Baruchs großer BluffHunter College Gymnasium in New York: Wie die US-Diplomatie einst das eigene Atomwaffenmonopol anno 1946 verewigen wollte
Von Wolfgang Kötter Mit einem erstaunlichen Appell überraschte das konservative Wall Street Journal seine Leser am 4. Januar 2007: Vier ehemals hochrangige Politiker plädierten für eine Welt ohne Kernwaffen. Die früheren Außenminister Kissinger und Shultz, Ex-Verteidigungsminister William Perry und der langjährige Senator Sam Nunn riefen die Bush-Administration zu konkreten Abrüstungsschritten auf. Die Welt stehe “am Abgrund einer neuen und gefährlichen atomaren Ära”, es drohe ein “zweites nukleares Zeitalter, das gefährlicher, psychologisch verwirrender und wirtschaftlich noch kostspieliger” sein werde als alles, was man bisher gekannt habe. Schon einmal hätten die USA eine Art “Atomplan” vorgelegt, doch sei die Chance zur nuklearen Abrüstung vor 60 Jahren leichtfertig vergeben worden. Das zumindest behauptet die offizielle Geschichtsschreibung, wenn sie das Thema “Baruch-Plan” streift. Aber ist das wirklich die historische Wahrheit oder lediglich ein Mythos? Tatsächlich schlug der amerikanische Vertreter Bernard Mannes Baruch auf der ersten Sitzung der UN-Atomenergiekommission am 14. Juni 1946 im New Yorker Hunter College Gymnasium vor, eine “Internationale Atomare Entwicklungsbehörde” zu gründen. Trumpf gegen StalinZuvor war in den USA heftig darüber gestritten worden, wie das Land mit seinem Alleinbesitz der atomaren Superwaffe künftig umgehen sollte. Über deren verheerende Zerstörungskraft konnte nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, die 200.000 Menschen das Leben kosteten, kein Zweifel bestehen. In der teilweise erbittert geführten Debatte befehdeten sich in den Vereinigten Staaten zwei Lager: Das eine ging davon aus, ein amerikanisches Atomwaffen-Monopol werde es kaum auf unbegrenzte Zeit geben. Früher oder später würden auch andere Länder nachziehen. Den riesigen Gefahren einer militärischen Anwendung der Kernenergie könne deshalb nur begegnet werden, indem man weltweit kooperiere. Kernphysiker wie Nobelpreisträger James Franck, Eugene Rabinowitch und Leo Szilard warnten davor, sich auf ein atomares Wettrüsten einzulassen. Die Regierung in Washington ignorierte das, sie folgte statt dessen einflussreichen Militärs und Politikern, die auf eine länger währende Ausnahmestellung spekulierten. Der militärische Chef des Manhattan-ProjektsDas Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe begann 1942 in der Wüste nahe Los Alamos/New Mexico unter Leitung von Robert Oppenheimer, Kosten nach heutigem Kurswert: 20 Milliarden Dollar., General Leslie Groves, rechnete sogar damit, über die ultimative Waffe mindestens für ein bis zwei Jahrzehnte allein verfügen zu können. Seine Empfehlung, dafür gegebenenfalls auch präemptive Atomwaffenschläge gegen ausländische Nuklearanlagen zu führen, erinnert fatal an die heutige Kriegsführungsstrategie der Bush-Regierung. Auch der damalige Außenminister James Byrnes hielt Nuklearwaffen als Trumpfkarte gegenüber Stalin für unverzichtbar. Deshalb müsse das Atomgeheimnis gehütet werden, ergebe sich daraus doch für die USA ein wirksames außenpolitisches Druckmittel, um der übrigen Welt den “American Way of Life” verordnen zu können. Präsident Truman selbst neigte zur zweiten Gruppe, hatte er doch die Bombe bereits im Sommer 1945 nach ersten erfolgreichen Nukleartests als hilfreichen diplomatischen “Knüppel” in den Verhandlungen mit Moskau über das Potsdamer Abkommen begrüßt. Schließlich wurde eine Beratergruppe aus Politikern und Wissenschaftlern, angeführt von Vize-Außenminister Dean Acheson und dem Rechtswissenschaftler David Lilienthal, beauftragt, Optionen für das weitere Handeln vorzulegen. Dieses Gremium hatte sich bald auf einen realpolitischen