“Jetzt bist Du gelähmt, wie versprochen”Von Gideon Levy, Haaretz 16.06.2007 “Jetzt wird ein bisschen Sport getrieben”, sagte der verhörende Geheimdienst-Mann. So begannen vier Tage ununterbrochenen Verhörs und grausamer körperlicher Folter. Ergebnis: Lo’ai Ashqar kann nicht mehr auf seinen Beinen stehen.
Er sitzt in seinem Rollstuhl, gekleidet in einen modischen militärgrünen Anzug, elegant-sportiv, an den Füßen neue Caterpillar-Schuhe. “Ich mag die Farbe”, sagt er zu seiner Kleidung, “denn das ist die Farbe der Soldaten, die mich zum Verhör mitgenommen haben, in dem das alles passiert ist.” Er sagt es mit seinem gewinnenden Lächeln, in gutem, genauem Hebräisch. Ein junger Mann, dessen Welt zusammenbrach. Er kam ins Gefängnis gesund an Leib und Seele und verließ es als gebrochener Mann. Vier Tage und Nächte lang, erzählt er, wurde er ununterbrochen verhört und auf brutalste Art und Weise gefoltert. Das Ergebnis ist der, den wir hier vor uns sitzen sehen, im Rollstuhl in einem eleganten Haus hoch oben im Dorf Saida nördlich von Tul Karem, das ihm ein Freund zur Verfügung stellte, als er vor einem Monat aus dem israelischen Gefängnis entlassen wurde. Gab es eine Entscheidung des Obersten Gerichts? Ja. Es gab einen Beschluss und der verbot genau die Folter, die er durchgemacht hat, “Banana-Fesseln”, “Shabah” (gedehnter Körper mit an den Stuhl gefesselten Händen), Schläge und stundenlange “Froschstellung” auf den Zehenspitzen - bis hin zu dem boshaften Schlag auf seine Brust, der seinen Körper zurückwarf, während er mit Händen und Füßen an einen Stuhl gefesselt war; offenbar war er es, der die inkomplette Lähmung an seinen Beinen verursachte. Er erbrach sich und das Erbrochene floss ihm in die Nase, er verlor das Bewusstsein, bekam nur Salzwasser zu trinken, ließ unter sich, schlief nicht, ruhte nicht, vier Tage und Nächte lang ohne Unterbrechung. Was erzählt der Verhör-Beamte Maimon seinen Kindern, wenn er nach Hause kommt? Was erzählen Eldad und Sagiv ihren Ehefrauen von ihrem Arbeitstag, bevor sie schlafen gehen? Dass sie noch einen hilflosen Gefangenen gefoltert haben, bis sie ihn zum Krüppel machten? Dass sie diesen jungen Mann grausam schlugen, der am Ende wegen verhältnismäßig geringfügiger Vergehen verurteilt wurde? Und wo bleibt das Oberste Gericht, das 1999 genau diese Liste von Foltern verbot, die Lo’ai Sati Ashkqar, 30 Jahre alt und frisch verheiratet, in der Haftanstalt Kishon durchlebte? Ashqar ist nicht der einzige. Das “Öffentliche Komitee gegen Folter” hat gerade eine neue Broschüre mit den Aussagen von acht anderen Folteropfern veröffentlicht. www.stoptorture.org.il (Englisch) “Weite Kreise von kollaborierenden Geheimnisträgern schützen mit ihrem Schweigen das Foltersystemdes Shabak = israelischer Geheimdienst”, schreiben die Autoren am Ende dieses erschütternden Berichts. An der Wand hängt die wunderschöne Zeichnung eines kauernden Gefangenen, den Kopf zwischen die Knie gebettet, mit der Inschrift: “Ich bin in der Dunkelheit des Gefängnisses, lebe von der Erinnerung an Euch. Weit von Euch entfernt liege ich im Bett, laufe durch Euer Land die ganze Nacht. Gott wird alle Gefangenen befreien, die Starken werden siegen.” Ashqar sitzt in seinem Rollstuhl, sein linkes Bein von oben bis unten von einer Schiene gehalten, sein rechtes Bein zittert non stop. Als er versucht, aufzustehen und sich auf seine Krücken zu stützen, schwankt er und fällt beinah hin. “2004 habe ich geheiratet und dann angefangen, mit Aluminium zu