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Mit offenem Visier

G-8-Proteste: Das Recht auf demokratischen Widerstand muss verteidigt werden

Von Daniela Dahn

Was für ein genialer Strategie-Erfolg: Nach 1.000 Verletzten und angeblich einer Million Euro Sachschaden sind 70 Prozent der Bevölkerung für ein generelles G 8-Demonstrationsverbot. Das muss auch das Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis nehmen. Jetzt werde niemand mehr sagen, das Polizeiaufgebot sei übertrieben gewesen, triumphiert der Innenminister. Es habe sich als richtig erwiesen, dass wir "Vorsorge treiben". Womit die staatlich betriebene Modernisierung der Notstandsgesetze als legitimiert dasteht. Attac entschuldigt sich im Namen der Veranstalter - die Protestbewegung ist moralisch angeschlagen.

Wenn der schwarze Block nicht freiwillig angereist wäre, die Sicherheitsstrategen hätten ihm den roten Teppich auslegen müssen. Doch halt, stop, Moment mal. Verharmlost hier nicht der Konjunktiv? Man erinnert sich: Die NPD konnte nicht verboten werden, weil der Verfassungsschutz unter ihren Vorstandsmitgliedern 30 V-Leute eingeschleust hatte. Darunter Jungs, die heftig mit dem Anzetteln von Straftaten beschäftigt waren. "Kriminelle im Dienste des Staates", wie der Jurist Rolf Gössner sie nannte. Der Verfassungsschutz hat die Unterwanderungsmethode als unerlässlich verteidigt und die politische Klasse dies nach anfänglichem Murren schließlich überraschenderweise akzeptiert.

Ist es logisch oder demagogisch zu unterstellen, was bei den Rechtsradikalen recht und billig ist, darf bei den Linksradikalen sogar recht und teuer sein? Damit meine ich weniger die ladenneuen, keine früheren Demospuren aufweisenden Designer-Klamotten dieser eher hipp als politisch anmutenden Truppe. Sondern die keine Kosten scheuende geistige und militante Aufrüstung im Vorfeld der G 8-Proteste.

Erinnert sich noch jemand an die als "Krefelder Krawalle" in die Demonstrationsgeschichte der Bundesrepublik eingegangenen Ereignisse vom Juni 1983? Bei der 300-Jahr-Feier "Deutsche in Amerika", zu der auch der damalige US-Vizepräsident Bush angereist war, gehörte zu den eifrigsten Steinewerfern Peter Troeber, der durch ein Versehen verhaftet und als Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnt wurde. Selbstredend beteuerte der damalige Innensenator Heinrich Lummer, Troeber habe keinen Dienstauftrag gehabt, gewalttätig zu sein. Er sollte nur beobachten.

Das mag ja sein. Aber hat man als Steuerzahler eigentlich das Recht zu der Frage, ob es Studien von Psychologen darüber gibt, inwieweit die Rückendeckung eines mächtigen Geheimdienstes Leute mit Lust an Gewalt enthemmt? Zumal es in der internationalen Geschichte der Bekämpfung von G 8-Demonstrationen inzwischen durchaus Belege dafür gibt, dass staatliche Sicherheitsdienste bei Krawallen weit mehr als Beobachtung initiiert haben.

Im Frühjahr 2002 war ich Mitglied der von drei internationalen Juristenorganisationen und Kulturschaffenden berufenen Ermittlungskommission "Grundrechte und Globalisierung", die die Gewalt beim G 8-Treffen in Genua untersuchte. Uns interessierte besonders, weshalb sich der Einsatz der "Ordnungskräfte" zum großen Teil gegen vollkommen gewaltfreie Demonstranten gerichtet hatte, während es unterlassen wurde, gegen Hunderte brutale Randalierer vorzugehen. Zeugen und 290 Stunden vom Staatsfernsehen nicht gesendete Videoaufnahmen unabhängiger Filmemacher belegten: Als schwarz Vermummte in Genua Autos umstürzten, Schaufenster einschlugen, eine Bank anzündeten, einen Kindergarten zerstörten, schaute die Polizei aus Nebenstraßen zu, ohne sie zu "belästigen". Doch damit nicht genug: Während einreisende Jugendliche an der Grenze schon wegen eines Taschenmessers oder eines schwarzen Badeanzuges Scherereien bekamen, konnten am helllichten Tag, mitten in der Stadt, unter den Augen der Polizei, aus einem LKW Stahlstangen verteilt werden, an junge Männer, die sich anschließend schwarz einkleideten. Vor versteckter Kamera unterhielten sich Black-Block-Leute innerhalb des abgesperrten Bereiches kollegial mit Polizisten, ein Vermummter gab den Carabinieri sogar gestikulierend Befehle, und sie gehorchten. Die ungeheuerliche Vermutung, dass damals unter den Augen des anwesenden Innenministers, ausgerüstet von der Polizei, Agents provocateurs die friedlich Demonstrierenden unterwanderten, um sie zu diskreditieren, war mehr als naheliegend.