Ansatz verständigt und empfahl, auf das Atom-Monopol zu verzichten und alle nuklearen Aktivitäten zu “multilateralisieren”. Paradoxerweise beauftragte Präsident Truman dann aber den 75-jährigen Multimillionär und Bankier Bernard Mannes Baruch, einen notorischen Gegner internationaler Kooperation, das Projekt in der UNO zu unterbreiten. Der hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Plan von Acheson und Lilienthal derart zu verändern, dass er letztlich unannehmbar wurde und jedem Verhandlungspartner als offene Provokation erscheinen musste. Gromykos VetoEine knappe Woche, nachdem Baruch seine Vorstellungen präsentiert hatte, reagierte am 19. Juni 1946 der damals 36-jährige sowjetische Diplomat Andrej Gromyko, später für Jahrzehnte Außenminister seines Landes, mit einem klaren Nein. Natürlich hatte man in Moskau die Absicht der Amerikaner durchschaut, der UdSSR durch eine internationale Behörde den Weg zu eigenen Atomwaffen zu versperren und sie damit möglichst lange in weltpolitischer Zweitklassigkeit zu halten. Darauf zielten gleich mehrere Klauseln des Baruch-Plans: Ausschließlich die internationale Behörde sollte künftig die Nutzung der Atomenergie in allen Phasen betreiben dürfen, das hieß, Natur-Uran fördern, verarbeiten und anwenden. Keiner Nation würde es künftig erlaubt sein, selbstständig zu forschen, dies sollte nur noch innerhalb der mit umfassenden Kontrollrechten ausgestatteten Behörde geschehen. Bei Fehlverhalten waren strenge Sanktionen bis hin zur Bestrafung mit Waffengewalt vorgesehen. Für Beschlüsse sollte das im UN-Sicherheitsrat übliche Veto-Prinzip suspendiert werden, das aus Moskauer Sicht unverzichtbar war, um nicht genehme Entscheidungen dieses Weltgremiums abzublocken. Schlimmstenfalls hätte man laut Baruch-Plan mit einem durch die UNO legitimierten Atomwaffenangriff der USA rechnen müssen. Die Vereinigten Staaten hingegen wollten sich für ihr Atomprogramm völlig freie Hand lassen. Einen Herstellungsstopp oder gar einen Verzicht auf bereits vorhandene Kernwaffen sollte es erst geben, sobald uneingeschränkte Kontroll- und Inspektionssysteme sowie Strafmodalitäten bei Vertragsverletzungen etabliert waren. Nach dem sowjetischen Alternativplan sollte alles genau andersherum vonstatten gehen. Zunächst wollte man sich auf eine internationale Konvention einigen, mit der es prinzipiell untersagt blieb, Atomwaffen zu produzieren und anzuwenden. Innerhalb von drei Monaten sollten die amerikanischen Bestände beseitigt sein. Kontroll- und Sanktionsformeln würde später ein noch zu bildender Ausschuss erarbeiten - das Vetorecht blieb für alle Entscheidungen der Atombehörde gültig. Die sowjetische Diplomatie verfolgte damit eine Doppelstrategie: Zum einen hoffte sie, das US-Atomwaffenmonopol durch ein vertragliches Verbot für Kernwaffen auszuhebeln. Im Falle des - zu erwartenden - Fehlschlags bei dieser Option aber sollten die Verhandlungen zumindest genutzt werden, um in der gewonnenen Zeit, eigene Atomwaffen ungestört entwickeln zu können. Angesichts dieser unüberbrückbaren Gegensätze dümpelten die Abrüstungsdebatten in der UNO noch Jahre ergebnislos dahin. Bernard Mannes Baruch ließ zwar in der Atomenergiekommission über den Plan abstimmen, scheiterte jedoch am sowjetischen Veto im Sicherheitsrat. Drei Jahre später dann sollte sich die Lage drastisch ändern, denn am 29. August 1949 zündete die Sowjetunion in Semipalatinsk-21 erfolgreich ihren ersten Kernsprengsatz Tatjana und demonstrierte damit, atomar gleichgezogen und die internationale Kräftebalance ausgeglichen zu haben.
Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 15 vom 13.04.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter und des Verlags. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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