Zahl der kriegerischen Konflikte gegenüber dem Vorjahr unverändert
Das Kriegsgeschehen des Jahres 2006: Allgemeine Trends
Nach Untersuchungen Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg wurden im Jahr 2006 weltweit 43 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt. Im Vergleich zum Vorjahr ist diese Zahl damit konstant geblieben. Drei neuen stehen drei beendete kriegerische Konflikte gegenüber.
Beendet wurde der Krieg in Indonesien, der seit 1999 um die Unabhängigkeit der Provinz Aceh im Westen des Landes geführt wurde. Ebenso konnte der Krieg im Nordosten Indiens, in dem die Bodos seit 1997 für mehr Selbständigkeit kämpften, beendet werden. Auch über den bewaffneten Konflikt in der Region Gambela im Westen Äthiopiens, der seit 2003 sporadisch eskalierte, lagen 2006 keine Meldungen über kriegerische Auseinandersetzungen vor.
Drei bewaffnete Konflikte wurden 2006 neu registriert. Die Kämpfe in der Zentralafrikanischen Republik stehen einerseits im Zusammenhang mit dem Krieg im benachbarten Sudan. Andererseits befinden sich unter den Rebellen auch Anhänger des 2003 durch einen Krieg gestürzten Präsidenten. In Osttimor eskalierte die Entlassung von fast der Hälfte der kleinen 1.400 Mann umfassenden Armee Ende April zu einem mehrere Wochen andauernden bewaffneten Konflikt, in dem die Vertretung der unterschiedlichen Landesteile in Regierung und Verwaltung eine wesentliche Rolle spielt. In der brasilianischen Metropole Sao Paulo wurde das öffentliche Leben durch bewaffnete Auseinandersetzungen teilweise zum Erliegen gebracht. Mitte Mai und erneut im Juli und August startete eine ursprünglich als Selbsthilfeorganisation in den Haftanstalten gegründete Gruppe jeweils über 100 Angriffe und Anschläge auf Polizeistationen sowie Banken, Tankstellen und Busse.
Das Gleichbleiben der Zahl der kriegerischen Konflikte ist allerdings trügerisch, da einige der “andauernden” kriegerischen Konflikte erst gegen Ende des Jahres 2005 eskalierten. Dazu zählen vor allem die 2006 neu als Krieg eingestuften Auseinandersetzungen in Sri Lanka und der pakistanischen Provinz Belutschistan.
Die von organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffene Weltregion ist nach wie vor Asien mit 16 kriegerischen Konflikten. Mit 12 bzw. 11 Kriegen und bewaffneten Konflikten weisen aber auch Afrika und der Vordere und Mittlere Orient eine große Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen auf. In Lateinamerika waren vier kriegerische Konflikte zu verzeichnen. Damit bestätigt sich auch im Jahr 2006 die regionale Ungleichverteilung des weltweiten Kriegsgeschehens: Weit über 90 Prozent aller Kriege finden in der “Dritten Welt” statt.
Das Kriegsgeschehen des Jahres 2006: Überblick
Insbesondere drei Konflikte erregten 2006 öffentliches Interesse. Neben dem Krieg im Irak, der seit 2003 regelmäßig im Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit steht, galt dies 2006 aufgrund des weiteren Erstarkens der Taliban auch für den so genannten Antiterrorkrieg in Afghanistan. Speziell für Deutschland spielte dabei die Frage der Ausweitung des ISAF-Einsatzes auf den Süden des Landes eine große Rolle. Der dritte vielbeachtete Konflikt fand im Libanon statt. Dort eskalierten die seit Jahrzehnten im Südlibanon stattfindenden Kämpfe zwischen Israel und der libanesischen Miliz Hizb-allah Mitte Juli zum Krieg, als Israel in Reaktion auf die Entführung zweier Soldaten seine Angriffe auf den gesamten Libanon ausweitete.
Als Konflikt mit den weltweit gravierendsten humanitären Auswirkungen dauerte im Sudan der Krieg in der Region Darfur an. Dieser wurde aber 2006 nur sporadisch beachtet. Im Jahr 2006 weitete sich der Konflikt zudem durch die wechselseitige Unterstützung von Rebellengruppen geografisch aus: Neben den neu registrierten kriegerischen Auseinandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republik eskalierte der bisherige bewaffnete Konflikt im Tschad zum Krieg.
Über den Einsatz der europäischen EUFOR-Truppe zur Absicherung der Wahlen in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa geriet weitgehend in Vergessenheit, dass im Osten des Landes immer noch Kämpfe stattfinden. Hoffnungen auf ein Ende des Krieges bestehen vor allem in Burundi. Negativ verlief die Entwicklung dagegen in Somalia. Um die schwache Übergangsregierung zu stützen intervenierte das Nachbarland Äthiopien in den Krieg. Keine wesentlichen Veränderungen ergaben sich in den bewaffneten Konflikten in der angolanischen Exclave Cabinda, in der senegalesischen Casamance, in der Côte d’Ivoire und in Nigeria.
