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Vorsicht, Staatsgewalt

George McLeod interviewt Noam Chomsky


Von Noam Chomsky und George McLeod - ZNet 03.04.2007

Noam Chomsky gilt weltweit als der führende Kritiker, wenn es um die Macht der USA geht. Laut Umfragen ist er der wichtigste Intellektuelle des 20. Jahrhunderts. Zu seinen Werken zählen über 30 bedeutende politische Bücher, darunter viele Bestseller. In seinem ersten Interview für die ‘Bangkok Post’ diskutierte Prof. Chomsky mit George McLeod über globale und regionale Themen.


George McLeod: Wie Sie wissen, wurde in Thailand die Regierung Thaksin durch einen Militärputsch gestürzt. Thaksin stand wegen seines undemokratischen Regierungsstils und der herrschenden Korruption in der Kritik. Wie kommentieren Sie den Coup in Thailand? Halten Sie es für möglich, dass man mittels Staatsstreich eine demokratische Wende herbeiführen kann?

Noam Chomsky: Prinzipiell ja. Fast alles ist möglich. Aber es sind eine Menge Beweise nötig, um eine Regierung gewaltsam zu stürzen. Man muss wirklich sehr starkes, belastendes Beweismaterial zur Verfügung haben. Sie müssen starke, schlüssige Argumente vorlegen, um den Einsatz von Gewalt zu rechtfertigen.

In Washington, zum Beispiel, herrscht jede Menge Korruption - Vetternwirtschaft, jeden Tag gibt es Schlagzeilen - aber das rechtfertigt noch keinen Militärcoup.

Im Falle Thailands glaube ich nicht, dass die Beweislast ausreichend war - allerdings muss ich hinzufügen, dass ich zu diesem Thema über keinerlei Detail- oder Spezialinformation verfüge.

Meine Erwartung war, der Militärcoup wird letztendlich zu einem System führen, das noch übler ist als das überwundene. Kleine Sektoren der Bevölkerung werden möglicherweise von dem Coup profitieren, nämlich die Reichen und Privilegierten.

Die US-Regierung hat Handelssanktionen über die burmesische Junta verhängt. Die burmesische Regierung ist ein äußerst brutales Regime. Ist dies ein Beispiel für eine positive Haltung der USA gegenüber der Region?

Die USA können viel Positives bewirken, in manchen Fällen tun sie es sogar. Wie man im Einzelnen mit der burmesischen Junta verfahren sollte - diese Frage gehört auf den Tisch.

Die burmesische Regierung ist verrottet, ein Horror. Natürlich sollte jemand dem burmesischen Volk beistehen, damit es sich von ihr befreien kann. Die Frage, in welcher Form dies geschehen sollte, ist allerdings nicht leicht zu beantworten.

Sanktionen sind ein Schuss, der oft nach hinten losgeht. Man sollte sich wirklich genau überlegen, welche Maßnahmen die geeigneten sind. Manchmal ist Handeln die effektivere Wahl.

Diese Dinge müssen sehr durchdacht sein, Formeln allein reichen nicht.

McLeod: Zum Thema China. Sie haben erwähnt, dass sich China zum größten Machtkonkurrenten der USA in Asien entwickelt, dass sich Amerika regelrecht “vor China fürchtet”. In welcher Weise könnte China den US-Interessen in Asien gefährlich werden?

Chomsky: China stellt für die USA keine Gefährdung im militärischen Sinne dar. Von allen Großmächten ist China wohl die zurückhaltendste, wenn es um den Ausbau der Streitkräfte geht. China ist aber eine ernste Bedrohung für die Macht Amerikas, weil es keine Angst vor Amerika hat.

Nehmen wir zum Beispiel Irak oder Iran. Die USA wollen, dass die Welt den Iran boykottiert - im Sinne der amerikanischen Politik. Europa ballt zwar die Fäuste, gibt aber klein bei. Wenn Amerika Staaten warnt, nicht im Iran zu investieren, neigen europäische Investoren - Banken und so weiter - dazu, sich zurückzuziehen.

China hingegen schert es nicht. China macht weiter, wie gehabt, es tut, was es will… Die Vorstellung, dass hier ein potentiell mächtiger Staat existiert, der sich nicht so leicht einschüchtern lässt, wirkt auf die Leute, die die Welt regieren wollen, sehr bedrohlich.

Sie (die USA) sind ein klein wenig wie die Mafia. Der Pate toleriert keinen Ungehorsam - nicht bei einem kleinen Ladenbesitzer und schon gar nicht bei wichtigen Leuten. Es ist bedrohlich.

