Otto Umfrid - als “Friedenshetzer” verspottet, verachtet, verfemt und verkanntVon Michael Schmid Vorbilder sind wichtig für unser eigenes Engagement. Am 2. Mai jährte sich zum 150. Mal der Geburtstag eines Mannes, der fast vollständig in Vergessenheit geraten ist, obwohl er sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts im In- und Ausland einen Namen als "hervorragendster Theoretiker das Pazifismus" machte und der sogar für den Friedensnobelpreis 1914 vorgeschlagen wurde: Otto Umfrid. Der 1857 in der Neckarstadt Nürtingen geborene Otto Umfrid galt als starke Persönlichkeit und als einer der wenigen Theologen, die den Mut und die Charakterstärke gezeigt haben, ihre Ideale gegen alle Widerstände zu verteidigen. Die Frage des Friedens wurde für Umfrid zur Lebensaufgabe. Im geistigen Klima der Aufrüstung traf er im Rahmen der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG)Diese älteste deutsche Friedensorganisation heißt heute: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) . Mitglieder unterzeichnen folgende Grundsatzerklärung: "Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten." auf Gleichgesinnte. Neben seiner Tätigkeit als Stadtpfarrer in Stuttgart gründete er durch seine Vortragsreisen fast 20 weitere Ortsgruppen der DFG im damaligen Württemberg. Die Organisationsarbeit gedieh so gut, dass die Geschäftsstelle der DFG im Jahre 1900 von Berlin nach Stuttgart verlegt wurde. Von da an bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs bleibt die süddeutsche Landeshauptstadt das Zentrum des organisierten Pazifismus in Deutschland. Umfrid wurde damals auch zweiter Vorsitzender dieser Friedensorganisation. Außer durch seine Vorträge war Umfrid auch publizistisch unermüdlich für die Sache des Friedens aktiv. Rund 600 von ihm verfasste Aufsätze, Polemiken und Rezensionen erschienen in Tageszeitungen und Zeitschriften. Quelle von Umfrids Friedensengagements war sein Glaube: "Mir aber war selbstverständlich, dass jedes echte Christentum aufs Schärfste gegen den Brudermord, wie er im Krieg ausgeübt zu werden pflegt, protestieren müsse". Mit einer solchen Haltung stieß Umfrid bei der Regierung ebenso wie bei den so genannten "Kriegstheologen", die sich dem Zeitgeist anpassten und die Aufrüstungspolitik theologisch untermauerten, auf scharfen Widerstand. Pfarrer wie Umfrid, die sich in der Friedensbewegung engagierten, wurden als Irrlehrer und Schwärmer, schlechte Patrioten und manchmal auch direkt als Staatsfeinde angeprangert. Zu den alltäglichen Erfahrungen der "Friedenspfarrer" gehörten bald gesellschaftlicher Boykott und Diffamierung in der Öffentlichkeit, Pressekampagnen und Denunziationen. So wurde Otto Umfrid z.B. 1897 nach einem Vortrag in Münsingen auf der Schwäbischen Alb von einem Pfarrerskollegen der "agitatorischen Friedenshetze" bezichtigt. Daraufhin wurde Umfrid von seinem Vorgesetzten zu einem Vernehmungsgespräch zitiert. Der Stuttgarter Stadtdekan glaubte dann selber, so sein anschließender Bericht, dem friedliebenden Pfarrer verdeutlicht zu haben, dass "seine agitatorische Thätigkeit für die sogenannte Friedensbewegung in Gesellschaft und Situationen bringe, die weder seiner noch seines Amtes würdig seien". Da hat sich der Herr Dekan aber getäuscht, denn Umfrid ließ sich von seinem Engagement nicht abbringen. Die Botschaften der von Umfrid und seinen Mitstreitern verfassten Friedensaufrufe haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Dies zeigt z.B. ein Aufruf aus dem Frühjahr 1913: "Aber die Tatsachen zeigen, daß, da alle Kulturstaaten das gleiche tun, die Kriegsgefahr so nicht vermindert wird, weil gerade die immer drückendere Last des bewaffneten Friedens, verschärft durch Haß und Mißtrauen der Völker untereinander, zur blutigen Entscheidung drängen kann, die wiederum nicht das Ende, sondern den Anfang erneuten Wettrüstens bedeuten würde." Bekanntlich konnte dieses Friedensengagement den Ersten Weltkrieg nicht verhindern. Außer dem damit verbundenen grauenhaften Schrecken verhinderte die "Bestie Krieg" auch, dass Otto Umfrid als erster Deutscher den Friedensnobelpreis erhielt. Die Preisverleihung war für den Zeitpunkt kurz darauf