In der Luft, auf See und zu Land - Militär-Hilfe “auf Teufel komm raus”Wüstenfüchse, Tornados und ALADIN beim G8 in HeiligendammVon Johannes Plotzki Zusammengenommen widersprechen die Berichte über die tatsächlich während des G8-Gipfels durchgeführten Einsätze der Bundeswehr zu Land, auf See und in der Luft diametral dem, was die Bundesregierung im Vorfeld hat Glauben machen wollen. Denn fest steht bereits zum jetzigen Erkenntnisstand, dass die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der Polizei wesentlich weiter ging, als dies bei früheren Einsätzen der Fall war. Die grundgesetzliche Trennung von Polizei und Bundeswehr wird in eklatanter Weise aufgeweicht, wenn beispielsweise Bundeswehrsoldaten zur Verkehrsüberwachung eingesetzt werden. Hatte die Bundesregierung noch in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage u.a. der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) am 26.04.2007 verneint, die Bundeswehr an der Sicherung der Strecke zwischen dem Flughafen Rostock-Laage und dem Tagungshotel zu beteiligen, wurde das Gegenteil für jeden sichtbar, der sich während des G8-Gipfels auf der Autobahn (BAB 19) zwischen Rostock und dem Flughafen Rostock-Laage bewegte. Auf den Autobahnbrücken standen gut sichtbar gepanzerte Bundeswehrfahrzeuge. Dabei handelte es sich um den neuen Spähwagen der Bundeswehr, in Anlehnung an den lateinischen Namen des Wüstenfuchs Fennek genannt. In ihrer Antwort bekräftigt die Bundesregierung außerdem, dass "analog zur FIFA-Fußball-WM 2006 - keine Unterstützungskräfte ‘in erster Reihe im Straßenbild’ in Erscheinung treten"Antwort der Bundesregierung (Drucksache 16/5148), 26.04.2007 würden. Für die Bewohnenden der beiden Protestcamps in Reddelich und Wichmannsdorf müssen diese Worte wie ein Hohn klingen, donnerte doch lautstark am 5. Juni nur 110 Meter über ihren Köpfen ein Bundeswehrtornado hinweg. Ziel war es bei diesem und den weiteren Flügen, mittels des RECCE-Systems gestochen scharfe Bilder zu machen. Dass sowohl die eingesetzten Fennek-Spähwägen, als auch die zwei Tornados nicht kurzfristig mal eben so aus dem Hut gezaubert wurden, beweist die Tatsache, dass die am 13. März vom Innenminister Mecklenburg-Vorpommern gestellte Anforderung für die Spähfahrzeuge im Rahmen der sogenannten "technischen Amtshilfe" im beantragten Umfang durch den Bundesminister der Verteidigung am 26. April 2007 grundsätzlich gebilligt wurde. In der auf den 24. April datierten Vorabversion der Antwort der Bundesregierung hieß es allerdings noch "Umfang und Intensität der Unterstützungsleistungen durch die Bundeswehr werden erst zeitnah zum G8-Gipfeltreffen endgültig absehbar sein."Quelle: Spiegel online, 23. Juni 2007 Das bisherige juristische und parlamentarische Nachspiel ist bekannt: Einleitung eines Vordisziplinarverfahrens gegen den Piloten, Fragestunde im Bundestag und der Bericht des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung, Christian Schmidt (CDU/CSU), im Innenausschuss des Bundestages am 20. Juni. Nach den Tornadoflügen sei eine Kommissarin der "Kavala" zur Bundeswehr gekommen und habe sich die benötigten Bilder ausgesucht, vermerkt das Ministerium in seinem Bericht. Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE forderten die Herausgabe aller im Rahmen dieser Einsätze gemachten Bilder. Wurden diese Tornado-Einsätze zwar im Nachgang von Staatssekretär Schmidt in eine Reihe gestellt mit den früheren Einsätzen der AWACS-Aufklärungsflugzeuge, die beispielsweise beim Weltjugendtag, der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr oder eben beim G8-Gipfel "auch geflogen sind",Christian Schmidt im Interview bei N24, 13. Juni 2007 so markiert er trotzdem als erster Einsatz außerhalb von Hochwasserkatastrophen, der Vogelgrippe auf der Insel