Dorf der MärtyrerVon Gideon Levy, Haaretz, 15.4.07 Auf einem von Zypressen markierten viereckigen Platz ruhen die Toten. Hier sind 48 Jahre alte Gräber - Gräber von Qassem Abbas, Awad Jawad, Arif Aqel und vielen unbekannten Soldaten, die hier unter den alten Grabsteinen ruhen. Es ist der Friedhof von gefallenen irakischen Soldaten von 1948. Bis zur Errichtung der palästinensischen Behörde stand hier auch ein alter irakischer Panzer. 1993 beeilten sich die Israelis, ihn wegzuschaffen, damit die Palästinenser nicht den Schrott holen und verwenden. Am Hang oberhalb des Friedhofes - südlich von Jenin - wurde 1948 Al Shuhada, das “Dorf der Märtyrer” von beduinischen Flüchtlingen gegründet. Etwa 2000 ihrer Nachkommen leben heute hier; etwa ein Drittel der Männer geht heute noch nach Israel zur Arbeit: auf den Feldern von Emek Hefer und seiner Umgebung, genau dort wo das Dorf ihrer Vorfahren einst stand. Ende letzter Woche wurde dort ein neues Grab gegraben. Ahmed Asasa wurde in die Erde des Dorfes gelegt. Er war von einem Scharfschützen von weitem ins Genick geschossen worden. Zwei seiner Freunde, die versuchten, ihm zur Hilfe zu kommen, wurden auch vom Scharfschützen angeschossen und verletzt. Asasa war 15 und war in der 10. Klasse. Er verblutete zu Tode. Es gibt mehr als einen Ahmed Asasa in dieser Geschichte: der eine, der ihm zur Hilfe eilen wollte und einer der Zeugen dieses Tötens. Sie haben alle denselben Namen. Unsere Begleitung zum Dorf zögerte mit seinem Wagen in das Flüchtlingslager von Jenin zu fahren, wo wir auf ihn warteten. Hauptmann Saud ist bewaffnet und trägt ein modernes Hemd, das mit dem Logo der USA-Spezialtruppe bestickt ist. Er weiß, dass die Grenzen des Lagers für das PA-Personal eine “rote Linie” sind. Außerhalb der Grenze liegen seine Leute versteckt und warten auf die Besitzer der gestohlenen Autos aus der Stadt und dem Lager. Sie konfiszieren und zerstören sofort diese Fahrzeuge. “Die PA brachte das Ende der Besatzung, löste das Flüchtlingsproblem und nun beschäftigt sie sich nur noch mit den aus Israel gestohlenen Autos”, sagen die Leute des Lagers bitter. Das Regierungskrankenhaus der Stadt - am Rande des Lagers gelegen - ist geschlossen, da das Personal nicht bezahlt werden kann. Die zwei verwundeten Jungs, die wir später trafen, erhielten nur Erste Hilfe im Hospital und wurden dann entlassen. Das Hospital ist wie verlassen. Oh dieser internationale Boykott. In der Stadt und im Flüchtlingslager von Jenin sehen die Leute wie wandelnde Tote aus. Wir parkten unseren Wagen vor dem Haus von Rabi’a Asasa, dem “bingo” - Slang für den gesuchten Mann im Dorf. Um ihn festnehmen zu können, verwüsteten sie diesen Platz vor zwei Wochen. Beim Versuch, ihn zu fangen, töteten sie den jungen Ahmed. Rabi’a konnte entkommen. Wir gingen zum Haus des toten Jungen. Das blaue Eisengitter ist zertrümmert, weil der Jeep in den Hof raste. Die Häuser sind auf einem felsigen Hang gebaut. So war es mühsam zu Ahmeds Haus zu kommen. Die Felder von Qabatiya waren unten im Tal sichtbar. Zwischen den Häusern steht ein selbstgemachtes Denkmal mit einem Foto von Ahmed. Dort war er gefallen. Der Scharfschütze - so sagten die Bewohner - stand dort im rosa Fenster des Hauses am Hang unter der Satellitenschüssel, mehr als 100 Meter entfernt. Der Scharfschütze zielte auf den Hals, feuerte und Ahmed stürzte hin. Es war noch sehr früh am Morgen. Nur die Arbeiter, die zur Arbeit nach Israel gingen, waren zu dieser Stunde schon wach. Das