Die Gesetze des DschungelsKurze Chronik einer Kette von Brandstiftungen: Das Tagebuch des einstigen israelischen Premierministers Moshe SharettVon Reuven Moskovitz Über den jüdisch-arabischen Konflikt wurden sicherlich Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Büchern geschrieben, aber nur wenige Autoren erweisen sich als fähig, die Wahrheit vor allem der ersten Jahre des israelischen Staates zu durchschauen. Oft werden zuverlässige Quellen ignoriert, die es erlauben würden, mehr über die Ursprünge der heutigen Konflikte zu erfahren, zum Beispiel die persönlichen Aufzeichnungen von Moshe Sharett, der Israels erster Außenminister und zweiter Premierminister war. Ein Mann, der nicht weniger zur Gründung des Staates Israel im Mai 1948 beitrug als Ben Gurion. Beide versuchten seinerzeit gemeinsam, die Palästinenser von der nahöstlichen Landkarte verschwinden zu lassen. Auch Sharett wollte keinen Palästinenser-Staat, kein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge und keinen Verzicht auf die 1947/48 eroberten Gebiete, die nach den Plänen der UNO den Palästinensern zugedacht waren. Aber er sah die Grenzen kriegerischer Gewalt und bevorzugte diplomatische Wege, um eine Anerkennung Israels als legitimer Staat und Partner im Nahen Osten zu ermöglichen. Ben Gurion war hingegen davon überzeugt: Israel könne in dieser Region nur als Supermacht überleben und sich nur dank einer gut durchdachten Strategie von Brandstiftungen und Kriegen behaupten. Unmittelbar nach Gründung des Staates Israel gab er öffentlich zu verstehen, dass es nicht darum gehe, einen jüdischen Staat in Palästina zu haben, "sondern Palästina ein jüdischer Staat" werden müsse. Im Januar 1948 schrieb er: "Die Weisheit Israels ist die Weisheit, Kriege zu führen und nichts anderes." Entsprechend handelte er und provozierte mörderische Militäraktionen, die nicht nur weltweit, sondern oft auch in Israel Erschütterung auslösten. Eine davon fand 1953 in einem Dorf namens Kibya statt, wo als Racheaktion für eine getötete jüdische Frau und ihre beiden Kinder Dutzende von Häusern zerstört und etwa 60 arabische Frauen, Kinder und Männer ermordet wurden. Die öffentliche Empörung darüber zwang Ben Gurion zum Rücktritt und zum Rückzug in die Wüste, um bis auf weiteres als "Vorbild der israelischen Jugend" und "Symbol des Pionier-Geistes der Gründergeneration" verehrt zu werden. Die Demission ließ Moshe Sharett zum Regierungschef aufsteigen. Von diesem Moment an schrieb er sein Tagebuch. "Jetzt werden sie sagen, dass sein Blut an meinen Händen klebt"So notiert er am 26. Oktober 1953 nach einem Vortrag des Generalstabs: "Erstens betrachtet die Armee die jetzige Grenze mit Jordanien als absolut inakzeptabel. Zweitens plant die Armee einen Krieg, um den Rest des Westens von Eretz Israel zu besetzen." Sharett will die schon damals üblichen Vergeltungsschläge untersagen, aber Moshe Dayan hält als Oberbefehlshaber dagegen. "Moshe Dayan zog einen Plan nach dem anderen für ›direkte Aktionen‹ hervor. Der erste: Was getan werden sollte, um die Blockade der Straße von Eilat zu beenden. Ein Schiff unter israelischer Flagge sollte losgeschickt werden, und falls die Ägypter es bombardierten, sollten wir den ägyptischen Stützpunkt aus der Luft angreifen oder Ras-e Naqueb erobern oder uns von Süden her den Weg durch den Gaza-Streifen bis zur Küste bahnen. Es gab einen allgemeinen Tumult. Ich fragte ihn: ›Bist du dir im klaren darüber, dass dies Krieg mit Ägypten bedeutet?