Allerdings sind die Beziehungen zwischen beiden Staaten äußerst ambivalent. Aus der Perspektive der Staatsmacht USA stellt China eine Bedrohung dar, weil das Land seinen eigenen Kurs verfolgt. Andererseits gibt es in Amerika mächtige Geschäftsinteressen, die enormen Einfluss auf die amerikanische Politik ausüben. Für diese Unternehmen steht eine Menge auf dem Spiel, wenn es um China geht. China ist für sie eine wunderbare Plattform für Billigexporte und ein potentieller Markt. So gesehen besteht ein starkes Interesse an festen Bindungen zu China. Das ist ein Konflikt innerhalb der USA.

Oder denken wir nur an die enormen Finanzreserven Chinas. Sie sind größer als die japanischen und halten die US-Wirtschaft am Laufen. Die Beziehungen (zwischen China und den USA) sind ziemlich verzwickt und kompliziert.

McLeod: Hat Asien Grund, sich vor der wachsenden Macht und dem wachsenden Einfluss Chinas zu fürchten?

Chomsky: Immer wenn eine Großmacht entsteht, haben alle Grund zur Sorge - selbst die Chinesen. Machtkonzentrationen sind eine gefährliche Sache, das zeigen viele Beispiele der Geschichte.

Zur Frage, wie sehr wir uns sorgen müssen: Das kommt auf die weitere Entwicklung an. Eine stärkere Beziehung zwischen Indien und China beispielsweise könnte für Asien von Nutzen sein. Eine solche Bindung entwickelt sich gerade - und das ist weit besser, als wenn China gegenüber den Nachbarn die Muskeln spielen ließe.

McLeod: In Ihren Schriften und Vorträgen betonen Sie die enorme Bedeutung des Asian Energy Security Grid (Energiesicherungsnetz für Asien) - auch wenn sich das Medieninteresse zu diesem Thema in Grenzen hält. Können Sie uns sagen, was das für ein Energiesicherungsnetzwerk ist und worin dessen Bedeutung liegt?

Chomsky: Im Grunde existieren zwei parallele Organisationen - zum einen das Asian Energy Security Grid, zum anderen das Shanghai Cooperation Council (SCC). Beide sind schwerpunktmäßig in China ansässig.

Die USA wollten Beobachterstatus im SCC - und wurden abgelehnt. Das hat Amerika schwer getroffen, zumal die zentralen asiatischen Staaten Mitglieder der Organisation sind, auch Russland ist dabei, der Iran hat Beobachterstatus, Indien und Pakistan werden dem SCC wohl in Kürze beitreten.

Das SCC nimmt die Form eines Gegenparts zur Nato an. Der Konflikt im Mittleren Osten hat einiges damit zu tun. Ja, Sie haben recht, hierzulande wird kaum darüber berichtet. Vor kurzem sagte (US-Vizepräsident) Cheney in einer Ansprache in Litauen, die Kontrolle über Energieressourcen oder Pipelines dürfe nicht zum Mittel der Bestechung und Einschüchterung werden - so ähnlich lautete der Satz. Damit spielte er auf Ressourcen in den Händen anderer an. Aber man sollte bedenken, dass die anderen es genauso sehen, wenn es um Energieressourcen in den Händen der USA geht…

Kontrolle über Energie - das ist ein großes Problem. China, Russland und Indien haben klar begriffen: Wenn das “asiatische Zeitalter” - manche nennen es so -, in irgendeiner Form anbrechen soll, müssen sie Kontrolle über ihre eigenen Energieressourcen erlangen.

Auch das Nordkorea-Problem ist Teil des Ganzen. Nordkorea besitzt zwar keine nennenswerten ökonomischen Ressourcen, aber über sein Gebiet könnten Pipelines mit Energieressourcen nach Südkorea geleitet werden und weiter bis nach Japan. Das wäre der natürliche Weg. Auch die transsibirische Eisenbahn ließe sich nach Nordkorea erweitern. Nordkorea kommt daher geostrategische Bedeutung zu - innerhalb dieser sehr dynamischen ‘economic group’ im Nordosten Asiens.

McLeod: Glauben Sie, dass der Asian Energy Security Grid auch ein wesentlicher Faktor im Konflikt mit dem Iran ist?

