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Gewalt mit Samthandschuhen?

Globalisierungskritiker befürchten Einsatz "nicht-tödlicher" Waffen gegen G8-Proteste

Von Wolfgang Kötter

Die Polizei rechnet mit mehr als Hunderttausend Protestierenden gegen das G8-Gipfeltreffen vom 6. bis 8. Juni im Ostseebad Heiligendamm. Die Globalisierungskritiker ihrerseits befürchten, dass die Sicherheitskräfte bei Aktionen gegen die Politik der acht führenden Industriestaaten auch sogenannte nicht-tödliche Waffen einsetzen werden. Es wäre nicht das erste Mal.

Offiziere, Wissenschaftler und Waffenproduzenten interessieren sich bereits seit längerem für geradezu exotisch anmutende Waffen wie Elektroschockgeräte, Mikrowellen, akustische Störsender, Laserpistolen, aber auch biologische und chemische Entwicklungen werden aufmerksam verfolgt. Was macht die angeblich "nicht-tödlichen" Waffen (Non-Lethal Weapon - NLW) so attraktiv? Zum einen hat sich die Weltlage nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation gewandelt und die Militärs fordern für die veränderten Konfliktkonstellationen neuartige Kampfinstrumente. Denn selbst Armeen, die technologisch enorm überlegen sind, scheitern bei kriegerischen Auseinandersetzungen wie in Afghanistan, Irak, im Libanon und in Tschetschenien, weil gewaltsamer Widerstand aus der Bevölkerung mit der herkömmlichen Kriegsmaschinerie kaum wirksam zu bekämpfen ist. Nicht-tödliche Waffen könnten deshalb zu einem strategischen Kernstück von Interventionskriegen im 21. Jahrhundert werden. Auch für ein effizientes Vorgehen der inneren Sicherungskräfte gegen öffentliche Unruhen, zur Geiselbefreiung oder bei der asymmetrischen Bekämpfung des Terrorismus wird nach neuen Wegen gesucht. Darüber hinaus sollen Polizisten Verbrecher und Querulanten kampfunfähig machen können, ohne sie gleich zu erschießen. Schließlich suchen nicht zuletzt die Rüstungsfirmen nach neuen Produktionsfeldern und Gewinnquellen. Die Proponenten loben NLWs in den höchsten Tönen: Mit ihnen könne man Konflikte lösen, ohne übermäßig Gewalt anzuwenden, Menschenopfer und Kollateralschäden blieben gering.

Hightech-Waffen statt Schlagstock

Neben Tränengas und Gummigeschossen, die bereits seit langem verwendet werden, tauchen in jüngster Zeit verstärkt neuartige Waffen auf. Und die Liste verfügbarer NLWs wächst. Zu ihnen gehört ebenfalls die Elektroschockpistole "Taser", die eine Zielperson zeitweilig bewegungsunfähig machen soll. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Exporteur von Elektroschockern, die Fernsehberichten zufolge in 87 Ländern zur Folterung von Gefangenen missbraucht werden. In deutschen Bundesländern, so in Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, erlauben die geltenden Polizeigesetze Elektroimpulsgeräte als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, und Taser-Waffen werden bereits getestet. Ständig kommen neue Waffen mit noch ausgeklügelteren Systemen hinzu. Sogenannte "Fire Pellets" arbeiten wie Farbpatronen, enthalten aber Pfefferspray. "Stinger"-Granaten explodieren mit Gummigeschossen und Pfeffergas, außerdem blenden sie mit einem Lichtblitz und sind extrem laut. Pistolen, die Holzgeschosse verschießen, reißen oft schwerwiegende Wunden, sind aber normalerweise nicht tödlich. Bereits vor Jahren wurden in Oakland im US-Bundesstaat Kalifornien gegen Demonstranten Holzgeschosse, Schockgranaten, Tränengas sowie von einem Spezialgewehr abgeschossene und mit Metall gefüllte Beutel eingesetzt. Dabei kam es zu schweren Verletzungen der Teilnehmer. In der Schweiz gab es bei Protesten gegen das G8-Gipfeltreffen in Evian Verletzte durch Markiermunition und Schockgranaten. Anlässlich einer Demonstration gegen die Welthandelsorganisation WTO setzte die Genfer Polizei erstmals das "Markierungssystem" FN 303 ein. Dabei wurde die Gewerkschaftsfunktionärin Denise Chervet von einem Farbprojektil im Gesicht getroffen und ihr Wangenknochen zertrümmert. Kurz darauf forderte der Einsatz der gleichen Aufstandsbekämpfungswaffe in den USA ein erstes Todesopfer. In Boston hatten Baseball-Fans den Sieg ihres Teams auf der Straße gefeiert, als die Polizei gewaltsam gegen sie vorging. Victoria Snelgrove starb, nachdem sie ein Geschoss am Kopf traf. Angaben von amnesty international zufolge fielen in den letzten Jahren mehr als 150 Menschen derartigen Waffen zum Opfer.

