Türkisch-kurdischer Krieg droht - Road Map für eine friedliche LösungVon Andreas Buro/Manfred Stenner Der “Dialogkreis für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden” und das Netzwerk Friedenskooperative warnen vor einem drohenden türkischen Einmarsch in den Nordirak, schlagen eine “Road Map” für eine friedliche Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt vor und verweisen auf hoffnungsvolle Ansätze bei Nichtregierungsorganisationen und türkisch/kurdischen Intellektuellen. In Ankara wird offen über eine militärische Intervention in Irakisch-Kurdistan diskutiert. Die PKK-Rückzugsbasen sollen angegriffen werden, obwohl die PKK einen einseitigen Waffenstillstand erklärt hat. Das Militär trifft bereits Vorbereitungen. Spezialtruppen sind schon jenseits der Grenze. Diese Militäraktion wäre mit unkalkulierbaren Eskalationsrisiken in der gesamten Region verbunden. Am 12./13. Januar 2007 fand in Ankara eine hochrangige Konferenz von türkisch- und kurdischstämmigen Intellektuellen, Schriftstellern, Wissenschaftlern, Politikern, Gewerkschaftern usw. statt. Der Dialogkreis, der sich seit 12 Jahren mit diesem Konflikt befasst, hat an der Tagung teilgenommen. Mehr als 600 Persönlichkeiten hatten sich versammelt, die sich gemeinsam für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzten. Ein für die Türkei ganz neuer Zusammenschluss! Im von der “Kooperation für den Frieden” - einem Bündnis deutscher Friedensorganisationen - getragenen Monitoring-Projekt “Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention” werden zivile Alternativen für bestehende Konflikte ausgearbeitet. Nach dem ersten Dossier zu Iran ist jetzt das zweite Dossier zum türkisch-kurdischen Konflikt in Vorbereitung. In diesem Zusammenhang wurde Road Map für eine friedliche Lösung dieses Konflikts ausgearbeitet (siehe im Anhang). Angesichts der brisanten Situation zwischen der Türkei und Irakisch-Kurdistan ist dieses Konzept von größter Aktualität. In den 24 Schritten werden Anforderungen an alle nationalen und internationalen Akteure in diesem Konflikt gestellt. Um die Gewalteskalation zu stoppen, soll die PKK unter internationaler Kontrolle ihre Waffen abgeben, während gleichzeitig Ankara eine umfassende Amnestie aller Kämpfer in diesem nun schon über 20 Jahre dauernden Konflikt beschließt. Kulturelle, wirtschaftliche, soziale und verfassungsrechtliche Maßnahmen spielen in dem einzuleitenden Friedensprozess ebenso eine Rolle, wie ein verstärktes friedenspolitisches Engagement der USA, der EU und der Bundesrepublik. Mit der oben erwähnten bedeutsamen Konferenz in Ankara ist bereits ein erster Schritt auf dieser Road Map getan. Andreas Buro ist Koordinator des Dialog-Kreises, Manfred Stenner Geschäftsführer des Netzwerk Friedenkooperative
Quelle: Dialogkreis / Netzwerk Friedenskooperative - Pressemitteilung vom 19.01.2007. Anhang: Road Map für eine friedliche, zivile Lösung des türkisch-kurdischen KonfliktsIn diesem Fahrplan werden die Handlungsoptionen der verschiedenen Akteure in eine zeitliche Abfolge gebracht, so dass eine Strategie der zivilen Konfliktbearbeitung erkennbar wird. Freilich dient dies nur der Orientierung zumal einzelne Schritte sich überschneiden und/oder unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen werden. Unerwartete Ereignisse werden selbstverständlich Anlass geben, die hier vorgeschlagene Abfolge zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern und zu erweitern. 