Rügen oder auch bei der Suche nach vermissten Personen einen weiteren Höhepunkt der Militarisierung der inneren Sicherheit. In seinem Bericht im Innenausschuss zählt Staatssekretär Schmidt die einzelnen Flüge auf und erklärt, dass jeweils auf Bitten der Polizeidirektion Rostock das Aufklärungsgeschwader 51 "Immelmann" aus dem schleswig-holsteinischen Kropp mit der Durchführung der Flüge beauftragt wurde. Die Polizeidirektion Rostock ihrerseits bekam von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala das Amtshilfegesuch des Landes Mecklenburg-Vorpommern an das Wehrbereichskommando 1 ("Küste") am 24. April diesen Jahres übermittelt. Trotzdem berichtete ein Ministeriumsvertreter im Innenausschuss am 23. Mai 2007, dass die Bundeswehr "überwiegend nur Transportaufgaben" übernehmen werde. Bei einer Fragestunde im Plenum war sogar von "ausschließlich Transportaufgaben" die Rede.Der Spiegel, 21. Juni 2007 Laut Staatssekretär Schmidt kam es je zu einem Einsatz beider Tornados am 03. Mai (in Zweier-Formation), am 15. Mai, am 30. Mai und wegen Abbruchs die Wiederholung am 31. Mai, sowie am 5. Juni. Letztgenannte wurde einen Tag zuvor von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala bei dem Aufklärungsgeschwader telefonisch beantragt. Sprach Staatssekretär Schmidt da also noch von insgesamt vier Missionen, hat sich laut "Leipziger Volkszeitung" herausgestellt, dass es sieben Missionen mit möglicherweise bis zu zehn Flügen gegeben habe.Leipziger Volkszeitung, 21.06.2007 Aufgenommen wurden bei den Flügen mal der Aufbau des Camps am Grenzschlachthof Rostock, mal der Zeltlageraufbau in Wichmannsdorf mit angrenzenden Zufahrten, mal das Camp Reddelich, mögliches Blockadematerial in der Nähe einer Autobahnauffahrt, sowie ein Gebäudekomplex mit erhöhtem Fahrzeugaufkommen. Bei einem Rückflug wurde noch ein Areal mit möglichem Blockadematerial fotografiert. Diese Art "technische Amtshilfe" der Bundeswehr kommentiert der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg: "Amtshilfe der Bundeswehr ist immer sehr erfreulich für die Polizei, wenn sie das ausgleicht, wofür der Polizei die Fähigkeiten fehlen. Beispielsweise Luftbilder bei Entführungen oder Geiselnahme. Mit dem Tiefstflug eines Tornado-Jets über Demonstranten hinweg ist die verfassungsrechtliche Grenze eindeutig überschritten worden. Das muss nachprüfbare Konsequenzen haben."Leipziger Volkszeitung, 21.06.2007 Vergleicht man die Abbildungen auf den geschossenen Fotos der mindestens sieben Aufklärungsmissionen mit dem ursprünglichen Amtshilfeersuchen für zwei (!) Aufklärungsmissionen, stellt man fest, dass die militärisch gestützte Aufklärung eine Eigendynamik bekommen zu haben schien, passt doch beispielsweise das Aufspüren von erhöhtem Fahrzeugaufkommen an einem Gebäudekomplex, oder die Feststellung vom Campaufbau nicht zu dem eigentlich formulierten Ziel, nämlich der Erkennung möglicher Erddepots sowie von Manipulationen an wichtigen Straßenzügen im Einsatzraum. Staatssekretär Schmidt informierte auch über den Einsatz von gepanzerten Bundeswehrfahrzeugen des Typs Fennek. Eingesetzt wurden nach Angaben des Staatssekretärs insgesamt 9 Fennek. Die Einsätze im einzelnen waren: 3 Fahrzeuge innerhalb der Sperrzone, zur Überwachung mit Schwerpunkt auf Eindringversuche, bis zu 6 Fennek zeitlich begrenzt zur Überwachung der An- und Abflugrouten an den An- und Abflugtagen, bis zu 5 Fennek am 05. und 06. Juni zur Überwachung der Fahrstrecken der Delegationen auf der A 19 sowie 2 Fennek zeitlich begrenzt zur Lagefeststellung im Umfeld der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern, wo auch Genmais angebaut wird. Zusätzlich habe es ein zehntes Fahrzeug vom Typ Fennek gegeben, das nicht Teil der beantragten Amtshilfe war, sondern koordiniert