‹ Er antwortete: ›Natürlich‹." (Tagebuch vom 31. Januar 1954) Angriffspläne existieren nicht nur gegen Ägypten. Am 25. Februar 1954 lesen wir bei Sharett über Syrien: "Nach dem Essen nahm mich Lavon (damals Verteidigungsminister und ein Anhänger von Ben Gurion - R.M.) zur Seite und versuchte, mich zu überreden: Dies ist der richtige Moment zu handeln - der Zeitpunkt, vorwärts zu marschieren und syrische Grenzpositionen jenseits der entmilitarisierten Zone zu besetzen. Syrien ist am Zerfallen. Ein Staat, mit dem wir ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen haben, existiert nicht mehr. Seine Regierung ist im Begriff, gestürzt zu werden. Keine andere Macht ist in Sicht, bis auf den Irak, der in Syrien einmarschieren könnte. Eine historische Gelegenheit, die wir nicht vorübergehen lassen sollten. … - Ich zögerte, einen solchen Blitz-Plan zu billigen, und sah uns am Rande des Abgrundes, eines katastrophalen Abenteuers. Ich fragte, ob er vorschlage, sofort zu handeln, und war schockiert, als mir klar wurde, dass er es tat." Doch dieser "Blitz-Plan" wird von Sharett nicht gebilligt. Am 12. Dezember 1954 überrascht ihn stattdessen die Entführung eines syrischen Zivilflugzeuges nach Israel. Er schreibt an Verteidigungsminister Lavon: "Es muss Dir klar sein, dass wir keine wie auch immer geartete Rechtfertigung dafür hatten, das Flugzeug zu entführen, und dass wir es - wenn es schon zur Landung gezwungen wurde - sofort hätten freigeben müssen und die Passagiere nicht einem 48-Stunden-Verhör unterwerfen durften. Ich habe keinen Grund, an der Wahrheit der Aussage des amerikanischen Außenministeriums zu zweifeln, dass unsere Aktion in der internationalen Geschichte einmalig ist. … Was mich schockiert, ist die Engstirnigkeit und Kurzsichtigkeit unserer militärischen Führer. Sie scheinen anzunehmen, dass sich der Staat Israel auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen nach den Gesetzen des Dschungels benehmen darf - oder sogar muss." Man muss wissen, dass am 11. Dezember 1954, einen Tag, bevor Israel diese Welturaufführung der Luftpiraterie inszeniert, fünf israelische Soldaten auf syrischem Gebiet gefangen genommen worden sind, während sie am dortigen Telefonnetz Abhöranlagen installierten. Selbstredend wird von den Medien gemeldet, die fünf Soldaten seien von den Syrern gewaltsam entführt worden. Einer der fünf begeht Selbstmord, was zu einem gewaltigen Aufruhr in Israel führt. Dazu Moshe Sharett in seinem Tagebuch: "Ein junger Mann wurde für nichts geopfert, … jetzt werden sie sagen, dass sein Blut an meinen Händen klebt. Wenn ich nicht die Freigabe des syrischen Flugzeuges angeordnet hätte, hätten die Syrer gezwungen werden können, die fünf freizulassen. Der Junge wäre noch am Leben. Es ist klar, dass es Dayans Absicht war, (syrische - R.M.) Geiseln zu nehmen, um die Freilassung unserer Gefangenen in Damaskus zu erreichen." Ich denke bei diesem Eintrag an das Jahr 2006, als die Regierung von Ehud Olmert den Feldzug im Libanon mit der Geiselnahme zweier israelischer Soldaten begründete. Anscheinend weiß niemand mehr, dass Entführungen eigentlich ein israelisches Patent sind, erworben in den fünfziger Jahren, lange bevor es einen PLO-Widerstand oder die Hizbollah gab. "Ich gab es auf, gegen einen Wirbelwind anzukämpfen"Anfang 1954 reifen in der Umgebung von Ben Gurion Pläne, den Libanon zu destabilisieren, um dort einen christlich-maronitischen Staat zu schaffen, der sich als treuer Vasall