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Avraham Burg spricht von Nitroglyzerin

Israel: Ein Insider aus der Elite des Landes stellt die zionistischen Glaubenssätze in Frage


Von Ludwig Watzal

Die politische Elite Israels sieht sich in diesen Tagen einmal mehr in ihrer Auffassung bestärkt, dass Hamas-Islamisten Israel zerstören wollten. Kommt stattdessen die Bedrohung nicht auch aus den eigenen Reihen? Dass es sich um keine abwegige Frage handelt, legt ein Interview mit Avraham Burg, ehemals Sprecher der Knesset und Vorsitzender der Jewish Agency, nahe. Ari Shavit vom liberalen israelischen Blatt Haaretz sprach Mitte des Monats mit Burg über dessen Buch Defeating Hitler und hörte Aussagen, die man sonst nur von “Antizionisten” erwartet.

Der Interviewer Ari Shavit lässt von Anfang an Argwohn und Protest freien Lauf - er sei von Avraham Burg “schockiert”, weil der sich von der gemeinsamen “Israeliness” abwende und sein Buch Defeating Hitler eine “eindimensionale und unsympathische Attacke gegen das israelische Experiment” enthalte.

In der Tat plädiert Burg dafür, Theodor Herzls Zionismus aufzugeben Wenn sich Israel als jüdischen Staat definiere, schreibt er, sei das der “Schlüssel für sein Ende”. Ein jüdischer Staat sei explosiv. “Es ist wie Dynamit.” Selbst einen “jüdisch-demokratischen Staat” hält der Autor für “Nitroglycerin” und möchte das Rückkehrgesetz außer Kraft setzen, das jedem Juden, der nach Israel einwandern will, die israelische Staatsbürgerschaft garantiert. Er halte das Gesetz für “apologetisch” und für “ein Spiegelbild Hitlers. Ich will nicht, dass Hitler meine Identität bestimmt.”

Ari Shavit wirft Burg deshalb vor, mit Defeating Hitler ein anti-israelisches Buch verfasst zu haben. Und Burg antwortet ihm, sein bisheriges Leben sei israelisch geprägt, inzwischen aber reiche ihm das nicht mehr. “Von den drei Identitäten, die mich formen - human, jüdisch und israelisch - fühle ich, dass das israelische Element mich von den beiden andern fernhält.”

Der Interviewer kritisiert Burgs Behauptung, Israel sei ein zionistisches Ghetto, imperialistisch und ein roher Ort, der nur an sich selbst glaube. Dies kontert der Autor mit Erfahrungen aus dem Libanon-Krieg vom Sommer 2006 und der Behandlung des Gaza-Streifens durch die Armee. Den Militärs falle immer nur ein: “Wir werden sie vernichten, wir werden sie auslöschen.” Zur Erklärung lässt er gelten: “Um die Ursache der Gewaltobsession und seine Beseitigung zu verstehen, muss man mit der Angst umgehen. Und der Meta-Angst - die ursprüngliche Angst sind die sechs Millionen Juden, die im Holocaust umgekommen sind.”

Ari Shavit erinnert Avraham Burg im Haaretz-Interview mit Nachdruck an den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, der das Ende Israels angekündigt und versprochen habe, Israel “auszuradieren”. Ahmadinedschad sei zwar nicht Hitler, aber auch keine Fata Morgana, sondern eine reale Gefahr. Burg entgegnet ihm: “Wäre unsere Fähigkeit mit dem Iran umzugehen nicht viel besser, wenn wir in Israel die Fähigkeit des Vertrauens in die Welt erneuern würden? Stattdessen sagen wir, wir vertrauen der Welt nicht, sie wird uns fallen lassen, und hier kehrt wieder der Chamberlain von München zurück mit seinem schwarzen Regenschirm …”

Gewagt erscheint Avraham Burgs Behauptung, Israel sei ein “preußisches Sparta, das mit dem Schwert lebt”. Dieses Gefühl, so der Autor, sei auf die zwölfjährige Naziherrschaft zurückzuführen. Der Trennzaun in der Westbank sei ein Zaun gegen die Paranoia. Er markiere physisch das Ende Europas, er stehe symbolisch für einen “Vorposten Europas” und trenne von den “Barbaren”, wie der römische Limes oder die chinesische Mauer. Im Gegensatz dazu habe gerade Europa die Lektion aus dem Holocaust gelernt und einen enormen Fortschritt in Bezug auf das normative Verhalten von Nationen gemacht. Für ihn sei die Europäische Union eine “biblische Utopie”.

Der Verfasser bekennt sich in seinem Buch zur Tradition des aus Dresden stammenden Vaters Josef Burg, viele Jahre Vorsitzender der National-Religiösen Partei (NRP) und zwischen 1951 bis 1986 mehrfach Innenminister Israels, er war oft seiner Zeit voraus. Für den Sohn gibt es kein israelisches Ganzes - nur ein jüdisches Ganzes. Der Israeli sei ein halber Jude. Das Judentum habe immer Alternativen bereitgehalten. Der strategische Fehler des Zionismus habe ja gerade darin bestanden, diese Alternativen zu beseitigen und lieber auf einen Staat zu setzen, dessen wichtigste Bestandteile aus Illusionen bestünden. “Israeliness besteht nur als Körper; es hat keine Seele. Höchstens Reste einer Seele.” Es könne keine jüdische Existenz ohne einen Narrativ geben. “Folglich gehe ich in die Welt und zum Judentum, weil der Jude der erste Postmodernist und der erste Globalist ist.”

Kein Zweifel, Avraham Burg versteht sich als Weltbürger. Seine Identität, so merkt er an, bestehe aus drei Komponenten: Weltbürger, Jude und danach erst Israeli. Er habe deshalb die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Jeder Israeli, der könne, solle einen fremden Pass erwerben.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 26 vom 29.06.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ludwig Watzal und des Verlags.

Veröffentlicht am

01. Juli 2007

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