1. Türkische und kurdische Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler u.a. treten in der Türkei für eine Politik der Aussöhnung und des Gewaltverzichts ein. Dabei streben sie auch die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen (NROs) in der EU an. 2. NROs laden türkische und kurdische Repräsentanten, die eine friedliche Lösung des Konflikts befürworten, nach Deutschland und in andere EU-Staaten für Konferenzen und zu Gesprächen mit Multiplikatoren, Medien und PolitikerInnen ein. 3. Die Handlungsoptionen für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts werden in der Öffentlichkeit der EU-Staaten bekannt gemacht, um dafür Unterstützung zu erhalten. Kirchen, Gewerkschaften, humanitäre Vereinigungen, Friedensforschung, politische Parteien und die Medien werden angesprochen, damit sie den Konflikt thematisieren und tätig werden. Gegenüber dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission in Brüssel wird eine entsprechende Lobby-Arbeit begonnen. 4. Eine parteipolitisch unabhängige, kulturelle, friedenspolitisch orientierte kurdische Repräsentation wird in Deutschland und anderen europäischen Ländern gebildet, die zum Ansprech- und Dialogpartner für Politik, Friedensforschung und Kultur werden kann. 5. Die kurdischen Organisationen, die bisher den bewaffneten Kampf geführt oder unterstützt hatten, erklären ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Gewaltverzicht. Soziale Bewegungen und NROs starten eine Kampagne für die Aufhebung des Terrorismus-Verdikts gegen diese Organisationen. 6. Bundestag und Bundesregierung setzen sich dafür ein, dass in der EU die Einstufung der PKK und anderer kurdischer Organisationen als “terroristisch” ausgesetzt wird “solange” die kurdische Guerilla an ihrem unbefristeten, einseitigen Waffenstillstand festhält, und begründen dies friedenspolitisch. Die Aufhebung dieser Einstufung führt dazu, dass in Deutschland und den EU-Staaten mit allen Akteuren ein offener Dialog über Schritte für eine friedliche, zivile Lösung geführt werden kann. Der EU-Ministerrat wendet sich an die USA und an alle weiteren NATO-Staaten, die Einstufung der kurdischen Guerilla als “terroristisch” aufzugeben. 7. In Deutschland werden von der Regierung oder einem speziellen Gremium “Hearings zur Türkei-Kurden-Frage” organisiert bei denen alle wichtigen Akteure angehört werden können. Ihre Positionen werden dokumentiert, so dass sie jedermann zugänglich sind. Die Botschaft nach außen hieße, wir beschäftigen uns mit dieser Frage. 8. Die EU legt bei ihren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stärkeren Nachdruck als bisher auf die Lösung der Kurdenfrage, ohne die die Menschenrechtsprobleme in der Türkei nicht gelöst werden können.. 9. Der Rat der EU ruft die Türkei und die kurdische Seite auf, den Konflikt friedlich beizulegen und dazu einen Gewaltverzicht auszurufen. Möglicherweise sollte das Europäische Parlament eine Initiative in diesem Sinne ergreifen und an den Rat appellieren. 10. Um eine Ausweitung des türkisch-kurdischen Konflikts zu vermeiden, wenden sich die USA weiterhin gegen jegliche militärische Intervention der Türkei in Irakisch-Kurdistan. 11. Die Regierung in Ankara spricht offiziell den Wunsch nach Aussöhnung aus, und verbindet damit die Absicht einen innergesellschaftlichen Dialog im Rahmen des türkischen Staates anzuregen. 12. Die kurdische Seite arbeitet einen Vorschlag für ein Stufenprogramm der Vertrauensbildung und Aussöhnung aus. Er enthält eine zeitliche Schrittabfolge parallel zum Rückzug und der Entwaffnung der Guerilla z. B.:
13. Die deutsche Bundesregierung setzt ihre im November ‘98 verkündete Initiative zur Förderung einer politischen Lösung in der Kurdenfrage um.