Geräusch der Gewehre und das der explodierenden Granaten war von den Hügeln zu hören. Das ganze Dorf wachte erschrocken auf. Auch Ahmed in seinem Haus auf der Hügelkuppe wachte auf. Die Frauen und Kinder eilten hinaus und den Abhang hinunter, aus Furcht vor den Soldaten, die von oben kamen. Sie wussten nicht, dass die Soldaten schon das ganze Dorf überfallen hatten und auf den Dächern und an den Fenstern der Häuser standen. Nur Ibrahim Asasa blieb im Haus. Ibrahim, 69, ist Vater von 11 Kindern, Ahmed war sein Jüngster. Drei Tage nach der Tragödie sieht man ihm immer noch den Schock an. Er stammt aus einem Dorf, das dort stand, wo heute der Moschav Beit Eliezer liegt. Ibrahim ging noch immer dorthin, um auf den umliegenden Feldern zu arbeiten. Letzte Woche arbeitete er für die Columbia Früchtegesellschaft in Hadera. Nun fürchtet er, dass der Staat seine Weiterarbeit dort verhindern wird, weil er nun ein Familienglied verloren hat. Es scheint, als ob alle Männer des Dorfes gekommen sind, um mit ihm zu trauern. Ibrahim wachte an jenem schicksalhaften Morgen um fünf Uhr auf, um zur Arbeit nach Israel zu gehen, als er die Schüsse von den Hügeln hörte. Die anderen Mitglieder der Familie wachten auf und rannten um ihr Leben - Ahmed voran in die Richtung des Hauses seines Cousins am Fuße des Hügels. Ibrahim blieb am Eisentor stehen. Wenige Minuten später wurde er davon informiert, dass sein Sohn von einer Kugel getroffen worden sei. Und nun verletzt am Hang liege; später erfuhr er, dass er ins Hospital gebracht worden sei und dass er gestorben sei. Es wurde auch erzählt, wie zwei Frauen den Verletzten aus der Schusslinie ziehen wollten, dass sie das aber aufgeben mussten. Ein anderer Ahmend Asasa dachte, er könne, weil er sehr klein sei, zu seinem blutenden Cousin gelangen und ihm helfen. Er wurde von Kugelsplittern am Kopf verletzt und wurde bewusstlos. Er hatte seinen Cousin noch am Leben gesehen. Ein anderer Nachbar, Shawki Asasa, 24, wollte auch zu Hilfe eilen - er wurde von einem Scharfschützen in die Schulter getroffen. Er hatte noch versucht, mit einem der IDF zu sprechen, damit man den Verletzten evakuieren könne. Doch der hat ihn abgewiesen: “Stör uns nicht!” Shawkis Vater sagte später: ” Die wollen nicht, dass die Welt uns hilft, sie wollen auch nicht dass wir uns einander helfen. Da liegt ein Junge verletzt - und sie lassen uns ihm nicht helfen.” Als schließlich einem Ambulanzwagen gestattet wurde, in die Nähe des Verletzten zu kommen, war er schon tot. Der andere Ahmed Asasa überlebte. Der Bericht des IDF klang ganz anders: Am 29.3. hätte die IDF in Shuhada operiert. Während der Aktion hätte man bewaffnete Terroristen mit langen Waffen auf einem Dach identifiziert. Später hätte man zwei weitere bewaffnete Terroristen auf dem Dach eines anderen Hauses ausgemacht und auf sie geschossen. Daraufhin sei ein Aufstand im Dorf ausgebrochen mit dem Werfen von Explosivstoffen und Steinen und die Palästinenser hätten die Straße blockiert, die die Ambulanzwagen daran hinderten zu den Verletzten zu gelangen. Nicht die IDF hätte die Ambulanzwagen daran gehindert, ins Dorf zu kommen. Die IDF hätte nur bewaffnete Terroristen angegriffen …. In den vergangenen Jahren sind in diesem Dorf schon sechs andere getötet worden, einer wurde von einem Fahrzeug einer Undercovereinheit überfahren. Deutsche Übersetzung und Kürzung: Ellen Rohlfs Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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