudernd zu seinem Büro in der 38. Etage fuhr. Niemand seiner Untergebenen hat von ihm je ein lautes Wort vernommen. Wenn Kofi Annan einen Raum betritt, versichern Augenzeugen, verbreitet sich unwillkürlich eine Atmosphäre der Autorität und des Respekts. “Kofi Annan spricht ganz leise, ohne seine Stimme zu heben, und doch hört ihm jeder fasziniert zu”, bemerkt ein Beobachter.

Erklärungen für seine enorme persönliche Ausstrahlung finden sich in Herkunft und Erziehung. Der “Sohn, der am Freitag geboren wurde” - wie sein Name Kofi übersetzt lautet - kam am 8. April 1938 in Kumasi im westlichen Ghana zur Welt. Sein Vater war Erbfolger eines Häuptlings des Fante-Volkes und zeitweise als Provinzgouverneur der damaligen britischen Kolonie Goldküste eingesetzt. Kofi wuchs gemeinsam mit drei Schwestern auf. Eigenverantwortung und Selbständigkeit gehörten dabei zu den prägenden Erziehungsprinzipen, und zuweilen veranstaltete der Vater eine Art “Gerichtsverhandlung”, in der die Geschwister sich für Unfug und Verfehlungen zu rechtfertigen hatten. Seine Kindheit und Jugend wurden vom selbstbewussten Geist der ghanischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1950er Jahren beeinflusst. Auch das anschließende Leben im Internat der Mfantsipim-Oberschule diente neben der intellektuellen Wissensvermittlung der moralischen und spirituellen Entwicklung des Heranwachsenden. “Ich fühle mich in einem tief greifenden Sinne afrikanisch”, bekannte er einmal, “meine Wurzeln sind zutiefst afrikanisch und die Dinge, die mir als Kind beigebracht wurden, sind mir sehr wichtig.”

Es war ebenfalls ein Freitag, als Kofi Annan am 13. Dezember 1996 zum siebten Generalsekretär der Vereinten Nationen gewählt wurde. Nach und nach emanzipierte er sich in dieser Funktion von seinen US-amerikanischen Förderern. Er trat zwar in der Form verbindlich auf, hielt jedoch mit Ausdauer und Geduld an wichtigen Grundsätzen multilateraler Politik fest. Der heute 68-jährige Politiker wuchs dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der multilateralen Diplomatie, aber auch durch sein höfliches Auftreten bei gleichzeitiger Festigkeit in der Sache zur weithin geachtete Autorität in diesem “schwierigsten Job der Welt”. Dialog, Toleranz und Versöhnung markierten das ethisches Koordinatensystem für Annans Tätigkeit an der Spitze der Weltorganisation. Die Verleihung des Friedensnobelpreises - übrigens an einem Freitag - im Jahre 2001 würdigte demonstrativ die Symbiose des Namens Kofi Annan mit der Institution UNO. Annan war indessen nie ein dogmatischer Pazifist. Seine Auffassung von der Notwendigkeit kollektiver Gewaltanwendung, wenn alle anderen Mittel scheitern, reifte durch schmerzhafte Erfahrungen und verbindet sich vor allem mit Begriffen wie Srebrenica und Ruanda, wo unschuldige Zivilisten barbarischen Verbrechen zum Opfer fielen, ohne das die UNO dies verhindern konnte. Beide Situationen erlebte Annan in führenden Positionen, und bis heute fühlt er sich schuldig. “Persönlich werde ich für immer von unserem Versagen verfolgt sein, den Völkermord in Ruanda zu verhindern oder aufzuhalten, bevor fast eine Million Menschen getötet wurden”, bekannte er reuevoll. Inzwischen zum Generalsekretär aufgestiegen, gelobte er, “die Vereinten Nationen zu befähigen, nie wieder beim Schutz einer Zivilbevölkerung vor Völkermord oder massenhaftem Abschlachten zu versagen.”

Annans Reformbemühungen widerspiegeln die weltpolitischen Veränderungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und lassen die Suche nach einem den veränderten Herausforderungen adäquaten Konzept für die Weltorganisation erkennen. Er selbst hat während seiner Amtszeit ein beträchtliches Maß an innerer Reform geleistet und im Rahmen seiner Zuständigkeiten eine “stille Revolution” vollbracht. Um die Effizienz des Sekretariats zu verbessern, führte er eine neue Managementkultur ein. Zur Unterstützung berief er die Kanadierin Luise Fréchette als erste Stellvertreterin, die gleichzeitig einem Leitungsdirektorium vorsteht, das kollektive Grundsatzbeschlüsse fast und auch die Chefs der Außenposten in Genf, Nairobi, Rom und Wien einschließt. Die inneren Strukturen des Sekretariats wurden optimiert, eine vernetzte, computergestützte Personal-, Sach- und Haushaltsverwaltung eingeführt. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich bedeutend verringert und es werden strengere Kriterien zur Leistungsbeurteilung der Bediensteten angewendet.

