Die Täter waschen die Füße ihrer OpferSüdafrika: Für die schwarze Bevölkerung ist die Apartheid längst nicht der Schnee von gestern
Von Lena Donat Heute, am internationalen Tag der Verschwundenen, bin ich das erste Mal bei der Khulumani Support Group, die sich um Opfer des Apartheid-Regimes in den Townships rings um Kapstadt kümmert. Ich sehe mir eine beeindruckende Ausstellung mit Bildern an, die Südafrikaner gemalt haben, deren Söhne, Töchter oder Geschwister im Chaos einer Razzia, während ganze Straßenzüge in den Townships abbrannten oder bei Übergriffen der Polizei verschollen sind. Die Betroffenen suchen noch immer nach Spuren, auch wenn die Ereignisse oft Jahrzehnte zurückliegen. Es ist traurig, ihre Geschichten zu hören, einige sprechen das erste Mal vor Fremden darüber und brechen in Tränen aus. Danach bin ich mit einigen Khulumani-Mitarbeitern auf einer Demonstration für die Behandlung von AIDS. Kein Protestzug, eher ein riesiges Fest, bei dem die Parolen als mehrstimmige Chorgesänge intoniert werden. Glücklicherweise werden mir alle Lieder übersetzt, denn mein Xhosa reicht dafür noch lange nicht aus. Ein bisschen komisch fühle ich mich als eine von ganz wenigen Weißen unter Tausenden Schwarzen. Es ist keine Ablehnung, die mir entgegenschlägt, aber ich treffe auf viele verwunderte Blicke. Eine ältere Frau spricht mich auf Xhosa an. Leider verstehe ich zunächst kein Wort, woraufhin sie mich böse ansieht und zu verstehen gibt, ich solle gefälligst ihre Sprache lernen, schließlich habe sie auch mein Englisch lernen müssen. Als ich ihr sage, dass Englisch auch meine Sprache nicht sei, wird sie freundlicher. Und als ich sie dann noch mit meinen zwei Sätzen Xhosa entzücken kann, beschließt sie, mich mit dem Jüngsten ihrer sechs Söhne zu verheiraten. Sie macht schon Pläne und stellt sich vor, wie ich im langen Rock und mit Kopftuch an der Seite meiner künftigen Schwägerinnen durch das Township flaniere. Ein breites zahnloses Grinsen erscheint auf ihrem Gesicht, als ich nicht glauben will, dass sie schon 16 Enkelkinder hat. Tags darauf bin ich in Khayelitsha, Südafrikas zweitgrößtem Township. Über Kilometer nichts als Wellblechhütten, die man am Straßenrand als Fertighäuser für umgerechnet 100 Euro kaufen kann. Die meisten Bewohner versuchen freilich selbst ihr Glück mit allerlei Materialresten, Pappkartons, Bruchstücken aus Wellblech, Holzlatten und Rohren. Auf den Dächern liegen manchmal halbe Autowracks, die verhindern sollen, dass ein Sturm die labile Konstruktion wieder zerlegt. Oft bestellen die Bewohner auch einen kleinen Gemüsegarten auf der staubigen Erde. Am meisten überrascht mich, dass die Behausungen im Inneren komfortabel eingerichtet sind mit Möbeln, Fernsehgeräten, bombastischen Stereoanlagen und Sofas. Nur ist es empfindlich kalt, wenn der Wind durch die Räume zieht. Überall, wo ich hinkomme, starren mich die Leute vollkommen erstaunt an und fragen, ob ich denn keine Angst in Khayelitsha hätte. Doch in Khayelitsha wird es nur unangenehm, wenn die Männer anfangen, sich zu betrinken. Ich bin schon etwas geschockt, als sich drei Männer prügeln und der eine plötzlich ein Messer in der Hand hat. Glücklicherweise gehen ein paar dicke Mamas dazwischen, vor denen die Kämpfer gehörigen Respekt haben. Sechs Monate IsolationshaftBryan ist Mitglied der Khulumani Support Group Western Cape und mir sofort aufgefallen, weil er ein paar Worte Deutsch spricht und mir ein freundliches “Wie geht es Ihnen?” entgegen wirft. Als wir uns das erste Mal treffen, fragt er mich beschämt, ob ich ihm ein gebratenes Huhn mit Pommes kaufen könnte, er habe seit 