Das juristische NachspielZu einem wichtigen Teil der Aktion wurde das juristische Nachspiel der ersten großen Blockade eines Atomwaffenlagers in der Bundesrepublik. Nach den Festnahmen durch die Polizei und den Anzeigen wegen "Nötigung" wurden 365 Menschen mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft überzogen. Gegen 59 davon wurde das Verfahren eingestellt, weil es sich um Jugendliche und Heranwachsende handelte. Mehr als 300 Menschen bekamen von der Justiz Strafbefehle zwischen 400 und 2000 Mark wegen "Nötigung". Da fast alle Betroffenen Widerspruch einlegten, bekamen sie eine Ladung zu einer Gerichtsverhandlung im kleinen Amtsgericht der Nachbarstadt Münsingen. Dort stand eine jahrelange Prozesswelle an. Amtsrichter Thomas Rainer bestätigte die Strafbefehle ausnahmslos und verurteilte die Angeklagten. In den 80er Jahren wurden in Deutschland Tausende aufgrund ihrer Teilnahme an dieser Sitzblockade und ähnlicher Aktionen vor atomaren Massenvernichtungsstellungen verurteilt, weil ein Teil der Strafjustiz genau in der Anwendung dieser friedlichen Aktionsform "Nötigung" nach § 240 Strafgesetzbuch durch "verwerfliche Gewalt" gegen Panzer-, Raketentransport- und sonstige Militär- und Atommüllfahrer sah. Jahrelang wurden in insgesamt rund 10.000 Verfahren Menschen aller Alters- und Berufsgruppen wie am Fließband verurteilt. Geldstrafen wurden fällig, viele Menschen gingen für ihre "Taten" ins Gefängnis. Dass für die Menschen, die an diesen Aktionen teilnahmen, die Kriminalisierung des Protests einen dramatischen Hinweis auf die atomare Bedrohung darstellte, wurde aber von manchen Juristen erfasst. Richter Krumhard vom Amtsgericht Schwäbisch Gmünd formulierte das in seinem ersten Freispruch Anfang 1987Am Amtsgericht Schwäbisch Gmünd fanden ab 1984 ca. 2.000 Strafprozesse gegen insgesamt 2.999 bei Blockadeaktionen in Mutlangen Festgenommene statt. Jahrelang wurde wie am Fließband verurteilt. In einer Gerichtsverhandlung am 15. Januar 1987 scherte Richter Krumhard aus dieser Verurteilungsroutine aus: er sprach erstmals einen Angeklagten frei. Dieser erste Freispruch betraf meine Person (Michael Schmid). so: Es sei ein einmaliger Vorgang in der Rechtsgeschichte, "dass nicht nur einige hundert, sondern tausende - in der Regel unbescholtene - Bürger mit weit überwiegend gewichtigen und ernsthaften Argumenten an derartigen Blockaden teilnehmen und wegen ihrer Tat vor Gericht gestellt werden w o l l e n , um den Vorwurf verwerflichen Tuns zu entkräften." 1995 hat das Bundesverfassungsgericht dann entschieden, dass die Bestrafung von Sitzdemonstrationen vor Atomwaffenstellungen verfassungswidrig sei. Damit war 14 Jahre nach Beginn der friedlichen Sitzblockaden gegen die "Nachrüstung" mit jener Rechtsprechung Schluss, die den Gewaltbegriff völlig überdehnte. Dank einer Verfassungsbeschwerde von Demonstrantinnen und Demonstranten übrigens, die für ihre "Blockade" aus dem Jahre 1983 in Großengstingen nach dem Gang durch alle Instanzen nun vom Bundesverfassungsgericht endlich freigesprochen wurden. Auf diese Weise haben die Aktionen der Friedensbewegung in Großengstingen sogar Rechtsgeschichte geschrieben. Folge dieses Urteils war ebenfalls, dass all die in den zurückliegenden Jahren bezahlten Strafen und Gerichtskosten aus der Staatskasse zurückerstattet werden mussten, sofern eine Wiederaufnahme des früheren Strafverfahrens betrieben wurde. So trat auch Geld, das aufgrund der Blockadeaktion vom Sommer 1982 zu Unrecht in die Staatskasse bezahlt werden musste, viele Jahre später seinen Rückweg zu den "Blockierern" wieder an und floss zumindest teilweise in "Friedenskassen". (Michael Schmid)
Weiter zum nächsten Kapitel: Wie es in Großengstingen weiterging
FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|