“Das wäre ein großartiger Beitrag” - Deutschlands Tornadoseinsatz in AfghanistanVon Jürgen Wagner Ursprünglich plante die Bundesregierung die Verlegung deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge für Kampfeinsätze in den schwer umkämpften Süden Afghanistans ganz ohne Parlamentsbeschluss durchzuführen. Nachdem sie aber selbst aus den eigenen Reihen starken Gegenwind erhielt, ruderte sie inzwischen zurück und räumt dem Bundestag die Möglichkeit ein, den ohnehin gefällten Beschluss wenigstens formal abzunicken. Inzwischen ist der genaue Fahrplan bekannt: Das Kabinett hat den Einsatz am 7. Februar beschlossen, am 28. Februar wird die erste Lesung und anschließend die Ausschussberatungen stattfinden, woraufhin er schließlich am 8. oder 9. März im Bundestag endgültig durchgewunken werden wird. Denn offensichtlich geht es den Parlamentariern dabei nicht um das “Ob” - es sprechen schließlich zahlreiche Gründe dafür, einen solchen Einsatz kategorisch abzulehnen, denn hierdurch verstrickt sich Deutschland noch weiter in den blutigen Krieg, als dies ohnehin schon der Fall ist -, sondern vielmehr um das “Wie” einer solchen Entscheidung, man will halt gefragt werden: “Die Wahrheit: Die Entsendung ist bereits beschlossene Sache. Die Vorbereitungen laufen”, kommentiert die Netzzeitung (1.2.07). Und in der Tat, damit man vom Parlamentsprozedere nicht allzu sehr aufgehalten wird, ebnen bereits eigens hierfür entsendete Erkundungsteams den Weg für die deutschen Tornados. Nach gegenwärtigen Plänen sollen insgesamt 6 Flugzeuge und 500 Soldaten an den Hindukusch geschickt und voraussichtlich in Mazar-i-Scharif stationiert werden. Hierdurch wird aber die vom Bundestag Ende letzten Jahres auf 3.000 Bundeswehrsoldaten festgesetzte Obergrenze für den ISAF-Einsatz in Afghanistan überschritten. Da gegenwärtig (Stand 24. Januar) dieses Kontingent mit 2916 Mann nahezu vollständig ausgeschöpft ist, ist schon allein deshalb ein neues Mandat erforderlich. Das eigentlich problematische dabei ist aber, dass Deutschland hiermit endgültig und dauerhaft in den amerikanischen “Krieg gegen den Terror” eingebunden wird und sich somit auch offiziell zum Komplizen des US-Amoklaufs macht. Hierbei handelt es sich um den Schritt über den Rubikon, denn bislang hält sich Deutschland - abgesehen von Einsätzen des Kommando Spezialkräfte - zumindest offiziell aus dem US-Einsatz zur “Terrorbekämpfung” heraus, der zumindest auf dem Papier strikt vom ISAF-Mandat der NATO getrennt ist. In der Realität ist Deutschland jedoch schon lange ein wesentlicher Kriegsakteur bei der gewaltsamen Niederschlagung eines Aufstandes gegen die westlichen Besatzungstruppen, die an der Eskalation der Lage alles andere als unschuldig sind. OEF und ISAF - Zwei Truppen, derselbe KriegIn Afghanistan operieren derzeit zwei unterschiedliche Kriegseinsätze neben- und zunehmend auch miteinander: einmal die US-geführte Operation Enduring Freedom im Rahmen des “Kriegs gegen den Terror”, auf der anderen Seite die ISAF-Mission der NATO, die sich im Gegensatz zur OEF gern als “Friedenseinsatz” und “Stabilisierungsmission” zur Entwicklungshilfe tarnt. Zwar betont die Bundesregierung weiterhin, “die operative und die Mandatstrennung zwischen ISAF und OEF bestehen unverändert fort” (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/2380, 09.08.2006, S. 7), angesichts der Realitäten vor Ort, dürfte diese Aussage aber wohl eher ein Lippenbekenntnis