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Nicht alle rennen hinterher

EU-Jubiläumsgipfel: Der Verfassungszug unterwegs ins Nirgendwo


Von Rudolf Walther

Die Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge, mit denen die europäische Integration begann, ist in mehrfacher Hinsicht ein beachtliches Dokument. Unterzeichnet haben es nicht etwa die Staats- beziehungsweise Regierungschefs aus den 27 Mitgliedsstaaten, sondern nur Angela Merkel, Hans-Gert Pöttering als Präsident des Europäischen Parlaments und José Manuel Barroso als EU-Kommissionspräsident. Die anderen 26 EU-Staaten haben das Papier lediglich abgenickt, manche davon mit dezentem Unbehagen wie Polen, Tschechien und Großbritannien, auch wenn es niemanden zu irgend etwas Verbindlichem verpflichtet.

Die deutsche Kanzlerin hatte vor knapp drei Monaten in ihrer Straßburger Antrittsrede öffentlich verkündet, den Verfassungsvertrag reanimieren zu wollen. Bemerkenswert ist, was nach wochenlangem verbalen Nahkampf, in dem die Berliner Erklärung entstand, von dieser Absicht übrig blieb: Eigentlich nichts, denn Begriffe wie “Verfassung” und “Vertrag” sucht man vergeblich - stattdessen gibt es eine wachsweiche Absichtserklärung, die Union bis zu den Europawahlen 2009 “auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen”. Und selbst um diesen Formelkompromiss musste Frank-Walter Steinmeier bis zuletzt bangen.

Beachtlich ist auch, wie die Berliner Erklärung das “europäische Gesellschaftsideal” beschreibt, das vom Gemeinsamen Markt und vom Euro getragen werde, was im Umkehrschluss nahe legt - Großbritannien, Dänemark und Schweden sowie neun der erst 2004 beigetretenen Länder müssen das Ideal halbiert haben. Schließlich behielten sie vorerst ihre eigenen Währungen.

Auch die Rangordnung der künftigen Aufgaben der EU sollte man würdigen: An der Spitze steht der Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität - ein eher amerikanisches “Gesellschaftsideal”. Mit demonstrativem Pathos werden die Grundwerte “Freiheit”, “Toleranz”, “Sicherheit”, “Gerechtigkeit” oder “Solidarität” beschworen. Nur wer diese Glaubenssätze in der Berliner Erklärung herbetet, bleibt nebulös. 28 mal tauchen zwar die Worte “wir” oder “uns” in der Erklärung auf, ohne dass auch nur annähernd geklärt wird, wer sich hier öffentlich bekennt: Merkel und ihre beiden Mitunterzeichner? Die 27 Staats- oder Regierungschefs? Deren Wähler und Parteigänger oder die Millionen dazu nicht weiter befragten Bürger in der EU?

Neu ins begriffliche Fachwerk eingebaut wurde das Wort “Glück”. Ob das eine Konzession an die amerikanische Verfassung ist, in der das Wort seit über 200 Jahren steht? Auf jeden Fall ist die Ermahnung, “das Glück … der europäischen Einigung für künftige Generationen zu schützen”, eine ebenso aparte Mission wie die Dressur von Flöhen, denn nach wie vor gilt: “Alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher” (Bert Brecht).

Angela Merkels Versuche, den Verfassungsvertrag wieder beleben zu wollen, erscheinen aussichtslos, denn vor den französischen Präsidentschaftswahlen am 22. April geht gar nichts und danach hat sie gerade noch fünf Wochen Zeit, um für ihren “Fahrplan” zur “erneuerten gemeinsamen Grundlage” zu werben. Es ist nicht schwer zu erraten, was davon bleiben wird - Schall und Rauch wie vom Wort “Finalität” in Joschka Fischers seinerzeit hochgelobten Rede an der Berliner Humboldt-Universität am 12. Mai 2000. Wer einen Fahrplan aushängt, muss den Zielbahnhof oder wenigstens die Fahrtrichtung kennen. Die polnische Außenministerin Anna Fotyga gab ihre schon vor Wochen bekannt: “Wir wollen nicht, dass der vorliegende Vertrag als Grundlage der Verhandlungen dient.” Und die britische Regierung schloss sich dem mit verklausulierten Worten an. Angela Merkel will jedoch “die Substanz des Vertrages” retten. Das wird eine lange Reise, die auch dadurch nicht einfacher wird, dass die Kanzlerin in ihrer Berliner Rede einen bereits weggeräumten Klotz wieder auf die Schienen gelegt hat, als sie “die jüdisch-christlichen Wurzeln Europas” beschwor. Außer bei den konservativen Hardlinern in den eigenen Reihen, bei den Kaczynski-Brüdern und beim Papst dürfte sie sich damit wenig Freunde gemacht haben.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 13 vom 30.03.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Rudolf Walther und des Verlags.

Veröffentlicht am

31. März 2007

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