Chomsky: Im Falle des Iran geht es um zwei grundsätzliche Dinge. Erstens, der Iran liegt, ebenso wie der Irak, mitten im Herzen des energieproduzierenden Systems - so einfach ist das. Es gibt noch einen weiteren Faktor, nämlich den oben erwähnten Mafia-Faktor. 1979 hat der Iran die USA erfolgreich herausgefordert, indem es den Tyrannen stürzte, den Amerika dort installiert hatte. Dafür soll der Iran bestraft werden.

Sehen Sie sich die US-Politik seit 1979 an. Zuerst - unter der Regierung Carter - versuchten die USA, im Iran einen Staatsstreich auszulösen, was misslang. Später, unter Reagan, wandten sie sich Saddam Hussein zu und unterstützten ihn bei seinen Akten der Aggression gegenüber dem Iran. Dabei handelt es sich um keine Kleinigkeit.

Hunderttausende Iraner starben durch den Einsatz chemischer Waffen. Die USA, Großbritannien und andere Westmächte, auch Russland, haben Saddam Hussein volle Unterstützung gewährt - während er seine schlimmsten Gräuel beging… Erst später kamen die strengen Embargos und Boykotte, das Säbelrasseln und ähnliche Einschüchterungsversuche.

Derzeit finden massive Flottenverlegungen in die Golfregion statt. Man kann fast schon mit Sicherheit sagen, dass es zu irgendeinem Konflikt kommen wird - vielleicht sogar aus Versehen.

Nehmen wir nur den Vorfall (von letzter Woche). Ein iranisches Marineboot bringt mehrere kleine britische Marineboote auf und nimmt deren Besatzungen gefangen. Die Umstände sind umstritten. Ein kleiner Vorfall dieser Art könnte zu einem großen Krieg führen.

Ja, es gibt ein Atomproblem (mit dem Iran), aber das ist lösbar. Wären die USA und der Iran zwei funktionierende Demokratien, die Sache wäre zu klären. Die amerikanische und die iranische Öffentlichkeit sind in Fragen der Atomenergie eng beieinander. Eine große Mehrheit in beiden Staaten ist der Meinung, der Iran habe das Recht, eigene Kernenergie zu erzeugen. Die gleiche Mehrheit - in beiden Ländern - vertritt andererseits die Ansicht, der Iran sollte nicht die Berechtigung haben, Kernwaffen zu entwickeln. Hier läge die Chance für eine Lösung - falls beide Staaten Demokratien wären.

McLeod: Thema Israel. Sie sind ein großer Kritiker der israelischen Politik. Viele Beobachter - beispielsweise der Autor Alan Dershowitz - sind der Ansicht, die Kritik an Israel sei unverhältnismäßig. Er verweist darauf, dass kein Land sooft von den Vereinten Nationen verurteilt wurde wie Israel. Schließlich sei Israel weit davon entfernt, die übelste Menschenrechtsverletzungs-Bilanz der Welt vorzuweisen. Wie würden Sie darauf antworten?

Chomsky: Erinnern wir uns, Alan Dershowitz ist ein fanatischer Unterstützer israelischer Gewalt und israelischer Gräuel. Er ist durchaus kein neutraler Beobachter - er ist äußerst extrem. Stellen Sie sich vor, Sie hätten in den 50er Jahren einem Mitglied der Kommunistischen Partei die Frage gestellt: “Schau dir nur an, wie Russland in der Welt verurteilt wird, es ist doch nicht das schlimmste Land auf Erden?”

Davon abgesehen gibt es durchaus Grund, Israel zu verurteilen. Natürlich gibt es viele Länder, in denen es weit schlimmer zugeht. Nichtsdestotrotz, die Militärokkupation Palästinas ist eine harte Sache. Dabei gäbe es eine Lösungsmöglichkeit, die alle kennen: eine Zwei-Staaten-Lösung, basierend auf der internationalen Grenze. Aber Israel und die USA weisen dies zurück.

In einem Punkt gebe ich Dershowitz allerdings recht. Es ist falsch, Israel zu verurteilen - man sollte die USA verurteilen. Israel kann nichts tun, ohne die Erlaubnis der USA einzuholen. Es ist ein kleines Land, das sich bewusst entschlossen hat, sich Amerika hörig zu machen. Das lässt sich sogar an einem Datum festmachen - 1971, als Ägypten Israel einen umfassenden Friedensvertrag anbot. Israel hatte damals die Wahl - Ausdehnung oder Sicherheit. Es hat sich für Ausdehnung entschieden - mit Rückendeckung (des damaligen US-Außenministers) Henry Kissingers. So konnte Israel es durchziehen.

