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Die Kreuzfahrer sind voller Ungeduld

“Demokratien” gegen “Islamofaschisten”: Vom Kampfbegriff zur Kriegsallianz

Von Mohssen Massarrat

Atomschlag gegen den Iran? Die britische Sunday Times, das Blatt eines neokonservativen Verlages, überraschte am 7. Januar 2007 die Welt erneut mit der Horrormeldung, Israels Militär plane, iranische Atomanlagen in Natanz, Isfahan und Arak mit Kernsprengköpfen von der 15-fachen Wirkung der Hiroshima-Bombe zu zerstören. Schon einmal, im März 2005, hatte dieselbe Zeitung davon gesprochen, dass die israelische Regierung Atomschläge gegen den Iran vorbereite. Trotz offizieller Dementis aus Jerusalem darf die Meldung vom 7. Januar nicht als dramatisierendes Geplänkel abgetan werden. Im Gegenteil, sie ist nicht nur deshalb äußerst beunruhigend, weil erstmals von Übungsflügen der Israelis für einen speziellen Einsatz im Iran die Rede ist, sondern wir zugleich erleben, wie die psychologische Einstimmung auf einen Militärschlag auf Hochtouren läuft und dank des UN-Sanktionsbeschlusses am 26. Dezember 2006 gegen den Iran erstmals ein UN-gestützter Eskalationsfahrplan möglich ist.

Es ist ohnehin unverkennbar: Die Bush-Regierung und die besonders verrückten neokonservativen Hardliner, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen, haben - trotz des Irak-Desasters und trotz des Debakels der Republikaner bei den jüngsten Kongresswahlen - nie ihr Ziel aufgegeben, einen Krieg gegen den Iran heraufzubeschwören. Sie halten die Islamische Republik für das größte Hindernis, um einen Zugriff der USA auf den Nahen und Mittleren Osten sowie dessen Energiereserven vollständig durchzusetzen und den Status Israels, des US-Hauptverbündeten, als Hegemonialmacht in dieser Region zu festigen.

Der renommierte Enthüllungsjournalist Daniel Elsberg beschuldigte in der Frankfurter Rundschau vom 13. Dezember 2006 George Bush und Dick Cheney, “ihre Militärstäbe insgeheim angewiesen zu haben, mögliche Atomangriffe auf unterirdische Atomenergie-Anlagen im Iran zu planen, ebenso wie umfassende konventionelle Luftangriffe auf überirdische Anlagen und Kommandoposten.” Laut Elsberg seien “viele hohe Offiziere und Regierungsbeamte überzeugt, dass Präsident Bush vor dem Ende seiner Amtszeit in zwei Jahren einen Regime-Wechsel im Iran anstrebt.” Er und sein Vizepräsident seien dazu insgeheim nicht weniger entschlossen als seinerzeit zum Angriff auf den Irak. Um den Worst Case zu verhindern und Menschenleben zu retten, fordert Elsberg Beamte und Militärs in der US-Administration auf, ihr Schweigen endlich zu brechen und auch einen Verrat nicht zu scheuen.

Also ein neuer Krieg im Mittleren und Nahen Osten? Und wenn, dann mit Kernwaffen? Übertreiben da die ewig hysterischen Propheten der Apokalypse, Seymour Hersh, Scott Ritter und Daniel Elsberg, nicht doch ein wenig? Sollte man deren Warnungen angesichts der Sackgasse, in die sich die Amerikaner im Irak manövriert haben, nicht für völlig überzogen halten? Viele - vor allem in Europa - wollen der demokratisch gewählten Regierung der westlichen Führungsmacht so viel Dummheit und Unvernunft nicht zutrauen. Ein neuer Krieg, der das schon jetzt angerichtete Chaos im Mittleren und Nahen Osten um ein Vielfaches potenzieren würde, widerspräche in der Tat jedweder menschlichen Logik. Ganz abgesehen davon, dass er in jeder Hinsicht illegal und illegitim wäre.

Was aber, wenn trotz aller Logik die allein entscheidenden Hegemonialinteressen des mächtigsten Staates die Oberhand gewinnen? Gerade, weil sich die Vernunftlogik mit der Machtlogik nicht deckt, muss ein möglicher Iran-Krieg in einen ideologischen Kontext gestellt werden, in dem Ressentiments, Emotionen und tief verwurzelte niedere Beweggründe die menschliche Vernunft beiseite schieben und die Legitimationslücke schließen.

