Warum ich die Demokratische Partei verlasseOffener Brief von Cindy Sheehan an die Demokratische Mehrheit im US-Kongress
Von Cindy Sheehan - Counterpunch / ZNet 28.05.2007 Dublin, Irland, den 28. Mai. Lieber Demokratischer Kongress, hallo, mein Name ist Cindy Sheehan, mein Sohn Casey Sheehan wurde am 4. April 2004 in Sadr City (Bagdad/Irak) getötet. Als er starb, hatten noch die Republikaner die Kontrolle im Kongress. Naiv startete ich eine unermüdliche Kampagne, in der ich den Kongress dazu aufrief, George die Autorität zu entziehen, seinen Terrorkrieg zu führen. Der Kongress solle Bush fragen, für welchen “edlen Zweck” Casey und Tausende andere sterben mussten. Inzwischen hat die Demokratische Partei die Kongressmehrheit, und ich habe meine optimistische Naivität verloren. Es stimmt mich zynisch und pessimistisch, wenn ich sehe, wie Sie gegenüber “Mister 28 Prozent” einknicken. Es gibt für Sie absolut keinen Rechtfertigungsgrund, dem blutigen King George weiterhin Geld zur Verfügung zu stellen - Geld, das unsere tapferen, müden, kaputten Soldaten und das irakische Volk zu noch mehr Tod und Zerstörung verdammt. Vielleicht denken Sie, mehr Geld für Bush sei politisch nötig, in moralischer Hinsicht ist es pervers. Jede Sekunde, die diese Okkupation fortdauert, trieft mehr Blut von Ihren Händen. Nachdem Bush das neue Autorisierungsgesetz zur (Kriegs-)Finanzierung unterzeichnet hatte, kommentierte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Mrs. Pelosi, mit den Worten: “Ich denke, nun wird die Politik des Präsidenten anfangen, sich zu entwirren”. Das neue Gesetz ist so schwach wie ein neugeborenes Baby. Anfangen sich zu entwirren? Wie viele unserer Kinder müssen noch sterben, wie viel vom Irak noch zerstört werden, bevor Sie alle mit der Entwirrung zufrieden sind? Wie viele Verbrechen darf BushCo noch begehen - bei kollabierenden Umfragewerten - bevor Sie endlich den politischen “Mut” finden, diese Leute zur Rechenschaft zu ziehen? Wenn sich Frau Pelosi in ihrem Kopf noch kein entwirrtes Bild vom Irak machen kann - was fehlt denn noch? Fast 700 000 Iraker wurden getötet, 4 Millionen wurden zu Flüchtlingen (was die USA leugnen). Wie viel schlimmer kann es noch kommen? Es wird noch schlimmer kommen, viel schlimmer - dank Ihrer Komplizenschaft. Zynisch und pessimistisch, wie ich inzwischen bin, glaube ich, dass die aktuelle Abstimmung - in der für die Fortsetzung des Krieges bis Ende September votiert wurde -, Ihnen in den Präsidentschaftsvorwahlen ganz gut gelegen kommt. Sie glauben, wenn sie bis dahin durchhalten, wird es den Demokraten möglich sein, ins Weiße Haus zurückzukehren. (Sehen wir’s doch, wie’s ist: Am 1. Oktober werden Sie Bush noch mehr Geld geben - nach einer entsprechenden Theatralik, um die Antikriegsfraktion in Ihrer Partei zum Narren zu halten). Wir haben ja gesehen, wie gut das bei John Kerry 2004 funktionierte - diese Politik des vorsichtigen Abwartens und Zögerns. Die amerikanischen Wähler sind angewidert von diesen Softies, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehen, während sie unser kostbares Lebensblut entsenden und sich Geld von den Chinesen - unseren neuen Eignern - borgen. Mir war klar, eine Demokratische Mehrheit im Kongress bringt nichts für die Ebene der Graswurzel-Aktionen. Deshalb zogen wir alle am Tag Ihrer Beeidung nach Washington DC. Wir sagten Ihnen damals, wir wollen, dass die Truppen aus dem Irak abgezogen werden, wir wollen, dass BushCo zur Rechenschaft gezogen wird. Sie drängten auf Reformen im Bereich Ethik, ein Witz,… oder? Wir alle wissen, Sie können sich dieses Spiel mit dem politischen Inferno leisten, Ihre Kinder sind nicht in Gefahr… Aber ich kann Ihnen sagen, wie es sich anfühlt: Du siehst, wie dein Soldat widerwillig in den Krieg zieht. Weder Du noch er sind für diesen Krieg. Sobald