14. Die USA drängen auf eine politischen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts, um die Stabilität in Irakisch Kurdistan zu sichern. Deshalb bewegen sie die türkische Generalität dazu, sich auf eine Amnestie für die Guerilla einzulassen. 15. Um dem Wunsch nach Aussöhnung Glaubwürdigkeit zu verleihen, beschließt Ankara eine Amnestie für alle aus politischen Gründen Verurteilte und für alle, die an den Kämpfen teilgenommen haben. Damit könnten diejenigen, die sich heute im Exil befinden, in ihre Heimat zurückkehren und sich dort für ihre Ziele mit demokratisch-politischen Mitteln einsetzen. 16. NROs in Deutschland bemühen sich, hiesige türkische und kurdische Verbände anzusprechen und versuchen, mit ihnen einen türkisch-kurdischen Dialog in Deutschland in Gang zu setzen. Das Ziel ist, eine gemeinsame friedenspolitische Position zu erarbeiten 17. Rückzug der Guerilla aus der Türkei und freiwillige Entwaffnung unter internationaler Kontrolle, z.B. nach dem aktuellen Vorbild der maoistischen Guerilla in Nepal, die sich dort allerdings erst nach Abschluss des Friedensabkommens unter Obhut der UNO begeben hat. Auf Drohungen jedweder Art wird verzichtet. 18. In einem innergesellschaftlichen Dialog in der Türkei beginnt man auch darüber zu sprechen, in welcher Weise die multi-ethnische Dimension der Gesellschaft in der türkischen Verfassung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Ein Anknüpfungspunkt bietet die Position von Kemal Atatürk, der in der frühen Phase des Kampfes zur Bildung des Nationalstaates Türkei die Kurden als Brudervolk bezeichnet und versprochen hatte, es gleichberechtigt an dem neuen Staat teilhaben zu lassen. . 19. Zur Etablierung und Ausweitung von gesellschaftlichen Dialogen wird eine europäische Dialog-Stiftung geschaffen, die von der EU finanziert wird. Sie hat vor allem die Aufgabe, NROs- und soziale und berufliche Gruppen der Zivilgesellschaft aus der Türkei und EU-Europa miteinander ins Gespräch zu bringe, die Zivilgesellschaft als Ansprechpartner zum Abbau von Konflikten zu stärken und das Interesse und Engagement an diesem Problem innerhalb der EU ausweiten. Alle Konfliktparteien müssen ungehindert am Dialog teilhaben können. Dafür sind die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Stiftung soll langfristig auch für die Dialog-Vermittlung in anderen Konflikten des Kontinents herangezogen werden und möglicherweise in Kooperation mit der OSZE und dem Europarat ihre Schwerpunkte bestimmen. 20. In der Türkei wird eine Reihe friedenspolitischer Symposien mit Teilnehmern aus der Türkei, aus Deutschland und eventuell aus anderen EU-Ländern, in Zusammenarbeit mit der Friedensforschung organisiert. In Vorträgen und Arbeitsgruppen werden, ethnopolitische Konflikte in verschiedenen Staaten untersucht und Erfahrungen mit Versöhnungsstrategien ausgewertet. Aus dem Symposium können sich weitere Aufträge für Untersuchungen und Projekte ergeben. 21. Wie bei den Erdbebenkatastrophen Menschen und Organisationen aus der ganzen Türkei - auch aus dem Ausland - geholfen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt haben, wird solidarische Hilfe für die Flüchtlinge aus den kurdischen Siedlungsgebieten, die in ihre Heimatorte zurückkehren wollen, aus der Türkei und Europa geleistet. Zu der Mobilisierung hier für leisten soziale Bewegungen und NROs ein wichtigen Beitrag. 22. Im Sinne von Aussöhnungspolitik erhalten auch die so genannten Dorfschützer eine gleichwertige Perspektive wie die zurück kehrenden Flüchtlinge. Lokale Dialoge unter Anleitung geschulter Konfliktschlichter werden eingeleitet. Dafür werden in der Türkei lokale Konfliktschlichter ausgebildet. Sie könnten ihre Erfahrungen im Bereich der Friedensforschung an Universitäten einbringen. 23. Die Entwicklung im Osten und Südosten der Türkei ist bislang vernachlässigt worden. Um den Menschen in diesen Gebieten Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, ist eine große Anstrengung des Aufbaus - nach Möglichkeit international unterstützt - vonnöten. Zusätzlich sollte das BMZ eine Zusammenarbeit mit Kommunen der Region weiter entfalten. Durch Städtepartnerschaften und -kooperationen mit deutschen bzw. EU- Städten könnte eine weitere Förderung der Region erreicht werden. 24. Konzepte zur Stärkung der Verständigung-, Schlichtungs- und Friedensschaffensfunktion der OSZE werden ausgearbeitet und in die OSZE zur Diskussion und möglichen Beschlussfassung eingebracht. Friedensforschung und spezialisierte Institute können dafür herangezogen werden. Über den Rahmen der OSZE wird der gesamteuropäische Bereich einschließlich der USA und Kanadas angesprochen . Am Beispiel des türkisch-kurdischen Konfliktes werden die hilfreichen Funktionen eines solchen nicht-militärisch bestimmten Bündnisses zum Nutzen aller erkundet und ausgeweitet. Der hier ansatzweise formulierte Fahrplan für die Überwindung des türkisch-kurdischen Konflikts
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