arbeiten, um meinen neuen Haushalt zu bestreiten”, erzählt er. “Am 22.April 2005, um halb drei Uhr morgens, kamen Soldaten, warfen Granaten und riefen, alle Hausbewohner sollten das Haus verlassen. Sie verbanden mir die Augen, mit was auch immer sie das tun und legten mir Handschellen an. Sie brachten mich im Jeep zum Gefängnis, wo mich ein Militärarzt untersuchte. Der sah mich an, keine Operationen gehabt, keine Medikamente einzunehmen, keine Krankheiten. Nochmal nahmen sie mich im Jeep mit, diesmal nach Kishon. ‘Juda, hier kommt einer’, meinte der Wärter und übergab mich an die Verhör-Abteilung. Sie deckten meine Augen ab: ‘Guten Morgen. Ein ausgezeichneter Morgen’. Einer der Verhör-Beamten, Maimon, sagte mir: ‘Ich bin zuständig für deine Akte.’ ‘Welche Akte?’ fragte ich. ‘Der, für die du verhaftet worden bist. Das ist der Major, und der lange, das ist der Kolonel. Das ist Sagiv und das ist Eldad.’ Acht Leute. Sie meinten dann: ‘Wir haben keine Zeit, bald fängt unser Feiertag Pessach an und du musst hier schnell fertig werden.’ ‘Womit?’ ‘Erzähl, was du hast.’ ‘Ich habe nichts zu erzählen. Ich habe geheiratet.’ Sie sagten: ‘Den ganzen Blödsinn kennen wir schon. Wir meinen von wegen Sicherheit. Pläne für Anschläge an den Feiertagen.’ Ich darauf: ‘Ich weiß nicht, wovon hier die Rede ist.’ Sie wieder: ‘Der Selbstmordattentäter war bei dir.’ ‘Welcher Selbstmordattentäter?’ “Nach zwei Stunden Reden meinten sie: ‘Wenn du nicht alles sagst, was du hast, dann müssen wir es eben anders machen. Schon von Verhör beim Militär gehört? Vielleicht kommst du hier als Krüppel raus, oder gelähmt.’ Dann brachten sie mich zum Verhör beim Militär. ‘Hier wirst Du beten, dass du stirbst’, meinten sie. ‘In den Genuss lassen wir dich aber nicht kommen. Wir lassen dich erst sterben, nachdem du ausgepackt hast, was wir hören wollen.’ Man gab mir Gefangenenkluft und ich sagte, wenn ich sterben soll, dann täte ich das lieber in meinen eigenen Kleidern. “Sie setzten mich auf einen quadratischen Hocker, der am Boden festgebunden war, mit scharfen Metallkanten. Die Füße banden sie mit Metall-Handschellen an die Beine des Hockers, und meine Hände mit Metall-Handschellen hinter den Rücken. Einer der Verhörenden saß vor mir und einer hinter mir. Der vor mir sagte: ‘Jetzt wird ein bisschen Sport getrieben, damit du das Verhör beim Militär auch durchhältst.’ Der Sport war: Sie stießen mich in die Brust zur Rolle rückwärts, und ich hielt mich, damit meine Knochen nicht brechen. Nach ein oder zwei Minuten fiel ich automatisch auf den Boden. Dann setzte der Mann hinter mir seinen Fuß auf meine Brust und drückte, und der vor mir nahm meine Hände und zog und zog sie hinter den Hocker. Sie fuhren damit fort bis ich nichts mehr wahrnahm, nur noch Hitze am ganzen Körper, ich erbreche alles, was ich im Magen habe, das Erbrochene fließt mir in die Nase. Als sie mir Wasser aufs Gesicht gossen, wurde ich wach. Als ich wach war, ging das ganze von vorne los. 15 oder 20 Mal in der Stunde. “Danach wiesen sie mich an, mich auf meine Zehenspitzen zu hocken, sie ließen mich nicht auf den ganzen Fuß. So saß ich 40 oder 50 Minuten, vielleicht eine Stunde, schätze ich, bis ich fühlte, wie meine Füße anschwellen, sie wurden blau, schmerzten stark. Danach: aufstehen, sie fesselten meine Hände und drückten, so stark sie konnten, bis das Metall sich in meine Handgelenke grub. Hier, man kann die Narben immer noch sehen. Manchmal ließen sich die Handschellen nicht mehr mit dem Schlüssel öffnen, weil sie so verbogen waren, dann brachten sie eine große Metallschere, so eine für Bauarbeiten, rissen die Handschellen ab und brachten neue, um weiter zu machen. Meine Hände wurden blau und wenn die Handschellen ab waren, zitterten sie. Der Verhörende stand auf dem Tisch und zog mich mit einer Kette von Handschellen. Wenn ich hinfiel, zogen sie mich an den Haaren hoch. “Ich weinte, flehte, schrie, und sie antworteten immer wieder, sie könnten nicht aufhören, ‘bis du sagst, was wir hören wollen.’ Ich habe gesagt: ‘Was wollt ihr hören? Sagt, ich bin verantwortlich für den Anschlag aufs Pentagon, ich gebe alles zu, sagt mir nur, was. Ich will nur aufhören mit diesem Sterben. “Es waren immer vier Leute beim Verhör, zwei wurden alle vier Stunden ausgewechselt, Tag und Nacht. Die neuen machten mir klar, dass die vorherigen ‘nur Spaß gemacht haben. Wir sind die Harten.’ So war es auch. Die Neuen fesselten mich und schlugen mich überall. Einer trat mich heftig in die Weichteile und die Beine. Als sie mich ohrfeigten und ich versuchte, auszuweichen, sagte der Major zu mir: ‘Was machst du da. Wenn du dich nach hinten bewegst, brech ich dir die Nase, und wenn du nach vorne gehst, reiße ich dir das Ohr ab. Sei stark und nimm es sportlich, du bist ja ein Soldat und kämpfst.’ Diesen Zahn haben sie zerbrochen.” Plötzlich hört Ashqar auf zu sprechen, er wird blass, sein Gesicht ist bedeckt von Schweißperlen. Sein Vater Sati beeilt sich, das Gesicht des Sohnes mit einem feuchten Handtuch abzuwischen. “Jedes mal wenn ich versuche, mich zu erinnern, wird mir schwindlig, auch wenn ich alleine bin.” Es wird still im Zimmer. Noch einige Minuten wird es dauern, bis Ahqat sich wieder gefangen hat. “Am Freitagmorgen wurde ich verhaftet, und da habe ich für einige Zeit zum letzten Mal Tageslicht gesehen, vor dem Verhör. Montagnacht, oder Dienstagfrüh vor Sonnenaufgang kam ich zum ersten Mal wieder hinaus. An den langen Tagen auf dem Hocker bin ich nicht einmal zur Toilette gegangen. ‘Damit du dich nicht umbringst’, meinten sie. Ich habe mir in die Hosen gemacht. Es fing an, furchtbar zu stinken. Vier Tage lang habe ich auch nichts gegessen. Sie sagten: ‘Wenn wir dir zu essen geben, dann passiert was mit deinem Magen und deinem Darm. Vielleicht explodieren sie unter dem Essensdruck, wenn wir dich nach hinten schubsen. Du trinkst nur ein halbes Glas Salzwasser.’ Sie gaben mir das jedes Mal, wenn sie mich gekrümmt hatten und ich mich erbrach. ‘Warum mit Salz?’ fragte ich. ‘Gebt mir ohne Salz.’ ‘Nein, sonst passiert dir was am Magen und im Darm, dass nichts verklebt.’ Ich habe es getrunken und wieder erbrochen. “Am Montagabend sagten sie, es gäbe fünf Zeugen, die ausgesagt hätten, Lo’ai hat einen Gesuchten im Auto mitgenommen. Darauf sagte ich, es gäbe einen bekannten Gesuchten, Lo’ai Sadi, ich hieße aber Lo’ai Sati, vielleicht hätten sie das verwechselt. Sagt einer: ‘Du sagst also, beim Shabak sind sie so dumm? Bei uns ist alles geplant und stimmt.’ Darauf ich: ‘Verurteilt mich wofür ihr wollt.’ Und er: ‘Auf geht’s, noch mal Sport.’ und stößt mich auf dem Hocker nach hinten. ‘Ich werd dir helfen, du wirst zu einem Kapitel in der Palästinensischen Geschichte.’ Während er mit mir spricht, hängt mein Kopf nach unten. Er tritt mich fest in die Brust. Ich fühlte eine Art Explosion in meinem Körper, als wäre etwas zerbrochen. Danach konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Ich wachte auf und sie gossen mir Wasser ins Gesicht. Wieder stieß er mich rückwärts und wieder verlor ich das Bewusstsein. “Er befahl mir: ‘Stell dich hin.’ Meine Beine fühlten sich kalt an, wie mit Nadeln gefüllt. Ich sagte: ‘Ich kann nicht.’ Er sagte: ‘Jetzt bist du gelähmt.’ Ich sagte: ‘Sieht so aus.’ Er sagte: ‘Wir haben’s dir versprochen und so wolltest du’s.’ “Ich entdeckte an meinem Rücken eine Wunde, Blut lief herunter und ein Knochen stand heraus, wegen der scharfen Kanten am Hocker. Wegen des Bluts und wegen des Urins hatte sich solch ein Gestank entwickelt, dass der verhörende Beamte mir nicht mehr näher kam. Er fragte: ‘Warum stinkst du so?’ ‘Das ist Euer Parfüm.’ sagte ich. Ein Wärter brachte mich zur Dusche, warf mich auf den Boden und meinte: ‘Mach. Zwei Minuten zum Duschen.’ Ich sah zum Wasserhahn über mir und konnte ihn nicht erreichen. Meine Hose konnte ich ausziehen, blieb noch die Unterhose. Ich versuchte, die Unterhose auszuziehen. Vorne gelang es mir, sie herunter zu ziehen, hinten klebte sie am Rücken. Zwei Minuten gingen vorbei und der Wärter klopfte an die Tür. Zeit ist um. Ich bat ihn: ‘Noch zwei Minuten, ich komme nicht an den Wasserhahn.’ Er kam herein und fragte: ‘Was hast du am Rücken?’ ‘Weiß ich nicht.’ Er rief den Verhörleiter an. ‘Schau dir mal den Gefangenen an.’ Der Verhörleiter kam und fragte: ‘Was hast du, Lo’ai?’ Ich antwortete: ‘Ich weiß nicht, was ich am Rücken habe. Ich kann die Unterhose nicht ausziehen und komme nicht an den Wasserhahn.’ Darauf er: ‘Na, dann bringen wir die Geschichte zu Ende und dich zum Arzt.’ “Zwei Wärter brachten mich in einem Fahrzeug des Gefängnisdienstes ins Rambam-Krankenhaus.Krankenhaus in Haifa In der Notaufnahme war ich an Händen und Füßen gefesselt und ein russischer Arzt fragte mich, was mir weh tut. Ich antwortete: ‘Der ganze Körper tut mir weh vom Verhör.’ Darauf der drusische Wärter: ‘Halt den Mund.’ Der Arzt drehte mich um und steckte mir einen Finger in den Hintern. Ich fragte ihn: ‘Was machen Sie da?’ ‘Ich suche nach Hämorrhiden’, ‘Warum fragen Sie mich nicht vorher?’ ‘Ich bin Profi.’ ‘Was ist mit der Wunde am Rücken?’ Er trug eine Salbe auf und klebte einen Verband drüber. Nach 10 Minuten war ich auf dem Rückweg zum Verhör. Wieder fesselten sie mich an den viereckigen Hocker. Der Verband fiel ab und wieder floss Blut. Nach dieser Runde hörte das Verhör beim Militär auf.” Ashqar wurde noch zwei Monate verhört, aber ohne körperliche Folter. Ihm wurde gesagt, seine Frau sei seinetwegen verhaftet worden - eine Erfindung - und er wurde an einen Lügendetektor angeschlossen. Zwei Wochen lang wurde er in eine Zelle mit Informanten verlegt. Am Ende wurde er nur wegen zwei Vergehen verurteilt, nach Akte 2157/05: Unterstützung einer gesuchten Person bei der Flucht und Urkundenfälschung. Kein Ticken und keine Bombe. Ashqar wurde zu 26 Monaten Gefängnis verurteilt und letzten Monat entlassen. Inzwischen ist sein jüngerer Bruder Osaimar verschwunden. Soldaten kamen nach Hause, ihn zu suchen, aber er war nicht da. Seine Familie hat ihn seither nicht gesehen. Er hatte gesagt, er wolle nicht durchmachen, was Lo’ai erlebt hat. Lo’ai Ashkar sucht nun nach einer ärztlichen Behandlung in Israel oder im Ausland, nachdem sein Arzt ihm gesagt hat, dass er in der Westbank nicht in der Lage sein würde, wieder hergestellt zu werden. Sein Anwalt sagte ihm, der Shabak würde ihn sicher davon abhalten, irgendwohin zu gehen.
Originalartikel: The twilight zone / ‘Now you are paralyzed, as we promised’ . FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|