geplant, wurde wegen des Kriegsbeginns dann aber unterlassen. Umfrid gehörte zu den wenigen, die sich nicht von der Kriegsbegeisterung und dem nationalen Rausch anstecken ließen, der nach Beginn des Krieges ganz Deutschland erfasste. Er nahm während der Kriegsjahre regelmäßig an Konferenzen in neutralen Ländern teil und war weiterhin publizistisch tätig. Da die Zensurstellen ein Erscheinen seiner Schriften im Deutschen Reich verboten hatten, mussten seine Analysen und Kommentare zu den Kriegsereignissen in der Schweiz veröffentlicht werden. Otto Umfrid starb kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs nach schwerem körperlichem und seelischem Leiden im Mai 1920 in Winnenden im Alter von 63 Jahren. Er wurde auf dem Stuttgarter Pragfriedhof beerdigt. In seiner Heimat wurde sein Andenken verdrängt und verschwiegen. Die drei Töchter und der Sohn haben ganz im Sinne ihres Vaters gewirkt. In welch schlechtem Ruf Otto Umfrid bei der Evangelischen Landeskirche stand, bekam sein Sohn Hermann Umfrid (1892-1934) zu spüren, der ebenfalls Pfarrer wurde. Da er den Oberkirchenräten als Sohn eines Pazifisten ein Dorn im Auge war, schikanierten sie ihn wie seinen Vater. Als er später die Pogrome gegen Juden in Niederstetten verurteilte, wurde er im Januar 1934 von der NSDAP verhaftet und misshandelt. Als sich in dieser Situation auch noch die Kirchenleitung von ihm distanzierte, nahm sich Herrmann Umfrid das Leben. Otto Umfrid heuteWie eingangs schon angemerkt, brauchen wir solche Vorbilder. Um von ihnen zu lernen und uns durch ihren Kampf für den Frieden, ihren Kampf ohne Gewalt ermutigen zu lassen. Es kann auch helfen zu sehen, welche Probleme Pazifisten wie Otto Umfrid hatten, als "Friedenshetzer" verspottet, verachtet, verfemt und verkannt in ihrem Engagement für den Frieden. Mir jedenfalls hilft dies auf unserer politisch und kulturell nach wie vor "rauen Alb", wo es doch einigen Mut und Kraft erfordert, um all dem Gegenwind standzuhalten, der einem hier beim ökologisch-sozial-friedenspolitischen Engagement entgegenbläst. Als ich in den Jahren 1977 bis 1980 in Umfrids Geburtsstadt Nürtingen lebte, war mir der Name Otto Umfrid wie wohl fast allen Nürtingern überhaupt kein Begriff. Wenn von berühmten Persönlichkeiten Nürtingens die Rede war und ist, fallen Namen wie Hölderlin und Mörike und Peter Härtling. Neuerdings auch Harald Schmidt, der in den 70er Jahren - ich lernte ihn flüchtig kennen, als er Zivi bei der katholischen Kirchengemeinde in Nürtingen war - noch keine Berühmtheit war. Dagegen ist Otto Umfrid fast vollständig in Vergessenheit geraten, obwohl er viel bewegt hat. Erst ein paar Jahre später habe ich dann über die Umfrid-Biografie "Für eine Welt ohne Krieg" von Christof Mauch und Tobias Brenner sowie durch einen Vortrag der beiden Autoren etwas von ihm mitbekommen. Deshalb finde ich es sehr erfreulich, dass Otto Umfrid nun im Jahr seines 150. Geburtstags gedacht wird. Der Konvent der württembergischen evangelischen Beistandspfarrer würdigte ihn als landeskirchlichen "Urvater der Friedensarbeit". Die evangelische Stuttgarter Nordgemeinde hat an Umfrids Grab auf dem Pragfriedhof eine kleine Gedenkveranstaltung veranstaltet. Auf der Website der Evangelischen Landeskirche in Württemberg findet sich anlässlich des 150. Geburtstags von Otto Umfrid unter anderem ein Artikel als Vorlage zur Verwendung in Gemeindebriefen. Und in Umfrids Geburtsstadt Nürtingen hat die Stadtverwaltung zusammen mit dem Landkreis Esslingen, der Evangelischen Kirche und dem Arbeitskreis Friedenswochen Nürtingen an den lange vergessenen Otto Umfrid erinnert. Bei einer Podiumsdiskussion, deren prominentester Teilnehmer der Schriftsteller und Nürtinger Ehrenbürger Peter Härtling war, war die Kreuzkirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Manche Saat geht spät auf. Sehr spät. Und hoffen wir, dass die Saat von Otto Umfrid wirklich aufgeht. Denn natürlich ist es immer leichter, Tote zu ehren als Lebende in ihrem Engagement anzuerkennen, die ja durchaus "nerven" können mit ihrem Pazifismus und ihrer Gewaltfreiheit in der Gegenwart. Weblinks Literatur:
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