Mit Hitzewellen ins Gefecht

Besorgniserregend wirken auch Mikrowellenwaffen, die aus der Ferne energiereiche elektromagnetische Strahlung auf ein Ziel richten. Der menschliche Körper und insbesondere das Gehirn können durch ein solches Aufheizen empfindlich gestört werden. Gefährliche nicht-thermische Wirkungen entstehen für das Nerven-, Hormon- und Immunsystem sowie für Blut, Zellen und Gewebe. Mikrowellenwaffen können sehr differenziert angewendet werden. Entsprechend dem "Zwiebelmodell" dringen die Wellen in die äußeren Körperschichten ein, zunächst um lediglich eine Strafreaktion hervorzurufen, wenn die Wellen jedoch in innere Körperschichten vordringen, wirken sie sogar tödlich. Der Rüstungskonzern Raytheon unternimmt Medienberichten zufolge in Irak Praxistests mit einer solchen Hitzewaffe namens "Silent Guardian" - schweigender Wächter. Das Waffensystem besteht aus einem massiven Schirm, der auf Geländewagen montiert werden kann. Er strahlt eine unsichtbare kurzwellige Strahlung 500 Meter weit aus und erzeugt auf der Haut Temperaturen von bis zu 50 Grad. Die Hitzewellen dringen nur wenige Millimeterbruchteile tief in die Haut ein, aber verursachen nach den Worten einer Versuchsperson ein Gefühl "wie der Hitzeschwall eines sehr heißen Ofens". Als die US-Army die Waffe Anfang des Jahres erstmals auf einer Militärbasis im Bundesstaat Georgia präsentierte, lobte der Direktor der Entwicklungsabteilung für nicht-tödliche Waffen, Colonel Kirk Hymes: "Das ist die Schlüsseltechnologie der Zukunft". Solche Ausrüstung sei wichtig, um die Kampfkraft in den Einsatzgebieten der US-Soldaten zu stärken.

Krieg mit Samthandschuhen?

Um das Eindringen des Gegners in größere Gebiete zu verhindern, stehen dem Militär nun Instrumente zur robotergestützten Raumverweigerung und mobile "Schutzschaum"-Systeme zur Verfügung. Diese können einen Meter Schaum mit Tränengas über 400 Quadratmeter verteilen. So genannter Klebeschaum wird aus einem Hochdruck-Gewehr abgefeuert, das von einem einzelnen Soldaten getragen und bedient werden kann. Der Klebeschaum bedeckt die Opfer mit einem klebrigen Material und macht sie nahezu bewegungsunfähig. Der Protopyp eines Laser-Gewehrs wird zur Zeit im Forschungslabor für gerichtete Energie auf dem Kirtland Luftwaffenstützpunkt im US-Staat New Mexico entwickelt. Es soll potentielle Gegner weder betäuben noch töten, sondern "nur" erblinden lassen. Und das auch nur für eine gewisse Zeit. Der Einsatz ist für Kontrollpunkte in besetztem Gebiet und bei Massenaufständen vorgesehen.