habe. Die konkreten Aufklärungsanforderungen der Polizei wurden unmittelbar vor Ort mit dem Kompaniechef besprochen. Ebenso wie der Recce-Tornado, wird auch der Fennek von der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt. Für seinen Einsatz im Innern wurde ihm diesmal zwar die Bordkanone demontiert, was seiner Tauglichkeit jedoch keinen Abbruch tut. Die Herstellerfirma Krauss-Maffei Wegmann lobt seinen hervorragenden Einsatz für "Spähaufträge bis weit hinter feindlichen Linien". Denn "in modernen Einsatzszenarien des 21. Jahrhunderts gehören zu seinem Auftrag neben der Beobachtung von gegnerischen Truppenbewegung vor allem die Observation von umkämpften Ortschaften oder Landstrichen, um zeitnah verdächtige Aktivitäten beobachten, melden und überprüfen zu können."Homepage von Krauss-Maffei Wegmann: http://www.kmweg.de/frame.php?page=31 . Die Beobachtungs- und Aufklärungsausstattung (BAA) ist das Herzstück des Spähwagens Fennek. Diese besteht aus einem Sensorkopf, der auf einem ausfahrbaren Stativ montiert ist, und setzt sich aus einer Wärmebildgerät, einer CCD-Kamera mit hoher Auflösung und Zoom-Objektiv, sowie einem RAMAN-Laserentfernungsmesser zusammen. Außerdem sind die Fennek-Fahrzeuge mit einer sogenannten Bodensensorausstattung Ortung und Identifizierung (BSA), sowie der Mini-Drohne ALADIN ausrüstbar. Die BSA wird zur Überwachung von Straßen und Geländepunkten eingesetzt, die vom Wagen nicht einsehbar sind. Sie kann Fahrzeuge entdecken, ihre Anzahl, Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung erkennen und die gängigen Typen der Kampf- und Kampfunterstützungsfahrzeuge identifizieren. Der Spähtrupp soll bis zu sechs Sensoren verlegen können, die ihre Aufklärungsergebnisse bis zu 10 km weit übertragen. Die Mini-Drohne ALADIN vom bayrischen Hersteller EMT startet wie ein Modellflugzeug aus der Hand und hat einen Missionsradios von über fünf Kilometern. Flugführung und Landung erfolgen autonom.Homepage Die Panzeraufklärer im Internet: http://www.pzaufkl.de/ . Inwieweit die Bodensensorausstattung und die Mini-Drohnen auch rund um Heiligendamm eingesetzt wurden, muss noch geklärt werden, auszuschließen ist es keinesfalls. Draußen auf See und drinnen im OP - Überall BundeswehrHatte die Bundesregierung noch in ihrer bereits erwähnten Antwort (Drucksache 16/5148) auf die kleine Anfrage angegeben, dass insgesamt 1100 Soldaten während des G8-Gipfels in Heiligendamm eingesetzt würden, waren es tatsächlich nach einer Aussage des Sprechers im Bundesministerium der Verteidigung, Oberstleutnant Strunk, insgesamt 2100 Soldaten der Bundeswehr, darunter 1000 Soldaten allein mit Sicherungsaufgaben in- und außerhalb militärischer Liegenschaften.Kl. Anfrage (Drucksache 16/5698) von Abgeordneten von DIE LINKE an die Bundesregierung, 14.06.07 Staatssekretär Schmidt gab in seinem Bericht zumindest schon mal zu, dass es insgesamt etwas mehr als 1.300 Soldaten gewesen sein müssen. Dazu gehören auch die Feldjäger, bzw. der so genannte CRC-Zug der Militärpolizei. CRC bedeutet Crowd and Riot Control, also Aufstandsbekämpfung, und die Polizeisoldaten in diesen Zügen sind genau wie die "Robocops" der Polizei ebenfalls mit Schild, Schlagstock und Helm mit Visier ausgerüstet. Ihr bisheriges Einsatzgebiet war der Kosovo, während des G8-Gipfels, laut Spiegel-Blog-Autor Thomas Wiegold, nun auch der Flughafen Rostock-Laage.Thomas Wiegold im Spiegel-Blog: Für die G8-Liste, 22.06.2007 http://blog.focus.de/wiegold/?p=125 . Für die Öffentlichkeit unübersehbar wurde die während der Gipfeltage in Heiligendamm praktizierte zivil-militärische Zusammenarbeit, als im Krankenhaus Bad Doberan der Verwaltungsleiter Uwe Borchmann den Generalmajor Heinz-Georg Keerl durch das Krankenhaus in Bad Doberan führte, um sich "von der