darstellen. Denn während die Terrorismusbekämpfung offiziell ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der OEF fällt, schließt das ISAF-Mandat “Aufstandsbekämpfung” explizit ein. “Wir waren dort nie neutral. Wir haben uns auch im Isaf-Mandat über das Ausmaß des Brunnenbauens hinaus engagiert. Dieses Mandat umfasst explizit die Bekämpfung von Aufständischen”, erklärt der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (Spiegel Online, 31.1.07). Nachdem nun aber die NATO ihre Zuständigkeit, die Anfangs noch strikt auf Kabul begrenzt war, bis zum Herbst 2006 sukzessive auf das ganze Land ausgedehnt hat, verwischt die Trennung beider Einsätze bis zur Unkenntlichkeit. Dies trifft vor allem für den umkämpften Süden zu - aber nicht nur dort -, wo “Aufständische” von “Terroristen” schlicht nicht zu unterscheiden sind. Immer häufiger geraten ISAF-Soldaten in heftigste Kampfhandlungen, die auf beiden Seiten zunehmend Opfer fordern. Da mit Frühlingsbeginn mit einer nochmaligen Verschärfung der Kampfhandlungen gerechnet wird, wäre die Entsendung der Tornados ein “sehr großer Beitrag”, wie es der Chef der US-Truppen in Afghanistan, General Karl Eikenberry, formulierte. Hierdurch würden US-Bombenangriffe in erheblichem Ausmaß unterstützt, und zwar, wie den Worten des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz zu entnehmen ist, nicht nur zur Aufstandsbekämpfung im Rahmen des ISAF-Mandats, sondern auch für den US-Terrorkrieg unter OEF-Flagge, “denn diese Tornados sollen ja Aufklärungsergebnisse liefern, die die Kriegführung unserer Verbündeten gegen Taliban und El-Kaida unterstützen und erleichtern sollen.” (Deutschlandfunk 18.1.07) Während von deutscher Seite kaum klare Aussagen zu bekommen sind, ob, wie und in welchem Rahmen diese Daten außerhalb des ISAF-Mandates für Kriegseinsätze herangezogen werden, bestätigt US-General Eikenberry den regen Informationsaustausch zwischen den beiden Missionen: “Dieser Austausch führt dann aber nicht notwendigerweise zu Militäraktionen.” (HNA 30.01.2007) Da vorgesehen ist, das Tornado-Mandat bis zum Oktober zu befristen und anschließend mit dem ISAF-Mandat zu verschmelzen, dessen Verlängerung im Bundestag zu diesem Zeitpunkt ansteht, wird sich Deutschland so zu einem permanenten Komplizen des US-amerikanischen “Kriegs gegen den Terror” machen, wie Gertz unmissverständlich klar macht: “Das ist ein Dauerprojekt, da wird man Bestandteil des militärischen Kampfes gegen die Terroristen wie Taliban und al-Qaida.” (Spiegel Online, 27.1.07) Während schon die ISAF-Mission auf starken, teils auch gewalttätigen Widerstand stößt, gilt dies umso mehr für den OEF-Terrorkrieg, in dessen Dienst sich die Bundesregierung mit der Entsendung der Tornados nun auch offen stellt. Es handelt sich hierbei also um einen Beschluss von erheblicher Tragweite, die aber mehr den formalen Abschluss einer sich schon länger abzeichnenden Entwicklung darstellt, wie Die Welt (17.1.07) klar macht: “Bei der aktuellen Debatte geht um mehr als um die Entsendung von ein paar Flugzeugen. Wenn entschieden wird, dass die Tornados zum Einsatz kommen, wird Deutschland damit zur Kriegspartei. […] Bislang wird der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch oft als erweiterte Form der Entwicklungshilfe dargestellt. Die Deutschen sitzen relativ sicher im Norden, bohren Brunnen, bauen Straßen und decken Schuldächer. Im Süden sterben kanadische Soldaten. Das Bild ist