Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Ins Kröpfchen

Das neue Bleiberecht lehrt keinen Umgang mit der Differenz


Von Tina Veihelmann

Sie dürfen also bleiben. Besser gesagt - vielleicht dürfen sie bleiben. Wenn sie eine Arbeit nachweisen können. Wenn der Stichtag der Einreise passt. Wenn dies, wenn jenes, dann dürfen sie bleiben. Auf Probe. Auf Bewährung. Vielleicht.

Das Bleiberechtgesetz behandelt die Frage der Zuwanderung auf ebenso zynische wie kurzsichtige Art. Das ist schade. Denn so werden leichtfertig Karten verspielt, die vielleicht das Spiel entscheiden könnten. Eine ungeliebte Wahrheit ist: Die deutsche Bevölkerung schrumpft. Zuwanderer würden dringend gebraucht. Sie sind ein wertvolles Potenzial. Die Zuwanderungspolitik schwankt angesichts dieser Tatsache zwischen zwei Strategien - zwischen einem Unsere-Gene-sind-die-besseren-wir-schaffen-das-schon-Allein und einem Die-Guten-ins-Töpfchen-die-Schlechten-ins-Kröpfchen. Bauernschlau, versucht man jetzt, den kleinsten gemeinsamen Nenner aus allem in ein Gesetz zu gießen: Wir machen die Schotten so dicht wie nötig, um die Unsere-Gene-sind-die-besseren-Fraktion nicht zu vergrätzen. Und lassen ein paar Schlupflöcher für die, die uns nützen könnten. Die jung sind, die arbeiten können und vielleicht noch etwas in die Rentenkassen einbezahlen, sollen kommen dürfen. Allein - so funktioniert es nicht.

Menschen werden dann wertvolle Teile einer Gesellschaft, wenn man sie wertschätzt. Lapidar gesagt, ist die traurige Bilanz deutscher Zuwanderungsgeschichte nach 1945, dass sie es bis jetzt nicht wurden. Und - betrachtet man den Geist, aus dem heraus sich Kurskorrekturen abzeichnen - bleibt es bis heute so. Die Haltung, mit der Migranten begegnet wird, ist instrumentell. Es ging darum, die Arbeitskraft von Gastarbeitern zu nutzen, jetzt geht es darum, Problemgebiete zu managen, und es ändert sich nicht wesentlich, wenn erkannt wird, dass die Zuwanderung eventuell urbar zu machende Chancen bietet. Migranten, die nach Deutschland kommen, sind jedoch Menschen, die dies sehr wohl spüren und diesen Willkommensgruß mit einem ebenso instrumentellen Verhältnis zur deutschen Gesellschaft beantworten. Eine vielfach beklagte “Basarmentalität”, mit der Zuwanderer die Segnungen des hiesigen Sozialstaats wie Schnäppchen auf einem Teppichmarkt nach Hause trügen, ist die logische Konsequenz. Ein Lehrer aus dem Berliner Wedding erzählt, Kinder aus Ex-Jugoslawien, setzten nichts auf die Verheißungen eines deutschen Schulabschlusses - sie vertrauten weit mehr auf die Jobangebote der eigenen Community, im Autoschrottgewerbe etwa, welches diese fest in den Händen hält. Die deutsche Schule als möglicher Ausgangspunkt für einen Start ins gesellschaftliche Leben wird von vorn herein nicht ernst genommen. Diese Entscheidung wird nicht als bewusste Absage gefällt - sie fußt vielmehr auf einer kollektiven Erfahrung, die Migrantenkulturen in einschlägigen Gebieten weitergeben.

Ein würdiges Leben in der deutschen Gesellschaft - das ist eine Binsenweisheit unter Zuwanderern - ist möglich. Jedoch nur bei uneingeschränkter Bereitschaft, das Eigene, die Differenz aufzugeben. Polnische Migranten werden nur solange verachtet, wie sie mit Akzent sprechen und von Putzjobs leben. Dann aber, nach einigen Jahren oder in der nächsten Generation, wird ihre lautlose Integration gelobt. Als problematisch gelten die, die auf der eignen Differenz bestehen: ein guter Teil der Deutschtürken, Palästinenser, Libanesen, Roma. Ihre Anwesenheit genügt als Indikator für soziologische Studien, um ein Gebiet als “sozialen Brennpunkt” auszuweisen. Wenn Deutschtürken in der zweiten Generation dies als “Kälte” der deutschen Gesellschaft beschreiben, ist das nicht verwunderlich. Wenn sie mit ihren Kindern ausschließlich türkisch sprechen, wenn diese mit trotzigem Stolz das Kopftuch tragen und in der Schule folglich als Problemfall gelten und zum Problemfall werden, dreht sich dieses Rad weiter.

Dass vor diesem Hintergrund Zuwanderung kaum als Ressource, sondern meist als Problem wahrgenommen wird, verblüfft nicht. Die Welt des Faktischen bestimmt das Vorstellungsvermögen. Das Faktische ist: Migrantenkinder auf Hauptschulen, keine Sympathieträger - und Hoffnungsträger schon gar nicht. Die Krux ist - selbst wenn man das Potenzial nun plötzlich erkennen, es anerkennen und entwickeln wollte - es wird nicht zu haben sein, solange die Deutschen nicht lernen, mit Differenz umzugehen. Ein Gastgeberland zu sein, das nicht nur das Geschenk des Gastes haben will, sondern auch seine Persönlichkeit gelten lässt.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 12 vom 23.03.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

30. März 2007

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