Von den 16 kriegerischen Konflikten in Asien erhielten 2006 zwei Kriege zeitweise größere öffentliche Aufmerksamkeit. In Nepal konnte nach der Beschränkung der Macht des Königs durch die zivile Opposition ein Friedensabkommen mit den “maoistischen” Rebellen geschlossen werden. Dagegen eskalierte auf Sri Lanka, der 2002 durch einen Waffenstillstand beendete Tamilenkonflikt Ende 2005 erneut zum Krieg. Auch der im Frühjahr in Osttimor ausgebrochene bewaffnete Konflikt machte kurzzeitig Schlagzeilen.
Weniger Beachtung erhielt der Ende des Jahres 2005 eskalierte Konflikt im pakistanischen Belutschistan, wo Rebellen für eine größere Autonomie ihrer Provinz kämpfen. Abgeschwächt hat sich der Konflikt zwischen der laotischen Regierung und der Hmong-Minderheit, nachdem die Rebellen militärisch entscheidend geschwächt wurden.
Alle anderen kriegerischen Konflikte in Asien wiesen keine wesentlichen Veränderungen auf. Die im Jahr 2005 erfolgte Beendigung des Krieges um mehr Selbständigkeit der Bodo-Minderheit in Indien zeigte bislang noch keine grundlegenden Auswirkungen auf die drei ebenfalls im Nordosten des Landes geführten kriegerischen Konflikte in Assam, Tripura und Nagaland. Auch in den beiden anderen in Indien geführten Kriegen zwischen kaschmirischen bzw. “maoistischen” Rebellen und staatlichen Sicherheitskräften gab es keine bedeutenden Veränderungen. Die übrigen sechs kriegerischen Konflikte Asiens in Pakistan, dem indonesischen Westpapua, Myanmar und dem südlichen Thailand sowie die beiden Kriege auf den Philippinen dauerten ebenfalls an.
Im Vorderen und Mittleren Orient wurden 2006 neben den Kriegen im Irak und dem so genannten Antiterrorkrieg gegen die Taliban in Afghanistan noch neun weitere Konflikte gewaltsam ausgetragen. Traditionell steht dabei der Nahostkonflikt im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Im Jahr 2006 galt dies insbesondere für den im Sommer zum Krieg eskalierten Konflikt zwischen der libanesischen Miliz Hisballah und den israelischen Streitkräften. Aber auch der Krieg zwischen palästinensischen bewaffneten Gruppen und dem israelischen Militär dauerte an.
Wenig Veränderungen ergaben sich 2006 in den kriegerischen Konflikten im russischen Tschetschenien, in der georgischen Region Südossetien, in den kurdischen Gebieten der Türkei, in Jemen und in Algerien. Durch das Erstarken und die damit verbundene regionale Ausbreitung der Taliban einerseits und die Zusammenlegung der Operation Enduring Freedom mit dem Auftrag der internationalen Schutztruppe ISAF andererseits vermischte sich der so genannte Antiterrorkrieg zunehmend mit den übrigen bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan.
In Süd- und Mittelamerika war ein neuer bewaffneter Konflikt zu verzeichnen. Die ursprünglich als Selbsthilfeorganisation von Häftlingen gegründete Gruppe PCC ist mittlerweile auch außerhalb der Haftanstalten mit legalen und illegalen Geschäften aktiv. Im Mai löste der Versuch der Sicherheitsbehörden, den PCC-Anführer in ein anderes Gefängnis zu verlegen, eine Welle der Gewalt in der Metropole Sao Paulo aus, deren öffentliches Leben dadurch zeitweise zum Erliegen kam. Im Juli und August wurden erneut über 100 Angriffe und Anschläge auf Polizeistationen sowie Banken, Tankstellen und Busse verübt.
Die beiden seit über vier Jahrzehnten zwischen zwei “linksgerichteten” Rebellengruppierungen und der Regierung Kolumbiens geführten Kriege dauerten ebenso an wie der bewaffnete Konflikt in Haiti.
Quelle:
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
Universität Hamburg - Pressemitteilung vom 16.12.2006.
Diese Pressemitteilung zusätzlich versehen mit Grafiken zur Entwicklung des Kriegsgeschehens und einer Liste der im Jahr 2006 geführten Kriege steht hier zum Download zur Verfügung
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AKUF-Kriegsdefinition
“Krieg” definiert die AKUF in Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István Kende (1917-1988) als einen “gewaltsamen Massenkonflikt, der alle folgenden Merkmale ausweist: (a) an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt; (b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen, Partisanenkrieg usw.); (c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, d.h. beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet eines oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern.” Kriege gelten als beendet, soweit Kampfhandlungen dauerhaft, d.h. für mindestens ein Jahr, eingestellt bzw. nur unterhalb der Schwelle der AKUF-Kriegsdefinitionfortgesetzt werden.
Bei einem “bewaffneten Konflikt” handelt es sich um gewaltsame Auseinandersetzungen, bei denen die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllt sind.