guten Zivil-Militärischen Zusammenarbeit"Homepage der Bundeswehr: http://www.streitkraeftebasis.de . zu überzeugen. Diese bestand aus dem Einsatz von Soldaten des Sanitätsregiment 12 aus Fürstenau und vom Lazarettregiment 11 aus Breitenburg zur Unterstützung des zivilen Krankenhauspersonals bei der ambulanten und stationären Patientenversorgung. Laut "Financial Times" war dies "die erste Aktion dieser Art in der Geschichte der Bundeswehr".Financial Times Deutschland, 30.05.2007 Neben dem Krankenhaus waren zudem olivgrüne Zelte und Container des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aufgestellt. Für ihre eigene Unterkunft haben sich die Soldaten ein Feldlager auf einer Wiese bei Bad Doberan eingerichtet. Bei guter Sicht vom Ostseestrand aus erkennbar waren auch die Boote der Marine vor der Küste. Insgesamt von neun Booten und einer Fregatte ist die Rede: Sechs Verkehrsboote als Transportmittel, ein Minenjagdboot für das Absuchen des seeseitigen Sperrgebietes nach Fremdkörpern, ein Minenjagdboot als Plattform für Minentaucher und eine Fregatte als Unterstützung für die Luftwaffe zur Erstellung des Luftlagebildes im Rahmen der Sicherheit im Luftraum.Antwort der Bundesregierung (Drucksache 16/5148), 26.04.2007 Die Boote der Marine brachten dann auch die Journalisten von ihrem Pressezentrum in Kühlungsborn nach Heiligendamm, als dieses durch die massenhaften Blockaden für Stunden auf dem Landweg nicht mehr erreichbar war. Journalisten wurden laut Staatssekretär Schmidt auch im Bundeswehr-Hubschrauber CH 53 von Rostock-Laage nach Heiligendamm und Hohenluckow geflogen. Für den Transport einer Delegation von Berlin-Tegel nach Heiligendamm hat das Auswärtige Amt drei mittlere Transporthubschrauber angefordert und erhalten. In zahlreichen zivilen Stäben der Polizei und des Innenministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern waren Verbindungskommandos der Bundeswehr entsandt. So wurde in den organisatorisch-administrativen Anteil des Stabes der Polizeiführung, der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala ein Verbindungskommando Wehrbereichskommando I "Küste" in Kiel und des Landeskommandos Mecklenburg-Vorpommern mit einer Stärke von fünf Soldaten abgestellt. Ihre Aufgabe war die "Gewährleistung eines reibungslosen Informationsaustausches im Rahmen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit."Antwort der Bundesregierung (Drucksache 16/5148), 26.04.2007 Zwei Verbindungsoffiziere der Marine wurden "zum gegenseitigen Informationsaustausch"ebenda. an den Einsatzabschnitt "Seesicherheit" abgestellt und insgesamt fünf Verbindungskommandos in regionale Katastrophenschutzstäbe entsandt. Ferner konnte die Abstellung eines Verbindungskommandos durch das Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern bei Aktivierung des Interministeriellen Stabes erfolgen und 25 Soldaten hielten sich in der gemeinsamen Flugeinsatzzentrale von Bundeswehr und Polizei als "Beitrag zu Sicherheit im Luftraum auf."ebenda. Dass bei dieser engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bundeswehr auch gerne "auf dem kurzen Dienstweg" gehandelt wurde, bemängelt auch der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold: "Es ist nicht in Ordnung, dass untere Polizeiebenen mit unteren Bundeswehr-Ebenen immer neue Einsätze verabredet haben." Für ihn steht fest, "dass faktisch so getan wurde, als habe es rund um Heiligendamm eine Generalbevollmächtigung für den Einsatz der Bundeswehr gegeben".Leipziger Volkszeitung, 21.06.2007 Afghanistan ist überall, bewegt sich doch die Bundeswehr auch bei ihren Inlandseinsätzen zunehmend fern des Grundgesetzes.
Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2007/024 vom 29.06.2007.
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