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Kosovo-Flüchtlinge zwischen Rückkehr, Abschiebung und Bleiberecht

PRO ASYL fordert Abkehr von der Politik des Ausreisedrucks

Die Verhandlungen um den künftigen Status des Kosovo treten in die entscheidende Phase. Gewalttätige Proteste gegen die Pläne des UN-Vermittlers Ahtisaari haben vor kurzem erst wieder gezeigt, dass die Lage instabil ist. Trotz einiger positiver Tendenzen gilt dies seit Ende des bewaffneten Konfliktes im Kosovo vor acht Jahren. Neben der unsicheren Zukunftsperspektive haben andere Probleme dazu geführt, dass sich nach wie vor Flüchtlinge in relativ großer Zahl in Deutschland aufhalten. Bei einer Pressekonferenz in Berlin fordert PRO ASYL die Abkehr Deutschlands von der bisher verfolgten Politik eines kontinuierlich erhöhten Ausreisedrucks. Angesichts der weiterhin schwierigen Situation im Kosovo sind Abschiebungen nicht vertretbar.

Insgesamt leben zur Zeit ca. 50.000 Menschen aus dem Kosovo mit einem ungesicherten Status in Deutschland, unter ihnen mehr als 35.000 Angehörige der Minderheiten der Roma, Ashkali und “Ägypter”. Unter den Langzeitgeduldeten, über deren Schicksal die Regierungskoalition in Berlin zur Zeit verhandelt, gehören Kosovo-Flüchtlinge zu den Personengruppen mit der längsten Aufenthaltsdauer. Zur Zeit sind einzig noch Serben und Roma aus dem Kosovo nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz von Rückführungen/Abschiebungen ausgenommen. Wer ansonsten nicht unter die Bleiberechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 oder eine kommende bundesgesetzliche Bleiberechtsregelung fällt, dem droht die Abschiebung - in vielen Fällen nach mehr als 10 Jahren Aufenthalt in Deutschland. Im letzten Jahr wurden knapp 1.500 Personen in das Kosovo abgeschoben, im Jahr 2005 insgesamt 1.725. Die Zahl der freiwilligen Rückkehrer sinkt stetig.

Die Gründe dafür fasst Karsten Lüthke, bis vor einigen Monaten als Repatriation Adviser für UNMIK im Kosovo tätig, in einem aktuellen Papier “Perspektiven bei einer Rückkehr in das Kosovo, insbesondere für Angehörige ethnischer Minderheiten” zusammen:

  • Unterstützungsstrukturen, auf die Rückkehrer in das Kosovo zurückgreifen können, sind kaum vorhanden. Rückkehrer berichten, dass sie von deutschen Ausländerbehörden unter Hinweis auf - tatsächlich nicht vorhandene - Unterstützung vor Ort zur Rückkehr “überredet” worden seien. Tatsächlich sind sie weitgehend auf sich selbst gestellt oder auf Unterstützung durch den Familienverband angewiesen. Hilfsprogramme der Nichtregierungsorganisationen für Rückkehrer sind inzwischen stark eingeschränkt worden. Abgeschobene aus westeuropäischen Staaten können mit keinerlei Hilfe von nichtstaatlichen Organisationen rechnen. UNMIK verfügt über keine eigenen Mittel zur Unterstützung bedürftiger Rückkehrer. Für den Zugang zu sozialen Leistungen gibt es hohe Hürden. Obwohl Sozialhilfeleistungen 30% des Gesamtsbudgets des Kosovo ausmachen, leben 37 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
  • Die Sicherheitslage wird insbesondere von den Minderheitenangehörigen noch als bedrohlich empfunden, was zu einem objektiven Mangel an Bewegungsfreiheit führt. Dass es nach März 2004 zu keinen großflächigen organisierten Übergriffen gegen Minderheiten mehr gekommen ist, führt allein nicht zu einem Gefühl dauerhafter Sicherheit. Zur Sicherheitsproblematik trägt auch bei, dass es bei Polizei und Justiz an Professionalität und Effektivität weiterhin mangelt.
  • Die Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 50 Prozent der Gesamtbevölkerung, bei Jugendlichen bei ca. 70 Prozent. Angehörige der Roma, Ashkali usw. sind vom regulären Arbeitsmarkt faktisch weitgehend ausgeschlossen. Eine Studie zur Situation aus Deutschland abgeschobener Ashkali belegte, dass trotz vorliegender Qualifikation nur eine von vierzehn Personen auf dem Arbeitsmarkt in Kosovo integriert war.
  • Ausreichende Wohnmöglichkeiten gibt es häufig nicht. Insbesondere für Roma- und Ashkaligemeinden gilt: Viele Häuser sind zerstört, Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden sind vielfach ungeklärt. Dies erschwert die Rückkehr. Andere Unterkunftsmöglichkeiten sind nicht vorhanden. Wo eine Rückkehr an den früheren Wohnort nicht möglich ist, bleibt nur die - häufig nicht realistische - Alternative, anderswo privat im Familienkreis Unterschlupf zu suchen.
  • Menschen mit Gesundheitsproblemen tragen zusätzliche Rückkehrrisiken. Trotz immenser Investitionen bewegt sich die medizinische Versorgung im Kosovo auf niedrigem Niveau, wie die Indikatoren Mütter- und Kindersterblichkeit zeigen. Posttraumatische Belastungsstörungen, unter denen Kriegs- und Gewaltopfer häufig leiden, können im Kosovo zur Zeit noch nicht angemessen behandelt werden.
  • Zu den Rückkehrern mit besonderen Problemen gehören schulpflichtige Kinder. Nach langem Aufenthalt in europäischen Aufnahmestaaten fehlen ihnen albanische Sprachkenntnisse. Integrations- oder Sprachkurse für Schüler gibt es nicht. Mangels Krankenversicherung oder sonstiger Unterstützung haben behinderte Kinder im Kosovo bislang keine Chance. Kinder der Roma- und Ashkaliminderheit sehen sich zusätzlich Diskriminierungen ausgesetzt.
  • Alleinstehende und insbesondere alleinerziehende Frauen haben im Kosovo keine ausreichende Lebensgrundlage außerhalb der Familie.

Nach Auffassung von PRO ASYL verbietet sich angesichts dieser Erfahrungen eine Fortsetzung der bisherigen Politik, die auf ständigen Ausreisedruck setzt. Abschiebungen stürzen die Betroffenen ins Elend. Ihre Selbsthilfemöglichkeiten sind extrem begrenzt.

Ob das Ergebnis des Statusklärungsprozesses im Kosovo zu einer friedlichen Zukunft führen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Der Lackmustest für das Funktionieren des Gemeinwesens wird der Umgang mit den Minderheiten sein. Dass die Minderheiten des Kosovo am Verhandlungsprozess nicht beteiligt worden sind, ist bedenklich. Es ist nachvollziehbar, dass sich die - heute noch 35.000 (von einstmals über 150.000) - im Kosovo lebenden Roma und Ashkali ebenso wie die bereits ins Ausland geflohenen deshalb schwer tun, auf das Ergebnis eines Prozesses zu vertrauen, den sie nicht mitbestimmen konnten.

Quelle: PRO ASYL   Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - Presseerklärung vom 09.03.2007.

Veröffentlicht am

18. März 2007

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