Die BlockadeaktionAm 28. Juli 1982 war es dann soweit. Über 750 Menschen kamen aus der gesamten Bundesrepublik - vorwiegend jedoch aus dem Großraum Tübingen/Reutlingen. Sie hatten sich vorher zu über 60 Bezugsgruppen zusammengefunden und ließen sich nun auf fünf Zeltplätzen nieder, die bis zu 15 Kilometer von Engstingen und bis zu 30 Kilometer voneinander entfernt lagen.Bezugsgruppen waren u.a. aus folgenden Städten vertreten: Tübingen (10), Stuttgart (5), Freiburg (5), Berlin (5), Reutlingen (4), Heidelberg (3), Herrenberg (2), Rottenburg (2), Sindelfingen, Göppingen/Geislingen, Bad Urach, Gönningen, Gomaringen, Gammertingen, Villingen, Konstanz, Eichstätt, Nürnberg, München, Karlsruhe, Siegen, Marburg, Gießen, Göttingen, Trier, Mainz, Wesermünde. Die ersten vier Tage dienten dann der Vorbereitung der Aktion, dem Aufbau der Infrastruktur, der Erprobung basisdemokratischer Strukturen mit Entscheidungsverfahren im Konsens und dem Ausprobieren des Sprecherratsmodells. Außerdem wurden Kontakte mit Polizei, Bundeswehr, Presse und der Bevölkerung aufgenommen und versucht, die Örtlichkeiten kennenzulernen. Diese Anlaufphase spielte für den positiven Verlauf eine wichtige Rolle. Am Sonntag, den 1. August 1982, begann dann die eigentliche Aktion. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich auf der Haid. Nach einer kurzen Auftaktkundgebung setzte sich singend ein breiter Zug vorbei an der Kaserne in Richtung Atomwaffenlager in Bewegung. An seiner Spitze gingen ungefähr 60 Menschen, die als erste blockieren wollten. Die Blockade begann um zwölf Uhr und endete eine Woche später, am 8. August 1982 um dreizehn Uhr. Blockiert wurde in Sechsstundenschichten. Die Bezugsgruppen hatten sich alle zwei- bis viermal in einen Blockadeplan eingetragen. Eine Schicht bestand dann aus jeweils sechs Bezugsgruppen, von denen sich drei vor den Haupt- und Nebeneingang setzten, drei in Reserve bereitstanden oder den zurückkehrenden Konvoi blockierten. Acht Tage lang saßen also bei Wind und Wetter, Tag und Nacht rund 60 Menschen vor der Zufahrt des Atomwaffenlagers. Schon am ersten Abend rückte ein großes Polizeiaufgebot zur Räumung an. Die Polizisten kamen ohne Knüppel, Helm und Schild. Sie schienen sich auf die Gewaltfreiheit der blockierenden Menschen zu verlassen. Gegen 21 Uhr erhob der Einsatzleiter drei Mal ultimativ die Forderung, die Zufahrt für einen Transport der Bundeswehr freizumachen. Weil sich niemand erhob, kam der Befehl zur Räumung. Jede und jeder Einzelne wurde weggetragen. Mit einem Bus wurden die Weggetragenen ein Stück weit abtransportiert. Ihre Personalien wurden aufgenommen und für die spätere Anklage wurde ein Foto gemacht. Dann wurden die blockierenden Menschen wieder freigelassen. Auf der Zufahrtsstraße saßen jedoch bereits die nächsten Gruppen. Die Blockade ging weiter wie angekündigt. Die mit soviel Spannung erwarteten Räumungen vollzogen sich schon nach kurzem in einem immer gleich ablaufenden Ritual. In den folgenden sieben Tagen zunächst drei- bis viermal täglich, später dann noch zwei- bis dreimal. Von den insgesamt rund 750 Blockadeteilnehmern wurden 380 vorläufig festgenommen. Dass die Polizei Anzeige wegen Nötigung erstatten würde, daran ließ sie von Anfang an keinen Zweifel. Außer der Blockade des Atomwaffenlagers gab es bei dieser Sommeraktion weitere vielfältige Aktivitäten. So wurden in einer Friedenswoche in den Zeltdörfern mit Workshops, Theater, gegenseitigem Erfahrungsaustausch, Gottesdiensten, Musik und Tanz ein gewaltfreies Zusammenleben bewusst eingeübt und für Besucher ein vielfältiges Programm in einem großen Kulturzelt angeboten. In den umliegenden Ortschaften wurde diskutiert und Straßentheater gespielt. Und schließlich war der 6. August, der Hiroshima-Gedenktag, Anlass für ein Fest auf dem Marktplatz in Reutlingen. Die Aktionswoche endete mit einer gemeinsamen Blockade des Atomwaffenlagers. Über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Aktion sowie zahlreiche Besucher versammelten sich am letzten Tag um die Mittagszeit auf der Zufahrtsstraße. Eine Stunde lang wurde die Straße bemalt, ein Friedensnetz gewoben, gesungen, diskutiert und dann 20 Minuten geschwiegen. In den folgenden drei Tagen werteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den jeweiligen Zeltdörfern ihre Erfahrungen aus. Zudem wurde ein Aufruf entworfen zu regionalen Widerstandsaktionen in der ganzen Bundesrepublik am 12. Dezember 1982, dem 3. Jahrestag des NATO-Doppelbeschlusses. (Michael Schmid) Zum Weiterlesen:
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Fazit der Aktion
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