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Vorgeschichte

Großengstingen - eine Gemeinde auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb, rund 15 km entfernt von Reutlingen und 20 km von Tübingen. In der dortigen Eberhard-Finckh-Kaserne auf der Haid waren Lance-Kurzstreckenraketen stationiert. Und in einem nahen Wäldchen befand sich das "Sondermunitionslager Golf", in dem Atomsprengköpfe für diese Raketen gelagert wurden. Genauer gesagt, sechs Atomsprengköpfe, jeder mit der doppelten Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Die Reichweite der Lance-Raketen betrug ca. 120 Kilometer. Im Kriegsfall hätten sie an die Front im Osten vorverlegt und auf Ziele in der Tschechoslowakei und Polen abgefeuert werden sollen.

In der Bevölkerung war das Atomwaffenlager kaum bekannt. Doch das war andernorts auch nicht anders. Denn während des Kalten Krieges gab es auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche solcher Lager mit insgesamt 7.000 Atomwaffen - Raketen, Fliegerbomben, Artilleriemunition. Doch bis Anfang der 80er Jahre interessierte sich kaum jemand dafür und ebenso wenig, wo sich die Depots befanden.

Doch dann hat die NATO am 12. Dezember 1979 in Brüssel einen weitreichenden Beschluss gefasst, der als sogenannter "NATO-Doppelbeschluss" in die Geschichte eingehen sollte. Es ging um die atomaren Mittelstreckenraketen in Ost und West, die mit kürzesten Vorwarnzeiten ihre Ziele erreichen konnten, so dass keine Zeit für eine angemessene Lagebeurteilung bleiben würde. Dadurch wuchs die Gefahr enorm an, unversehens in einen europäischen Atomkrieg zu stolpern. In zahlreichen europäischen Ländern fühlten sich die Menschen zutiefst bedroht. Ab 1980 formierte sich in der Bundesrepublik zunehmend massiver Protest, der sich insbesondere gegen die von der NATO angedrohte "Nachrüstung" mit Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles richtete, aber auch gegen den drohenden "Atomtod" allgemein.

Mit zu dem sich steigernden Bedrohungsgefühl trugen zudem Veröffentlichungen bei, in denen auf die rund hundert geheimen Atomwaffendepots in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen wurden, so etwa in dem im Januar 1981 in der Illustrierten Stern erschienenen Artikel "Atomrampe BRD". Dadurch wurde deutlich, dass fast alle Menschen in Deutschland in der Nähe eines Atomwaffenlagers lebten.

Als 1980 einige Menschen aus Tübingen mehr zufällig von den Atomwaffen bei Großengstingen erfuhren, begannen sie Informationen zu sammeln und die Atomraketen zunächst in Tübingen ins Gespräch zu bringen. Angesichts einer sich mehr und mehr gegenüber der atomaren Bedrohung sensibilisierenden Bevölkerung blieb dies in der weiteren Region nicht ohne Wirkung.

An Ostern 1981 fand der erste Ostermarsch zur Kaserne in Großengstingen statt. Über 2.000 Demonstrantinnen und Demonstranten erinnerten die Bürgerinnen und Bürger der umliegenden Ortschaften an die Atomwaffen.

Im Sommer 1981 haben sich dann 13 Menschen einer gewaltfreien Tübinger Aktionsgruppe vor dem Haupttor der Kaserne auf der Haid angekettet, um ein deutliches Zeichen ihrer Betroffenheit durch die Atomwaffen zu setzen. Sie blockierten für 24 Stunden die Einfahrt in die Kaserne, bevor sie von der Polizei losgeschnitten und entfernt wurden. Ein halbes Jahr später standen sie vor Gericht. Die Anklage lautete auf "Nötigung". In erster Instanz wurden sie freigesprochen, in zweiter Instanz aber zu dreißig Tagessätzen Geldstrafe (300 - 800 DM) verurteilt.

(Michael Schmid)

Zum Weiterlesen:

Weiter zum nächsten Kapitel: Eberhard-Finckh-Kaserne, Atomwaffenlager und Lance-Kurzstreckenraketen

 

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Veröffentlicht am

25. Juli 2007

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