24 Stunden nichts mehr gegessen. Während wir auf wackeligen Plastikhockern am Busterminal sitzen, erzählt er mir seine Geschichte. Bryan kommt aus Langa, einem der schwarzen Randbezirke vor Kapstadt. Früher trennte nur der Graben einer Eisenbahntrasse die Siedlung vom reichen, weißen Pyneland, wo seine Mutter damals als Hausangestellte gearbeitet hat. Da schwarzes Personal in der Regel bei seinen weißen Arbeitgebern wohnt und lebt, wächst auch Bryan im Haus der Millionärsfamilie auf, Seite an Seite mit deren einzigem Sohn. Die Familie will ihn adoptieren, aber seine Mutter ist strikt dagegen. Bryan meint heute, er wage nicht davon zu träumen, was geschehen wäre, hätte er tatsächlich in dieser wohlhabenden weißen Familie aufwachsen können. Später sei es immer sein Wunsch gewesen, Rechtsanwalt zu werden - während der Apartheid unerfüllbar. So wird er Mitglied des Pan Africanist Congress (PAC), einer radikalen Abspaltung des ANC, die in den siebziger Jahren unter anderem plant, Regierungsgebäude in Brand zu setzen. Bryan hält nicht viel davon, aber aus Angst, von den anderen als Spion oder Verräter verschrien zu werden, hält er sich mit seinen Vorbehalten zurück. Er wird nach einem PAC-Anschlag, mit dem er nichts zu tun hat, von der Polizei festgenommen, kann seine Unschuld nicht beweisen und muss eine Strafe von fünfeinhalb Jahren Zuchthaus hinnehmen - das bedeutet 66 Monate mit 40 anderen Gefangenen in einer Zelle. Gewalt habe es zwischen ihnen nie gegeben, erinnert er sich, doch man wurde von den Wärtern gefoltert. “Sie haben meinen Kopf immer wieder gegen die Wand geschmettert, mir wurden die Zähne ausgeschlagen, der Arm gebrochen, und es gab Elektroschocks, mit denen sie viele der Gefangenen gequält haben.” Das Schlimmste sei für ihn das halbe Jahr in Isolationshaft gewesen, als ihm auch das Sprechen verboten war. “Manchmal sang ich heimlich unter der Bettdecke oder redete leise mit mir selbst, nur um eine menschliche Stimme zu hören. Viele haben diese Torturen nicht ausgehalten und verrieten die Namen, die sie in den Verhören wissen wollten. Ich hätte allen, die damals nicht durchhielten, verziehen, aber die Leute in Langa konnten das nicht. Als die Verräter wieder raus kamen, waren sie eben Verräter, wurden im Township geächtet und landeten als Alkoholiker auf der Straße.” Nach seiner Freilassung ist es für Bryan schwierig, Arbeit zu finden. Er muss sich eine Geschichte ausdenken, was er in den fünfeinhalb Jahren seiner Haft getan haben könnte. Im Südafrika der Apartheid ist es Unternehmen verboten, ehemalige politische Gefangene anzustellen. Bryan findet zunächst Arbeit auf einem Frachtschiff, später schlägt er sich als Gärtner durch. Als Mitte der neunziger Jahre - inzwischen hat der ANC Wahlen gewonnen und regiert - von Bischof Desmond Tutu die Nationale Versöhnungskommission ins Leben gerufen wird, gibt er viele Interviews, verliert daraufhin als “einstiger Krimineller” wieder seine Arbeit. Aber die Regierung Mandela erkennt ihn als Opfer der Apartheid an und billigt ihm eine monatliche “special pension” von 1.800 Rand (170 Euro) zu. Bryans einzige Tochter ist zu diesem Zeitpunkt schon tot - sie starb im Alter von zwölf Jahren an Leukämie. Bryan leidet heute an Gedächtnisverlust, eine Folge der Kopfverletzungen im Gefängnis, wie er glaubt. Er sei auf der Suche nach seinen Folterern, die alle ihre Namen gewechselt hätten, so dass es fast unmöglich sei, sie aufzuspüren. Er würde sie sofort töten, sollte er ihnen auf der Straße begegnen. Davon ist er überzeugt. Als er satt ist, steckt Bryan sorgsam das übrig gebliebene Hähnchenfleisch in eine Plastiktüte, die er mit sich trägt, als wir nach Robben Island unterwegs sind, der berühmten Insel, auf der Nelson Mandela Jahrzehnte im Gefängnis saß. Im Fährterminal wird vor der Überfahrt ein kurzer Film gezeigt. 