schon jetzt falsch, was auch die zunehmenden Angriffe auf die Bundeswehr im vergangenen Jahr zeigten.” Trotz solcher klaren Worte und obwohl nichts weiter von der Realität entfernt sein könnte, wird der Bundeswehreinsatz immer noch primär als eine Art “bewaffnete Sozialarbeit” hochgejubelt, den die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung vorbehaltlos begrüßen würde. Besetzen - Ausplündern - BekämpfenOffensichtlich in der Hoffnung, es werde schon irgendwann einmal geglaubt werden, wenn man es nur oft genug wiederholt, wird der Bundeswehr-Einsatz weiterhin gebetsmühlenartig als “Friedensmission” bezeichnet. So äußerte sich etwa der CDU-Abgeordnete Ruprecht Polenz während der Bundestags-Debatte am 19. Januar: “Wir führen in Afghanistan keinen Krieg, sondern wir sind von der afghanischen Regierung eingeladen worden und arbeiten auf der Basis eines UN-Mandates.” (Deutscher Bundestag, Protokoll der 77. Sitzung vom 19.01.2007) Dass dies von einer wachsenden Mehrheit der Bevölkerung anders gesehen wird, liegt nicht zuletzt daran, dass sich im Rahmen der Besatzung westliche Konzerne schamlos unter den Augen der bettelarmen Bevölkerung bereichern. Martin Hantke beschrieb auf dem IMI-Kongress Ende November die Praxis vor Ort als “organisierte Disfunktionalität”: Der Bau kaputter Straßen und maroder Krankenhäuser verschlinge Unsummen, werde von hoch dotierten westlichen Beratern geplant, deren Luxusleben durch Söldnerfirmen und westliches Militär abgesichert werden müsse, weshalb kaum Geld für tatsächliche Hilfe für die afghanischen Bevölkerung übrig bleibe. Während westliche Konzerne sich in die eigenen Taschen wirtschaften und die OEF- und ISAF-Truppen im Land Krieg führen, stirbt die Bevölkerung gleichzeitig an Krankheit und Unterernährung. Über 70% der Afghanen leiden unter chronischem Nahrungsmangel, besonders im Süden des Landes. Ein Viertel hat keinen Zugang zu Trinkwasser, nur 10 Prozent verfügen über elektrischen Strom. Während für militärische Ausgaben im Zeitraum von 2002 bis 2006 gigantische 82.5 Mrd. Dollar bezahlt wurden, belief sich die Entwicklungshilfe im selben Zeitraum auf jämmerliche 7.3 Mrd., ein Betrag, der bei weitem nicht ausreicht, um die erdrückende Not auch nur ansatzweise zu lindern. Zumal ein großer Teil dieser “Entwicklungshilfe” auch noch für sicherheitsrelevante Bereiche ausgegeben wird. Beispielsweise wird etwa der Aufbau der afghanischen Polizei aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziert, anstatt Geld für dringende Ernährungs- und Gesundheitsprogramme zugunsten der lokalen Bevölkerung auszugeben, für die von 2002 bis 2006 lächerliche 433 Mio. Dollar von der “internationalen Gemeinschaft” aufgebracht wurden - zum Vergleich: allein die militärischen Kosten für die einjährige Verlängerung des deutschen ISAF-Einsatzes belaufen sich auf 460 Mio. Euro. Hier liegt der eigentliche Grund für den wachsenden Widerstand im Land. Immer mehr Afghanen realisieren, dass sie es mit Okkupanten, nicht mit Wohltätern zu tun haben, weshalb sie die Besatzer lieber heute als morgen aus ihrem Land jagen wollen. Dabei steigt auch der Anteil derjenigen, die bereit sind, sich gewaltsam gegen den - sicher nicht völlig zu unrecht - zunehmend als ausbeuterisch wahrgenommenen Westen zur Wehr zu setzen. Inzwischen befürworten über 50 Prozent der afghanischen Bevölkerung politisch motivierte Selbstmordattentate gegen die Besatzer. Dies wird auch von Bernhard