der Israelis versteht. Lesen wir, was Moshe Sharett über ein Treffen am 27. Februar 1954 in sein Tagebuch schreibt: "Dann ging er (Ben Gurion - R.M.) zu einem anderen Thema über. Jetzt sei es Zeit, sagte er, den Libanon zu drängen - und das heißt, die Maroniten dort -, einen christlichen Staat auszurufen. Ich sagte, dass wäre Unsinn, und erklärte, dass es keinen Faktor gebe, um solch eine Situation herzustellen, und dass wir uns auf ein Abenteuer einließen, das Schande über uns bringen würde, wollten wir selbst eine solche Situation schaffen. Es gab eine Welle von Vorwürfen wegen meines mangelnden Wagemuts und meiner Engstirnigkeit. Ich gab es auf, gegen einen Wirbelwind anzukämpfen." Ben Gurion, der sich angeblich mit der Urbarmachung der Wüste und buddhistischer Philosophie beschäftigt, versucht, den Plan durchzusetzen. In einem langen Brief setzt er Moshe Sharett auseinander, wie wichtig es doch sei, den Libanon zu spalten. Sharett zitiert in seinem Tagebuch aus diesem Schreiben die folgenden Sätze: "Wir müssen unsere ganzen Anstrengungen auf dieses Thema konzentrieren…. Dies ist eine historische Gelegenheit. Sie zu versäumen, wäre unverzeihlich. In diesem Plan liegt eine Kampfansage an die Weltmächte … Nach meiner Meinung sollte alles schnell und unter Volldampf getan werden. Natürlich wird das Ziel nicht ohne Einschränkung der Grenzen des Libanon erreicht werden." (Tagebuch vom 27. Februar 1954) Ein gut argumentierender Antwortbrief von Sharett beruhigt die kriegsversessene Gruppe nicht, besonders Moshe Dayan bleibt unerbittlich. Sharett schreibt in das Tagebuch: "Nach seiner Meinung ist es einzig und allein notwendig, einen Offizier zu finden. Wir sollten entweder sein Herz gewinnen oder ihn mit Geld kaufen, um seine Zustimmung zu erlangen, dass er sich selbst zum Retter der maronitischen Bevölkerung ausruft. Dann wird die israelische Armee in den Libanon einmarschieren, das notwendige Gebiet besetzen und ein christliches Regime einsetzen, das sich mit Israel verbündet. Das Gebiet südlich des Litani-Flusses würde Israel völlig einverleibt, und alles wäre in Ordnung." - Weiter schreibt Sharett: "Vor seinen Offizieren wollte ich mich nicht mit Ben Gurion streiten und beschränkte mich auf den Hinweis, dass dies Krieg zwischen Israel und Syrien bedeuten könnte." Auch diesem Druck widersteht der Premierminister. Der Plan einer Invasion im Libanon wird vorübergehend aufgegeben, da es 1955 von den USA grünes Licht für einen Angriff auf Ägypten gibt. Also wird mit viel Zielstrebigkeit Israels erste große Invasion vorbereitet und Moshe Sharett durch ein sauberes Komplott ins Abseits gedrängt. Ben Gurion kehrt als Retter der Nation in das Amt des Premierministers zurück und ebnet den Weg zu sinnlosen Kriegen und zum ewigen Verhängnis von Gewalt und Gegengewalt, das bis heute die Sicherheit des israelischen Staates unterläuft. Moshe Sharett bleibt noch ein Jahr Außenminister, als sich jedoch die Differenzen mit Ben Gurion zu unüberbrückbaren Gegensätzen auswachsen, verlässt er das Kabinett endgültig - er stirbt am 7. Juli 1965 im Alter von 71 Jahren in Jerusalem.
Israel, die frühen Jahre1948 Proklamation des Staates Israel am 14. Mai, Ben Gurion wird erster Premierminister und beruft Moshe Sharett zum Außenminister. 1949 1950 1952 1953 1955 1956 Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 03 vom 19.01.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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