Besonders alarmierende Vorgänge sind bei den Chemiewaffen zu beobachten. Die USA entwickeln Drogen, die im Kriegsfall eingesetzt werden sollen, um gegnerische Soldaten handlungsunfähig zu machen. Die Pennsylvania State University erhielt den Auftrag zur Auflistung von Arzneien, die sich für den militärischen Einsatz eignen. Die Militärwissenschaftler bewerteten die Waffentauglichkei von 112 Giftstoffen als gut für den Chemiewaffeneinsatz. Dazu gehören unter anderem ruhig stellende Mittel ("calmatives") wie Valium, das Alzheimer-Medikament Tacrin und Antidepressiva wie Fluctin, sowie betäubende oder Krämpfe auslösende Chemikalien. Empfohlen wird darüber hinaus die Erprobung so genannter Party-Drogen und Krämpfe verursachender Medikamente. Im Auftrag des Pentagon laufen die Vorbereitungen, um derartige einschläfernde und bewusstseinsverändernde Drogen in Mörsergranaten zu füllen, die beim Aufschlag eine Gaswolke freisetzen. So entwickelt beispielsweise der Rüstungskonzern General Dynamics spezielle 81-Millimeter-Mörsergranaten zum Verschuss der Chemikalien. Zu den offerierten Entwicklungen sollen auch bizarr anmutende Mittel gehören, so zum Beispiel ein starkes Aphrodisiakum, das angeblich homosexuelles Verhalten unter den gegnerischen Soldaten auslöst. Nach Einschätzung der deutsch-amerikanischen Abrüstungsinitiative "Sunshine Project" verstößt Washington mit derartigen Projekten eklatant gegen die Chemiewaffenkonvention, denn diese verbietet ausdrücklich jede chemische Waffe, die "den Tod, eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit oder einen Dauerschaden" verursacht. Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Chemiewaffen läuft auch bei den biologischen Waffen ab. So manches militärische Forschungsprojekt bewegt sich in einer Grauzone zwischen Umweltschutz, biologischer Abwehrforschung und der Entwicklung von Offensivwaffen. Nicht-tödliche Biowaffen - wie Pilze gegen Drogenpflanzen und Material zerstörender Organismen - werden zur Zeit intensiv entwickelt. Dazu gehören z.B. Mikroben, die radarabweisende und Tarnlackierungen auf Fahrzeugen angreifen. Es sei gut möglich, dass Pilze "benutzt werden, um den Schutzanstrich von Flugzeugen zu zerstören und so deren Entdeckung und Abschuss zu erleichtern", räumt die Leitung des Marineforschungslabors in Washington ein. Eine Freisetzung von Killerpilzen in die Umwelt hätte jedoch verheerende ökologische Folgen. Sie könnten nicht mehr zu kontrollieren sein, sich als infektiöse Organismen verbreiten und lange im Boden überleben.

Sterben auf die weiche Weise?

Jede Anwendung von nicht-tödlichen Waffen in einem bewaffneten Konflikt droht zu eskalieren, weil sie für den Angegriffenen nicht unmittelbar von tödlichen Waffen unterscheidbar sind und er mit massiver Gegenwehr reagieren könnte. Auch die sogenannte Defensivforschung kann von möglichen Rivalen als Entwicklung verbotener Vernichtungswaffen interpretiert werden und so weitere Rüstungswettläufe auslösen. Das Internationale Rote Kreuz beobachtet besorgt, dass Polizei, Sicherheitsdienste und bewaffnete Gruppen zunehmend zu nicht-tödlichen Kampfstoffen greifen. So starben beim Einsatz von Giftgas zur Geiselbefreiung im Moskauer Musicaltheater Nord-Ost im Oktober 2002 mehr als 160 Menschen. Russische Spezialeinheiten leiteten das Opioid Carfentanyl und das Anästhetikum Halothan in Form eines Aerosol-Gas-Gemischs in das Gebäude, in dem eine Gruppe von Tschetschenen rund 800 Besucher festhielt. Nicht nur die Täter, sondern auch 129 Geiseln starben durch die Gaseinwirkung.