Gesucht wurde daher nach einem aggressiv-hegemonialen Kampfbegriff - gefunden wurde die Formel vom “Krieg der Demokratie gegen den Islamo-Faschismus”, den Think Tanks in Washington und Tel Aviv als besonders perfide Neuauflage von Huntingtons “Kampf der Kulturen” präsentieren und seit einigen Jahren medial in Szene setzen. In Deutschland hat dazu bereits Josef Joffe mit seinem Leitartikel Islamo-Faschismus in der Zeit vom 18. März 2004 die Vorarbeit geleistet. Henryk Broder nahm inzwischen Joffes Vorlage an, auch der Holländer Leon de Winter gehört in den hiesigen Medien zum Kreis der Propagandisten der neuen Kampfparole. Ayaan Hirsi Ali, eine aus Somalia stammende Holländerin, die seit kurzem im US-Think Tank American Enterprise Institute ihr Brot verdient, lässt keine mediale Gelegenheit aus, um das Feindbild “Islamo-Faschismus” an die Wand zu malen, den Islam als böse und inhuman darzustellen, ihn für ihr persönliches Leid und die Beschneidung von afrikanischen Frauen auch dort verantwortlich zu machen, wo er als Religion nie Wurzeln geschlagen hat.

Diese und weniger prominente Damen und Herren, die sich gegenseitig hofieren, rechtfertigen in den Medien Amerikas Kriege in Afghanistan und im Irak, Israels Kriege im Libanon und in Palästina, neuerdings auch den Krieg des ostafrikanischen US-Alliierten Äthiopien in Somalia. Und sie widmen sich mit Hingabe einer Intervention gegen den Iran.

Das Ziel des Kampfbegriffs “Islamo-Faschismus” liegt auf der Hand: Er suggeriert, der Islam sei nicht demokratie-, sondern faschismus-kompatibel, ergo müssten alle westlichen in “christlich-jüdischer” Tradition stehenden Demokratien endlich die Gefahr eines neuen weltumspannenden, eben islamischen Faschismus erkennen, ergo dürften die USA und Israel, die an vorderster Front gegen diese Gefahr ihren präventiven Krieg führen, nicht allein bleiben, sondern verdienten Unterstützung, selbst wenn sie auf Atomwaffen zurückgreifen. Nichts sei daher für die westlichen Staaten wichtiger als einen amerikanisch-israelischen Krieg gegen den Iran - die Speerspitze des “islamischen Faschismus” - endlich gutzuheißen.

In seinem rechtzeitig für die aktuelle Kriegspropaganda erschienenen “Bestseller” Hurra, wir kapitulieren. Von der Lust am Einknicken warnt Henryk Broder eindringlich vor der “Selbstaufgabe Europas vor moslemischen Horden”. Er malt das Gespenst von “1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zu Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen” an die Wand und plädiert mit der Suggestivfrage “Was wären die Folgeschäden eines iranischen Atomschlages?” indirekt für einen präventiven Atomkrieg gegen den Iran. Der israelische Historiker Benny Morris haut in der Welt vom 6. Januar 2007 in die gleiche Kerbe, indem er wortreich einen “zweiten Holocaust” beschwört, den nun Irans islamische Führung mit Kernwaffen vom Zaun brechen wolle, die diese noch gar nicht besitzt.

Knut Mellenthin belegt in einem noch nicht veröffentlichten Beitrag für die Zeitschrift Wissenschaft und Frieden (Nr. 1/2007), dass Henryk Broder genau genommen der late comer in einer internationalen Kampagne ist, die sich stets der gleichen Folie bedient. Mit Überschriften in englischsprachigen Medien wie “How Europe Died”, “While Europe Slept”, “Europe´s Suicide?”, “Eurabia is no Fairytale”, “Goodbye Europe” und Ähnlichem wird die westliche Welt aufgehetzt, den neuen globalen Kreuzzug nicht länger hinauszuschieben. Sie zielen nach dem aus den dreißiger Jahren bekannten Muster darauf ab, wie seinerzeit das Judentum nun den Islam insgesamt und den Iran im besonderen zu dämonisieren und mit dem Kampfruf “Westen erwache” im Mittleren und Nahen Osten die Initialzündung für einen Krieg gegen den “islamischen Feind” auszulösen.

