Fazit der AktionDie Großengstinger Blockadeaktion vom August 1982 stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Friedensbewegung dar, der mit den Massenkundgebungen in Bonn am 10. Oktober 1981 und am 10. Juni 1982, der "Prominentenblockade" in Mutlangen oder der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm vom Oktober 1983 vergleichbar ist. Die mit der Aktion verbundene Ankündigung eines massenhaften gewaltfreien Widerstands gegen die "Nachrüstung" wurde erreicht. Ebenfalls gelang es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf zu lenken, dass damals die Atomwaffen mitten unter uns waren. Es war wohl gerade der insgesamt durchgehaltene gewaltfreie Charakter der Aktion, der es ermöglichte, dass über das eigentliche Anliegen geredet wurde - Verhinderung neuer Atomwaffen und Abrüstung der bestehenden - und nicht über etwaige gewalttätige Ausschreitungen. Soweit beabsichtigt war, durch zivilen Ungehorsam das reibungslose Funktionieren des Militärapparates zu behindern, ist dies nur in bescheidenem Umfang gelungen. Die Bundeswehr konnte ihren Fahrzeugverkehr zwischen Kaserne und Atomwaffenlager weiter durchführen. Allerdings wurde dieser nun auf ein Minimum beschränkt. Von den jeweils rund 30 Menschen, die eine Woche lang die Straße zum Atomwaffenlager blockierten, ging also keine Verhinderungs-, sondern eine Behinderungswirkung aus. Erreicht wurde sicherlich das Aktionsziel, der Friedensbewegung Handlungsalternativen aufzuzeigen, die über das bloße Protestieren und Demonstrieren hinausgehen. Wenn rückblickend die Zeitspanne ab dem NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 als "Appellationsphase" der neuen Friedensbewegung bezeichnet werden kann, da hier Appelle an die Bundesregierung und die Aufklärung der Bevölkerung im Vordergrund standen, so trat diese Bewegung ab 1981 zudem verstärkt in eine "Demonstrationsphase" ein, die vor allem durch die großen Demonstrationen beim Evangelischen Kirchentag am 20. Juni 1981 in Hamburg, und den Massenkundgebungen in Bonn am 10. Oktober 1981 und am 10. Juni 1982 ihren sichtbaren Ausdruck fanden. Insbesondere durch die Blockade in Großengstingen vom Sommer 1982 wurde der Beginn der "Aktionsphase" der Friedensbewegung markiert. Es hatte natürlich schon vorher gewaltfreie Aktionen in der Bundesrepublik gegeben. So etwa 1980 die Besetzung der Bohrstelle 1004 mit der Errichtung der "Freien Republik Wendland", welche die Großengstinger Aktion sowohl bezüglich der Zahl der teilnehmenden Menschen als auch in der Zeitdauer übertraf. Es hatte ebenso zuvor schon gewaltfreie direkte Friedensaktionen gegeben, u.a. die Blockadeaktion der Großengstinger Kaserneneinfahrt im Jahr 1981. Doch mit der Blockade des Atomwaffenlagers bei Großengstingen im Sommer 1982 hatte die gewaltfreie Aktion in der Bundesrepublik eine neue Qualität erreicht. Diese zeichnete sich insbesondere durch ihre sorgfältige Vorbereitung und Organisation aus. Dadurch wurde möglich, was zum Wesentlichsten dieser Aktion gehörte und was Ausstrahlung auf den weiteren Verlauf der Friedensbewegung nehmen sollte: die verblüffende Erfahrung, dass 750 Menschen trotz unterschiedlicher Erfahrungen gemeinsam so eine Blockade durchführen konnten, miteinander gelernt haben, gemeinsam zu entscheiden und dabei auf "Macher" zu verzichten. Solche und weitere bei der Großengstinger Aktion angestoßenen Bewusstseinsprozesse und Handlungsänderungen spielten für die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser gewaltfreien Aktion eine Rolle. Viele von ihnen engagierten sich anschließend an ihren jeweiligen Wohnorten in der einen oder anderen Form weiter und brachten dabei ihre Großengstinger Erfahrungen des Sommers 1982 in die örtlichen Friedensinitiativen ein. Zudem hatte diese Aktion einen ansteckenden Vorbildcharakter auf viele andere Menschen. In den nachfolgenden Jahren konnte die Friedensbewegung jedenfalls weiter an diese Aktion und den darin gemachten Erfahrungen anknüpfen. (Michael Schmid)
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Das juristische Nachspiel
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