Gertz offen eingeräumt: “Wir haben uns getäuscht in der Resonanz unserer Bemühungen. [Offenbar] ist die Annahme, die Masse der Bevölkerung stünde hinter Präsident Hamid Karsai und den Isaf-Truppen, nicht ganz zutreffend. Es sind nicht nur wenige entschlossene Terroristen, die uns bedrohen. Viele Afghanen stehen als Unterstützer zur Verfügung.” (Wagner, Jürgen: Die NATO in Afghanistan, AUSDRUCK - Oktober 2006) Bei den rapide anwachsenden Auseinandersetzungen - das Wort “Aufstand” wird in NATO-Kreisen immer offener verwendet - steigen auch die Opferzahlen. Allein im Jahr 2006 kamen Human Rights Watch zu Folge mehr als 4400 Afghanen im Rahmen von ISAF- und OEF-Einsätzen ums Leben. (Die Welt 31.1.07) Dabei kommt es auch immer häufiger zu Opfern unter der Zivilbevölkerung, woran künftig auch die deutschen Tornados einen massiven Anteil haben werden. Unterstützung von KriegsverbrechenDass die USA - wobei sie sicher nicht die einzigen sind, in jüngster Zeit mehren sich Berichte über zivile Opfer nach ISAF-Angriffen - schon einmal Fünf gerade sein lassen, wenn es um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, ist mehr als bekannt, auf der Terroristenjagd wird schon einmal eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert. Bundeswehrverbandschef Gertz sieht hierin immerhin ein Problem: “Was die Verbündeten gemacht haben, ist nicht hinnehmbar. Da wurden mit Bomben aus der Luft angebliche Ziele bekämpft und in nicht tolerablen Ausmaß Unschuldige getroffen.” Wenn Deutschland hierfür mit den Tornado-Aufklärungsflügen Zuarbeit leistet, handelt es sich hierbei um ein Kriegsverbrechen. Das von Deutschland unterzeichnete Statut des Internationalen Gerichtshofes (Artikel 8,2b,iv) verbietet eindeutig ein “vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.” Der frühere parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium und CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer jedenfalls sieht diesen Tatbestand mehr als erfüllt: “Die deutschen Piloten, die mit diesen Flugzeugen die Dörfer ausfindig machen, die anschließend von den Amerikanern zerstört werden, sind damit auf dem direkten Flug nach Den Haag. Wenn man - im Sinne der vielzitierten Kollateralschäden - Menschen aus der Luft bekämpft, fliegt jeder Pilot direkt in die Kriegsverbrechen hinein.” (Spiegel Online 27.1.07) Die Bundeswehr-Kampfeinsätze werden darüber hinaus nicht nur von der Mehrheit der Afghanen abgelehnt. Ende letzten Jahres ermittelte emnid (N24, 28.11.06), dass 87% der Bevölkerung jedweden Kampfeinsatz deutscher Soldaten in Afghanistan ablehnen.Anmerkung der Red.: Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag von IPPNW von Anfang Februar 2007 ergab, dass Etwas mehr als drei Viertel der BundesbürgerInnen (77 %) dagegen sind, dass die Bundesregierung der Bitte der NATO um Entsendung von Tornados zur militärischen Aufklärung in den stärker umkämpften Süden des Landes nachkommt. Rund ein Fünftel spricht sich dafür aus. Siehe Artikel Mehrheit der Bündesbürger gegen Tornado-Entsendung . Da die gesamte ISAF-Mission nichts anderes als ein groß angelegter Kampfeinsatz ist, sollten die Bundestagsabgeordneten diese Meinung respektieren und nicht nur die kommende Entsendung der Tornados, sondern den gesamten Kriegseinsatz ablehnen und sofort sämtliche deutschen Truppen abziehen.
Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2007/02
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