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Um Gaza ist es still geworden

Von John Pilger - antiwar.com 18.01.2007

Ein Genozid schwappt gerade über die Menschen im Gazastreifen, während die, die dies aus der Nähe und Ferne beobachten, sich in Schweigen hüllen. “Etwa 1,4 Millionen Menschen, meistens Kinder, leben zusammengepfercht in einer der am dichtesten bewohnten Regionen der Erde, ohne Bewegungsfreiheit, ohne Spielplatz und ohne einen Ort, um sich zu verbergen und Schutz zu finden”, schrieb der ranghohe UN-Hilfsvertreter Jan Egeland und Jan Eliasson, der damalige schwedische Außenminister in Le Figaro. Sie beschrieben die Menschen, die wie in einem Käfig leben, die weder vom Land noch vom Meer oder aus der Luft zu erreichen sind oder nach draußen können. Ohne regelmäßigen Strom und mit nur wenig Wasser, gequält von Hunger, Krankheiten und ständigen Angriffen durch israelisches Militär und Flugzeuge.

Egeland und Eliasson schrieben dies vor vier Monaten. Es war ein Versuch, das Schweigen in Europa zu brechen, dessen gehorsame Allianz mit den USA und Israel sich darum bemühte, die demokratischen Ergebnisse, mit denen Hamas bei den letzten palästinensischen Wahlen zur Macht kam, rückgängig zu machen. Der Terror hat sich seitdem verschlimmert; eine Familie von 18 Personen ist durch eine us-israelische ½ t-Bombe umgebracht worden; unbewaffnete Frauen wurden aus kürzester Entfernung niedergemäht. Dr. David Halpin, einer der wenigen Briten der mit dem bricht, was er “diese mittelalterliche Belagerung” nennt, berichtet vom Mord an 57 Kindern durch Artillerie, Raketen und kleineren Waffen, ein Beleg dafür, dass die Zivilisten die eigentlichen Ziele Israels sind - genau wie im Libanon im vergangenen Sommer. Dr. Mona El-Farra mailte: “Ich sehe bei meiner 13-jährigen Tochter die Auswirkungen der schonungslos ohrenbetäubenden Knallbomben - eine Kollektivstrafe von Seiten der israelischen Luftwaffe - und der Artillerie. Nachts zittert sie vor Angst. Schließlich kauern wir zusammen im Flur. Ich versuche, ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Doch wenn ich die Bomben fallen höre, dann erschrecke ich zu Tode und schreie …”

Als ich das letzte Mal in Gaza war, zeigte mir Dr. Khalid Dahlan, ein Psychiater, die Ergebnisse einer bemerkenswerten Untersuchung: “Die Statistik - die ich persönlich unerträglich finde - besagt, dass 99,4% der Kinder, die wir untersucht haben, an Traumata leiden. Sie waren folgendem ausgesetzt: Bombardierung ihres Hauses (99,2%), Tränengasangriffen (97%), Schießereien (96,6), Bombardements und Begräbnissen; fast ein Viertel sah wie Familienmitglieder verletzt oder getötet wurden.” Dr. Dahlan lud mich ein, an einer der Sitzungen mit Kindern in der Klinik teilzunehmen. Es waren 30 Kinder und alle waren traumatisiert. Er gab jedem einen Stift und Papier und bat sie darum, etwas zu malen. Sie malten Bilder mit grotesken Akten von Terror und Frauen, die in Tränen aufgelöst waren.

Der Vorwand für den letzten israelischen Terrorangriff war die Gefangennahme eines israelischen Soldaten, eines Mitgliedes einer illegalen Besatzung, durch den palästinensischen Widerstand. Das war (in den Medien) eine Nachricht wert. Das Kidnappen von zwei Palästinensern durch Israel ein paar Tage davor - zwei von Tausenden in den letzten Jahren - das war keine Nachricht wert. Ein Historiker und zwei auswärtige Journalisten berichteten die Wahrheit über den Gazastreifen. Alle drei sind Israelis. Sie werden Verräter genannt. Der Historiker Ilan Pappe dokumentierte, dass die genozidale Politik nicht aus einem Vakuum käme, sondern ein Teil der zionistischen, beabsichtigten, historischen ethnischen Säuberung ist. Gideon Levy und Amira Hass sind Reporter der israelischen Zeitung Haaretz. Im November beschrieb Levy, wie die Leute vor Hunger zu sterben beginnen: “Es gibt Tausende von Verwundeten, Verkrüppelten und von Raketen unter Schock stehenden Menschen, die keine medizinische Behandlung bekommen können …. menschliche Schatten streunen durch die Ruinen … sie wissen nur, dass die israelische Armee zurückkommen wird und was das für sie bedeutet: wochenlanges Eingesperrt-sein in ihren Häusern, mehr Tod und mehr Zerstörung in unvorstellbaren Proportionen.”

Amira Hass, die in Gaza gelebt hat, beschreibt dieses als Gefängnis, das zur Schande ihres eigenen Volkes gereicht. Sie erinnert sich, wie ihre Mutter Hannah von einem Viehtransportzug zum Nazi-KZ in Bergen-Belsen im Sommer 1944 laufen musste. “Sie sah, wie deutsche Frauen sich den Zug der Gefangenen anschauten, also, nur zuschauten”, schrieb sie. “Dieses Bild hat sich mir sehr eingeprägt, dieses verächtliche Daneben-stehen und ‘Nur Zusehen’.”

Dieses “Daneben-stehen und Nur-Zuschauen” ist das, was all die von uns tun, die schweigen, weil man sie sonst als Antisemiten bezeichnen würde. Dieses Daneben-stehen und Zusehen ist das, was zu viele westliche Juden tun. Während jene Juden, die die humanistischen Traditionen des Judentums achten und sagen “Nicht in meinem Namen!” werden als Selbsthasser beschimpft. Daneben stehen und nur zusehen, das ist das, was fast der ganze US-Kongress als Hörige oder Eingeschüchterte der zionistischen “Lobby” tun. Daneben stehen und nur zusehen ist das, was “objektive” Journalisten tun, wenn sie die Gesetzlosigkeit entschuldigen, die die Ursache israelischer Brutalität ist, und die historischen Veränderungen im palästinensischen Widerstand unterdrücken, wie die stillschweigende Anerkennung Israels durch die Hamas. Die Menschen in Gaza schreien auf.

John Pilger (67) ist ein bekannter Reporter vieler britischer, US- und australischer Zeitungen, Buchautor, Kritiker der US-Politik, mit vielen internationalen Auszeichnungen.

Quelle: ZNet Deutschland   vom 19.01.2007. Übersetzt von Ellen Rohlfs; leichte Bearbeitung von Michael Schmid. Originalartikel: Silent About Gaza .

Veröffentlicht am

20. Januar 2007

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