Allerdings sind an dieser psychologischen Kriegsvorbereitung Populisten vom Schlage Mahmud Ahmadinedschads nicht ohne Schuld. Irans Präsident liefert mit seinen antiisraelischen Verbalattacken westlichen PR-Agenturen und Hasspredigern wie Broder reichlich Munition. Ahmadinedschad ist freilich nicht der erste Politiker aus dem Mittleren und Nahen Osten, der Israels Existenz in Frage stellt. Derartige Drohungen, wie man sie auch vom ägyptischen Präsidenten Nasser in den sechziger Jahren zu hören bekam, waren und sind nichts als Bluff. Weder besaß das Ägypten von damals die Fähigkeit, noch ist der Iran von heute in der Lage, Israel zu vernichten. Wer derartige Absichten hegt, entscheidet sich angesichts der nuklearen Erstschlagskapazitäten Israels für die eigene Vernichtung gleich mit. Das weiß die Führung in Teheran, das weiß auch jeder, der das Einmaleins der nuklearen Abschreckungslogik kennt, das weiß selbstverständlich auch Henryk Broder, dem es offenbar nichts ausmacht, die Öffentlichkeit trotzdem zu täuschen. Ginge es allein nach den Vorstellungen der Hardliner unter den US-Neocons und jener Kreise in Israel um den Halbfaschisten Avigdor Lieberman, den für strategische Fragen inklusive Iran zuständigen Minister im Kabinett Olmert, dann müssten wir uns auf einen schrecklichen Krieg und globalen Kreuzzug, zumindest auf ein neues blutiges Chaos weit über die nahöstliche Region hinaus, einstellen.

Beobachtet man aufmerksam die jüngsten Ereignisse, wird Washingtons Doppelstrategie erkennbar: Zum einen die Dämonisierung, zum anderen die gezielte Provokation des Iran. Mit dem Libanon-Krieg im Sommer 2006 setzten Hardliner in Washington und Tel Aviv auf eine Überreaktion des Iran. Die Regierung in Teheran tappte jedoch dank moderater Realisten wie dem ehemaligen Präsidenten Rafsandjani, die in Sicherheitsfragen immer noch viel zu sagen haben, nicht in die gestellte Falle und ließen die Provokation ins Leere laufen (s. Freitag, 33/2006).

Ungeachtet dessen - die Hartnäckigkeit, mit der die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zu einer anti-iranischen Entscheidung gedrängt wurden, lässt daran kaum Zweifel - halten Bush und Cheney an ihrer Absicht fest, den Iran in eine Eskalationsdynamik ungewissen Ausgangs hineinzuziehen. Anders lässt sich ihre Bereitschaft nicht erklären, auf alle russischen Vorschläge einzugehen, die den Sanktionsentwurf der EU-3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht haben. Aber offenbar wollte die US-Regierung unbedingt ein einstimmiges Votum des Sicherheitsrates, um den Iran permanent unter Druck setzen, die islamische Staatsführung demütigen und zu Kurzschlussreaktionen - etwa einer Blockade der Straße von Hormus und damit des Öltransfers aus dem Persischen Golf - provozieren zu können.

Den gewünschten Beschluss hat das Weiße Haus Ende Dezember 2006 bekommen, nicht zuletzt dank europäischer und ganz besonders deutscher Hilfe. Um so mehr warnen Rafsandjani, aber auch der reformorientierte Ex-Präsident Khatami den außenpolitisch unerfahrenen Ahmadinedschad eindringlich davor, die Gefahren zu übersehen oder zu unterschätzen, die dazu führen können, dass der Iran mit einem Krieg überzogen wird. Niemand weiß, was die Strategen in Washington und Tel Aviv im Schilde führen, um dennoch an ihr Ziel zu gelangen. Zu hoffen bleibt, dass Irans Führung auch in Zukunft auf jegliche noch so schwerwiegende Provokationen, selbst auf Militäraktionen Israels oder der USA, nicht hereinfällt und darauf nicht mit Gewalt reagiert. Ansonsten dürften die Folgen für Iran wie für die Region verheerender sein.

Und was ist mit der Verantwortung Europas und Deutschlands? Angela Merkel und Außenminister Steinmeier haben mit der von den EU-3 unterstützten Initiative zu einem UN-Sanktionsbeschluss genau die Rolle gespielt, die Washington der Bundesregierung seit Januar 2005 zugedacht hat - nämlich den USA für die moralische Legitimation einer stufenweisen Eskalation die Steine aus dem Weg zu räumen. Deutschland hat diesen Part bisher mit Bravour gespielt. Als EU-Ratspräsidentin hatte Kanzlerin Merkel nichts Eiligeres zu tun, als nach Washington zu fahren und Bush wie Cheney gegenüber “entschlossene Geschlossenheit” zu beteuern. Augenscheinlich haben weder Merkel noch Steinmeier begriffen, dass sie mit ihrer Rolle im Iran-Konflikt nicht gegen den “bösen Ahmadinedschad”, sondern gegen ureigene europäische und deutsche Interessen operieren.

Mohssen Massarrat ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   02 vom 11.01.2007.

Veröffentlicht am

12. Januar 2007

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