30 Opfer der Apartheid sind zu sehen, darunter auch Bryan. Sie stehen in einer Reihe und singen die machtvollen Lieder des Widerstandes. Bryan deutet auf vier Männer, die - obwohl kaum älter als 50 - gestorben seien, nachdem dieser Streifen abgedreht war. Es ist schockierend, wie desinteressiert die Touristen einen kurzen Blick in den Raum werfen und sich dann lieber dafür entscheiden, draußen in der Sonne Fotos von einer südafrikanischen Tanzgruppe zu schießen, die gleichfalls zum Programm gehört. Bevor ich ins Sammeltaxi steige, drücke ich Bryan meine letzten 50 Rand in die Hand. Eigentlich müsste ich ihm viel mehr geben. Wie verwöhnt ich doch bin. Während ich nach Hause fahre, frage ich mich, wie man soviel Elend und Unglück überleben kann. Narbe aus der KindheitKhulumani hat zu einer Demonstration gerufen, doch die Aktion wird ein Reinfall. Es werden mindestens 300 Menschen erwartet, aber wegen eines Streiks der Taxifahrer kommen nur 50. Wir marschieren dennoch zum Parlament und wollen dort der Justizministerin ein Memorandum übergeben, das auf die unzureichenden Reparationszahlungen für Apartheid-Opfer aufmerksam macht. Aber die Ministerin lässt sich nicht dazu herab, ihre Nase aus der Tür zu stecken. Es ist faszinierend und erschreckend zugleich, wie unterschiedlich die einzelnen Bevölkerungsgruppen die Lage in Südafrika wahrnehmen. Die meisten Weißen sind begeistert von den Fortschritten seit dem Ende der Apartheid 1994 und glauben, schon in ein paar Jahren könnte das Land ein Paradies und ein Beispiel für Afrika sein. Sie ermahnen die Schwarzen zu vergeben, zu vergessen und nach vorn zu schauen. Manchmal fühlen sich die Weißen auch benachteiligt, weil es inzwischen Gesetze gibt, nach denen ein Unternehmer bei gleicher Qualifikation einen schwarzen Bewerber dem weißen bei der Vergabe eines Arbeitsplatzes vorziehen muss. Sie vergessen dabei geflissentlich, dass selten ein Schwarzer dank der gleichen Ausbildung tatsächlich als Konkurrent auf der Bildfläche erscheint. Die meisten Schwarzen behaupten hingegen, die Apartheid herrsche immer noch - “la luta continua” sei die Antwort. Sie können und wollen nicht vergeben, solange sie nicht die gleichen Chancen wie Weiße haben. Wie soll man auch verzeihen, wenn ein ehemaliger Apartheid-Minister wie Adrian Vlok, dem die politische Verantwortung für schwere Verbrechen zu Last gelegt wird, immer noch seine Rente von der Regierung bezieht und nicht verfolgt wird, nur weil er vor der Truth and Reconciliation Commission ein bisschen Reue gezeigt hat. Er trat dort mit der Botschaft auf: “Ich habe nie befohlen, jemanden zu töten. Ich wusste davon nichts. Vielleicht hätte ich etwas herausfinden können. Dafür tut es mir leid.” Dann wäscht er einem Opfer die Füße und erwartet, dass jeder ihm vergibt. Dabei steht für die Opfer außer Zweifel, dass er lügt wie gedruckt, und dafür verantwortlich ist, dass ganze Townships verbrannt und lästige Personen zu Tode gefoltert wurden. Ich kann es meiner Kollegin von der Khulumani Support Group, mit der ich viel unterwegs bin, nicht verübeln, wenn sie mir ins Gesicht sagt, dass sie Weiße hasse, seit sie als Kind von ihnen geschlagen wurde, und auf eine große Narbe an ihrer Schläfe zeigt.
Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 21 vom 25.05.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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