Niemand wird unterstellen, der schwarze Block in Rostock sei eine ferngesteuerte Truppe. Die ihren Lustgewinn einzig aus Gewalt ziehen, sind eine bekannte, unwillkommene Größe in der Protestbewegung. Sie halten sich für autonom und sind doch nur Verhinderer der Autonomie von Demokraten. Niemand hat mehr Grund, sich von den Gewalttätern zu distanzieren und ihre Bestrafung zu fordern als die Organisatoren und friedlichen Teilnehmer der Rostocker Demonstration. Ihre mit heiterem Ideenreichtum und guter Laune eindrucksvoll vorgetragenen, ernsten Forderungen sind nun wieder einmal zugunsten der Krawalldebatte aus der Berichterstattung verdrängt.

Aber gerade deshalb haben wir Demonstranten, die Rostocker Bürger, alle Bürger, das Recht Fragen zu stellen. Wo war der Punkt, an dem das, was beinahe eine politische Love Parade war, in eine unpolitische Hass-Parade umschlug? Wer hat mit welchem Ziel den Damm gebrochen? Aus eigener Anschauung, Beobachtungen des Grundrechte-Komitees und Videos von Indymedia ergibt sich für mich ein vages Bild: Während der Demo war die Polizei über weite Strecken geradezu unsichtbar und hat durch diese vorbildliche Zurückhaltung zum Gelingen beigetragen. Als sich die Zehntausende dann aber zur Abschlusskundgebung am Stadthafen sammelten, breitete sich eine angespannte Nervosität aus. Hochgerüstete Hundertschaften zeigten Präsenz, der benachbarte Parkplatz war mit Polizeiautos übersät. Über Handy hatte man inzwischen erfahren, dass Neonazis durch das Brandenburger Tor gezogen waren, während in Schwerin mehr als hundert Antifas, darunter Minderjährige, in Gewahrsam genommen wurden.

Die Randale sollen begonnen haben, als Zivilpolizisten versuchten, zwei Vermummte festzunehmen, die vorher im Demonstrationszug nicht gesehen worden sein sollen. Auch der wie ein einsamer Blitzableiter auf den Platz gestellte Polizeibus provoziert - mit Rufen wie: Das ist unsere Demo, fliegen erste Steine gegen die "Bullenwanne". Woraufhin die Polizei den Make-Capitalism-History-Block stürmt. Durch die Luft fliegen mehr und mehr Flaschen, Molotow-Cocktails. Diejenigen, die Gehwegplatten zertrümmern, gar Steine in Rucksäcke sammeln, werden offenbar nicht daran gehindert, während die Polizei willkürlich Demonstranten festnimmt, auf sie einschlägt, gar auf dem Boden Liegende mit Füßen tritt. Sie muss sich fragen lassen, weshalb nicht gezielt der schwarze Block eingekesselt wurde, um die von dort ausgehende Gewalt zu unterbinden? Wie können die Dienste den Verdacht zerstreuen, dass sie ihre Leute decken wollten? Haben wir Anspruch auf die öffentliche Versicherung, dass keine V-Leute im Block waren?

Nach Aussagen des in seiner Arbeit immer wieder behinderten, auch von der Polizei tätlich angegriffenen Anwaltlichen Notdienstes, sind von den 182 Festgenommenen noch neun in Haft, davon acht Staatsbürger aus Ost- und Südeuropa. Dieser hohe Anteil könnte einfach mit dem Mangel an Dolmetschern zu tun haben. Warum haben wir nach dem größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik nicht mehr als neun Verdächtige? Kein Armutszeugnis für die aufgerüsteten Notstandsgesetze?

Und um wessen Not geht es eigentlich? Die Globalisierung ist eine gigantische Umverteilungsmaschine. Soviel steht fest. Was noch nicht gänzlich feststeht, sind die Gewinn-Verlust-Regeln. Um oligarchieförmige Gesetze durchzudrücken, bedarf es äußerster militärischer und geistiger Mobilmachung. Pünktlich zum G 8-Gipfel danken wir auch den New Yorker Sicherheitskräften die Verhinderung einer schrecklichen Katastrophe. Praktischerweise haben die vier Verdächtigen über ihre offenbar noch von keinen praktischen Vorbereitungen getrübten Pläne im passenden Moment am Telefon geplaudert.

Schlimm, dass man keiner Information trauen kann. Schlimm, dass der Irrtum, politische Probleme mit polizeilichen Mitteln ausräumen zu können, unausrottbar scheint. Schlimm, dass unter der Minderheit, die für die Interessen der Mehrheit protestiert, Angst und Verunsicherung um sich greifen. Was Not tut, ist die Mobilmachung des demokratischen Widerstandes.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   23 vom 08.06.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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Veröffentlicht am

09. Juni 2007

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