Seither hat Israel nicht mehr die Wahl. Wenn es allerdings einen Friedensvertrag will, wird es ihn bekommen. Da ist zum Beispiel der Vorschlag der Arabischen Liga von 2002 - nur einer von vielen seit 1976. Dieser Vorschlag bietet Israel normalisierte Beziehungen und die Einbindung in die Region an. Allerdings müsste Israel im Gegenzug auf weitere Expansionen verzichten. Dazu ist es nicht bereit.

Nehmen wir ein Land, das in einer vergleichbaren Situation steckt: Marokko. Marokko hält die Westsahara besetzt, aber da es ein Verbündeter der USA ist, wird dies ignoriert.

McLeod: Israel verfügt über sehr wenig natürliche Ressourcen und spielt keine große wirtschaftliche Rolle. Die USA zahlen also einen hohen politischen Preis für die Unterstützung dieses Landes. Was gewinnen die USA durch ihre Sonderbeziehung zu Israel?

Chomsky: Wir kennen die Antwort nur allzu gut. Die israelisch-amerikanischen Beziehungen - in ihrer jetzigen Form - begannen im Jahr 1967.

1967 erwies Israel den Amerikanern einen großen Dienst, indem es den unabhängigen, säkularen arabischen Nationalismus vernichtete. Dieser Nationalismus wurde damals als große Bedrohung angesehen.

Der älteste und geschätzteste US-Verbündete ist allerdings Saudi-Arabien, denn in der dortigen Region liegt das meiste Öl. Die Saudis sind wahrscheinlich die extremistischste, fundamentalistische islamische Tyrannei auf Erden.

Das wichtigste Zentrum des arabischen Nationalismus war damals Ägypten unter Nasser. Israel machte Nassers säkularen Nationalismus den Garaus - was Amerika enormen Machtzuwachs erwarb. Nasser galt als die große Bedrohung. Man fürchtete, er könnte die Ressourcen der Region zum Nutzen der eigenen Bevölkerung einsetzen - und nicht zum Nutzen des Westens. An diesem Punkt verfestigten sich die Beziehungen zwischen Israel und den USA.

1970 geschah etwas noch Wesentlicheres. Die Palästinenser entwickelten sich zu einer organisierten, säkularen Nationalbewegung. Sie (die Amerikaner) bekamen Angst. Diese Bewegung legte sich mit Jordanien an - einem Verbündeten der USA und der Briten.

Die jordanische Armee hat sie (die Palästinenser) regelrecht abgeschlachtet. Kurze Zeit sah es so aus, als würde Syrien zum Schutze der Palästinenser intervenieren. Das wurde als große Bedrohung für die Haschimiten-Monarchie (in Jordanien) angesehen sowie für die saudischen Tyrannen am Golf… Die USA hingen zu diesem Zeitpunkt in Indochina fest und konnten nicht eingreifen.

Also mobilisierte Israel - auf Bitten der USA - seine Streitkräfte. Syrien war gezwungen, den Schwanz einzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt vervierfachten die USA ihre Hilfen für Israel. Im Prinzip war damit das Ende des säkularen Nationalismus in der arabischen Welt besiegelt.

Seit damals hat sich Israel zu einem wichtigen strategischen Posten für die USA entwickelt. Israel ist ein Implantat des Westens, eingepflanzt direkt in die Peripherie der energiefördernden Region. Ein Beispiel: Wenn die USA oder die Briten die Sanktionen gegen Südafrika umgehen wollten - was damals durchaus der Fall war -, gingen sie manchmal über Israel, als Schleichweg. Israel war ja glücklich über seine offenen Beziehungen zum Apartheidstaat; man sah sich in einer vergleichbaren Situation.

Das geht hinunter bis nach Südostasien. (Der damalige US-Präsident) Carter wollte die amerikanische Unterstützung für die indonesische Aggression in Osttimor hochfahren (Indonesien schlachtete dort die Bevölkerung ab), aber der US-Kongress errichtete Barrieren, Amerika konnte Indonesien nicht direkt unterstützen. Also brachten sie Israel dazu, US-Jets nach Indonesien zu senden…

Wenn Sie sagen, es (Israel) sei ökonomisch nicht von Interesse, so stimmt das nicht ganz. Israel ist eine Art Außenstelle der amerikanischen Hightech-Industrie…

georgemcleod@gmail.com

Quelle: ZNet Deutschland   vom 08.04.2007. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel:    Beware of State Power .

Veröffentlicht am

11. April 2007

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