dein Soldat im Ausland ist, bleibt dir nichts als Sorge. Nachts liegst du wach, starrst den Mond an und überlegst, wird morgen der Tag sein, an dem das gefürchtete Klopfen an der Tür ertönt. Du kannst nicht mehr essen, dich nicht konzentrieren, dein Leben verläuft in ständiger Anspannung, dauernd erwartest du, dass etwas passiert. Dann wird deine schlimmste Befürchtung Realität, dein Leben besteht nur noch aus Schmerz, Sehnsucht und Reue. Jeder Tag ist hart, aber es gibt “besondere Tage”… man denke an den bevorstehenden Memorial Day (letzter Sonntag im Mai - Anmerkung d. Übersetzerin). Dieser Gedenktag ist im doppelten Sinne schmerzhaft für mich, denn der Memorial Day, an dem wir unsere gefallenen Soldaten ehren sollen, fällt gerade auf Caseys Geburtstag. Casey wurde am Memorial Day 1979 geboren. Diesen Tag haben wir immer gefeiert, heute ist es ein Tag der Verzweiflung. Unsere in diesem Krieg sinnlos gestorbenen Soldaten - beziehungsweise die damals im Vietnam-Konflikt getöteten - hinterließen große Lücken, die nie mehr gefüllt werden, sie hinterlassen unnötige Pfade des Schmerzes. An den Kongress: Im Durchschnitt sterben im Irak derzeit 3,72 Soldaten pro Tag. Somit haben sie weitere 473 frühe Gräber gegraben. 473 verschwendete Leben - geopfert der politischen Gier: Tausende gebrochene Herzen, weil Sie feige und gierig sind. Können Sie nachts schlafen, können Sie noch in den Spiegel sehen? Wie können Sie den schreienden Müttern auf beiden Seiten des Konflikts den Rücken zukehren? Wie können Sie die von ihnen erzeugte Agonie nur verdrängen? Wie kann das sein? Mir gelingt das Verdrängen nicht… Ich kann nicht weit genug rennen, mich nicht gut genug verstecken. Bis Ende September werden um die 3920 Soldaten gestorben sein. 4000 - der neue Meilenstein. Dann wird MoveOn.org landesweite Kerzenlichtwachen abhalten, und Sie werden emsig an neuen Gesetzen arbeiten, die Tausenden weiteren Menschen das Leben kosten werden. Gratuliere, Kongress, sie haben noch ein paar Monate herausgeschunden für dieses illegale, unmoralische Blutbad. Geben Sie’s zu, Sie wollen es auf unbestimmte Zeit weiterlaufen lassen. Sollen “andere Präsidenten” das Problem lösen, das BushCo der Welt aufgezwungen hat. Früher war es George Bushs Krieg. Sie hätten den Krieg ehrenvoll beenden können. Jetzt ist es Ihr Krieg. Und Sie werden alle mit hinabgleiten in die unrühmliche historische Rolle Bushs. Das Camp Casey Institute ruft alle Bürger/innen, die unseren Ekel über Sie teilen, dazu auf, am 4. Juli (‘Amerikanischer Unabhängigkeitstag’ - Anmerkung d. Übersetzerin) mit uns nach Philadelphia zu kommen. Wir werden einen Ausweg suchen in Hinblick auf dieses “Zwei”-Parteien-System, das bezahlt und geschmiert wird durch die Kriegsmaschinerie. Diese Maschinerie hat ihren Klammergriff um jeden Aspekt unseres Daseins gelegt. Ich persönlich werde aus der Demokratischen Partei austreten. Sie haben die Menschen, die Sie an die Macht gewählt haben, damit Sie unserem Land eine neue Richtung geben, komplett im Stich gelassen. Wir haben Sie nicht gewählt, damit sie zum Untergang unseres Staatsschiffes beitragen, wir haben Sie gewählt, damit sie das Schiff in einen sicheren Hafen geleiten. Wir verzeihen unserer Regierung nicht, dass sie sich auf gewaltsame Weise in souveräne Staaten einmischt. Wir verurteilen die kontinuierliche, mörderische Besatzung des Irak. Wir haben Ihnen eine Chance gegeben. Sie haben uns verraten. Grüße von Gründerin und Präsidentin von ‘Gold Star Families for Peace’ , Gründerin und Direktorin von ‘The Camp Casey Institute’ und Mutter von Casey Sheehan. Mein Schmerz um Casey wird nie vergehen.
Quelle: ZNet Deutschland vom 29.05.2007. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “An Open Letter to the Democratic Congress” .
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