Gescheitert an USA-Torpedos

Andere, grundsätzliche Veränderungen der UNO, so betonte Annan immer wieder, die auch Einschnitte in die Souveränitätsansprüche der Mitgliedstaaten bedeuten, müssen die Regierungen selber vornehmen. Auf dem “Millennium+5”-Gipfel im Jahre 2005 sollte der Durchbruch zu einer umfassenden Reform erzielt werden. Doch die USA torpedierten das Projekt frontal. Die Bush-Regierung will ihren außenpolitischen Handlungsspielraum von niemandem einschränken lassen und nimmt für sich das unilaterale Faustrecht zum “präemptiven” Einsatz militärischer Gewalt in Anspruch. Statt auf eine Stärkung der Weltorganisation setzt Washington deshalb auf striktere administrative Reglementierung von außen. Mit Hunderten Veränderungsanträgen an dem nahezu unterschriftsreifen Reformdokument zerstörte der eigens zu diesem Zweck nach New York beorderte Botschafter John Bolton den bereits erzielten Konsens. So endete das Spitzentreffen mit einer unverbindlichen und verwässerten Absichtserklärung, in der substantielle Beschlüsse kaum enthalten oder völlig eliminiert waren.

Kofi Annan empfand das weitgehende Scheitern des Reformgipfels auch als persönliche Niederlage. Aber als sein eigentliches Schicksal erwies sich der Konflikt um den Irak. Für eine friedliche Lösung hatte er sich immer wieder auch persönlich stark gemacht. Als die USA bereits im Februar 1998 mit einem Bombenangriff drohten, eilte Annan nach Bagdad. Er rang Saddam Hussein das Zugeständnis ab, internationale Kontrollen der Waffeninspektoren auch in Regierungspalästen zu akzeptieren. Der Angriff war so zunächst abgewendet, und bei seiner Rückkehr nach New York bejubelten ihn die UN-Mitarbeiter wie einen Friedensengel. Doch letztlich konnte die Militäraktion vom März 2003 nicht verhindert werden. Nach dem Eingreifen der NATO im Kosovo von 1999 wurde die Weltorganisation zum zweiten Mal ignoriert und ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats Krieg geführt. Der “schlimmste Moment” seiner Amtszeit sei der Irak-Krieg gewesen, bekannte Annan noch auf seiner letzten Pressekonferenz vor wenigen Tagen, er habe alles ihm Mögliche getan, um ihn zu verhindern. Unmissverständlich hatte er die völkerrechtswidrige Aktion verurteilt und den Krieg als “illegal” bezeichnet. Die UNO-Hasser in den USA erkoren ihn damit endgültig zu ihrem Lieblingsfeind. Sie forschten fieberhaft nach Angriffspunkten gegen die persönliche Integrität Annans, um ihn zu demontieren. Schließlich glaubten sie, im Irak-Programm “Öl für Lebensmittel” fündig zu werden, das die Sanktionsauswirkungen auf die Zivilbevölkerung durch dringend benötigte Warenlieferungen lindern sollte. Um den Anschuldigungen auf den Grund zu gehen, setzte Annan eine unabhängige Untersuchungskommission unter Leitung des früheren amerikanischen Notenbankchefs Paul Volcker ein. Diese entdeckte massive Bestechung und Korruption von Unternehmern, Politikern und Amtsträgern aus über fünfzig Ländern, die Schmiergelder in Millionenhöhe für lukrative Aufträge und Gewinne zahlten bzw. einsteckten. Aufgedeckt wurden aber ebenfalls finanzielle Unregelmäßigkeiten der für die UNO tätigen Schweizer Firma Cotecna, in die auch Annans Sohn Kojo verwickelt war. Der Vater distanzierte sich vom Verhalten seines missratenen Sprösslings und versicherte, er habe von dessen dubiosen Geschäftsbeziehungen nichts gewusst. Zwar wurden Kofi Annan selbst keine Vergehen nachgewiesen und die Kommission sprach ihn von persönlicher Schuld frei. Der Bericht lastete dem Generalsekretär jedoch ernsthafte Versäumnisse bei der internen Kontrolle und im Vorgehen gegen hauseigene Korruption an. So legte sich ein Schatten auf die letzten Monate seiner Amtszeit.

Jeder Nachfolger braucht ein dickes Fell

Es ist wieder ein Freitag, wenn sich Kofi Annan heute, am 29. Dezember zum letzten Arbeitstag in den gläsernen Wolkenkratzer an Manhattans East River begibt. “Ich werde diesen Job vermissen, der am Ende eben doch der herrlichste der Welt ist”, gestand er nicht ohne Wehmut. Seinem Nachfolger Ban Ki-Moon aus Südkorea sagte Annan, in dieser Funktion müsse man ein dickes Fell haben. Und das wird dieser bitter nötig haben, denn auf ihn warten nun gewaltige Aufgaben: Massenmord in Darfur, Gewaltexplosion in Nahost und ein blutiger Bürgerkrieg in Irak sind nur einige der brennenden Probleme.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels von Wolfgang Kötter erschien ebenfalls bei ND vom 29.12.2006.

Veröffentlicht am

30. Dezember 2006

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