Das Beispiel entkräftet das Argument, mit dem dieser Waffentrend gewöhnlich gerechtfertigt wird, es sei doch besser, den Gegner nur vorübergehend kampfunfähig zu machen, als ihn zu erschießen. "Mehr Schmerzen, weniger Tote!", das hört sich zwar gut an, doch sind nicht-tödliche Waffen keineswegs so harmlos wie der Name suggeriert. Je nach Definition der Produzenten können an solchen Waffen zwischen vier und fünfundzwanzig von hundert Menschen sterben. Auch eine Geheimstudie der Penn State University untersuchte die Wirkung der Giftstoffe auf Menschen und kam zu dem Ergebnis, dass 98 Prozent kampfunfähig werden, aber wahrscheinlich über 1 Prozent sterben würde oder dauerhaft geschädigt bliebe. "Ein Krieg ohne Tote ist eine Illusion", erklärt Chemiewaffenexperte Jan van Aken vom Sunshine Project. "Fast jede chemische Substanz wirkt tödlich, wenn sie überdosiert wird. Bei einem militärischen Einsatz kommt es zwangsläufig zu einer tödlichen Überdosierung manchmal nur für einzelne, oft sogar für viele Menschen." Dem stimmt sein US-Kollege Ed Hammond zu und fürchtet sogar, dass die Chemikalien die konventionelle Kriegsführung nur ergänzen. Erst schlagen die Gasgranaten ein, dann kommen die Soldaten mit den Maschinengewehren. Auch wenn Dr. Klaus-Dieter Thiel vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie meint: "Die Anwendung von nicht-tödlichen Waffen hat wohl in einer Vielzahl unterschiedlicher Situationen in letzter Zeit viele Menschenleben gerettet ….", so ist doch der Begriff "nicht-tödliche" Waffen höchst irreführend. Der Euphemismus verleugnet das unermessliche Leid, welches sie hervorrufen und täuscht vor, es gäbe den humanen Krieg. Diese Waffen sollen vor allem flächendeckend ganze Menschengruppen ausschalten, sie sind Folterwerkzeuge einer neuen Generation. Allerdings bleibt zu bezweifeln, ob die Besorgnisse den Siegeszug der neuen Waffen aufhalten können. Schließlich eröffnen sie ein Gewinn versprechendes Aktionsfeld und so hat sich auch bereits ein expandierender Rüstungsmarkt gebildet.

Eingesetzte und in Entwicklung befindliche "nicht tödliche" Waffen

  • Reizstoffe (Tränengas, Pfefferspray,);
  • Vernebelungsmittel (mit Wirkstoffen angereicherte Schaumstoffe);
  • Narkosegase (Fentanylderivate);
  • Materialien zerstörende Stoffe (Säuren, Mikroorganismen);
  • bewusstseinsverändernde Mittel (Beruhigungsmittel, Medikamente, Drogen);
  • Verstrickungsmittel (Gleitmittel und Klebstoffe, Netze);
  • akustische Waffen (Lärmabstandswaffen, Infraschallgeräte, Blitz-Knall-Schockgranaten);
  • Geschosse und Wurfstücke (Gummi- und Sandgeschosse);
  • Elektroschockwaffen (Elektroschockpistolen "Taser", elektrisch geladene Kugeln, Elektrogürtel);
  • Strahlenwaffen (Mikrowellenwaffen, UV-Laser);
  • im Boden eingelassene Airbags;
  • Robotergestützte Systeme zur Gebietsverweigerung.

Taser

Ein Taser ist eine pistolenähnliche Waffe, bei der zwei mit Widerhaken versehene Projektile abgefeuert werden. Sie fügen dem Opfer kurze Elektroschocks von etwa 50.000 Volt zu. Die getroffene Person wird durch die Wirkung dieser Stromstöße auf das Zentralnervensystem sofort bewegungsunfähig und für die Dauer des Zyklus außer Gefecht gesetzt. Da die Stromstärke sich im Milliampere-Bereich bewegt, soll der Stromstoß angeblich nicht tödlich sein. Die Reichweite beträgt ca. 7 Meter, die Kapsel durchdringt Kleidung bis zu einer Stärke von 2 cm. Den Namen "Taser" prägte sein Erfinder Jack Cover als Abkürzung von Thomas A. Swift’s Electric Rifle. Er war ein Fan des Haupthelden aus dem 1911 erschienen Buch von Victor Appleton: "Tom Swift and His Electric Rifle".

Veröffentlicht am

31. Mai 2007

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