Wie es in Großengstingen weitergingDer Aufruf am Ende der Großengstinger Sommeraktion fand großen Widerhall: Am 12. Dezember 1982, dem 3. Jahrestag des NATO-Doppelbeschlusses, wurden an ca. 50 Orten in der Bundesrepublik Blockadeaktionen vor Militäranlagen durchgeführt, u.a. auch eine in Großengstingen mit rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. An Ostern 1983 fand wieder
1988 rückten die Kurzstreckenraketen in Großengstingen wieder stärker in den Blickpunkt. Inzwischen hatten Gorbatschow und Reagan im INF-Vertrag die Verschrottung sämtlicher landgestützter atomaren Mittelstreckenwaffen in Ost und West vereinbart und ihr Abzug stand bevor. In der Folgezeit wurde dann von der NATO eine "Modernisierung" ihrer atomaren Kurzstreckenraketen geplant. Um dagegen zu protestieren, wurde im Sommer 1988 ein einwöchiges Friedenscamp in Erpfingen organisiert, von dem aus am 9. August, also am Nagasaki-Gedenktag, wieder eine Blockade des Atomwaffenlagers bei Großengstingen stattfand. Ab diesem Zeitpunkt veranstaltete eine Gruppe von Menschen immer am 9. eines Monats eine Mahnwache am Haupttor der Kaserne. An Ostern 1989 fand wohl die größte Demonstration auf der Schwäbischen Alb überhaupt statt. Am 27. März 1989 war Großengstingen der zentrale Veranstaltungsort der traditionellen Ostermärsche in Baden-Württemberg. Selbst nach Schätzungen der Polizei versammelten sich auf dem Rathausplatz mehr als 6.000 Menschen.
(Michael Schmid)
Zum Weiterlesen: Eine Friedenstaube wird verspeist. Proteste gegen Atomwaffen - Süddeutsche Zeitung vom 13.12.1982 (PDF-Datei, 184 KB) Sich abarbeiten am Frieden und am Waldesrand - Beobachtungen beim Friedenscamp von Großengstingen auf der Schwäbischen Alb - Frankfurter Rundschau vom 30.07.1983 (PDF-Datei, 159 KB) "Eingeschlafenen" Widerstand wecken - Reutlinger Generalanzeiger vom 10.08.1988 über Blockadeaktion (PDF-Datei, 616 KB)
"Schwerter zu Pflugscharen": Abzug der Militärs, Aufbau eines GewerbeparksDoch es folgten ebenfalls die gewaltlosen Aufstände in den osteuropäischen Staaten, das Ende des Kalten Krieges, der Zerfall des Warschauer Paktes, der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und die deutsche Wiedervereinigung. Das Hauptverdienst an dieser Entwicklung kommt zweifellos Michael Gorbatschow zu. Doch die Friedensbewegung hatte für die friedliche Beilegung des Kalten Krieges einen entscheidenden Beitrag geleistet. Gorbatschow wäre ohne die Friedensbewegung wohl kaum zum Generalsekretär der KPdSU gewählt worden. Georgi Arbatow, ehemaliger Nordamerika-Experte des Kreml und Gorbatschow-Berater, sagte 1986 auf einer Tagung in Washington: "Die Friedensbewegung war ein Ausdruck des Bewusstseinswandels, der sich in der westdeutschen Bevölkerung abgespielt hat. Das war ein Faktor für unsere Entscheidung, Michail Gorbatschow als Verfechter eines dezidierten Entspannungskurses zum Generalsekretär zu wählen."Wilhelm Bitdorf, "Giftgas ging, Unrecht bleibt" in: Spiegel 44/1990, S. 75 Als die Bundeswehr nach der Überwindung des Ost-West-Konfliktes und im Zuge des vereinten Deutschlands Standorte zu schließen begann, stand Großengstingen gleich mit ganz oben auf der Streichungsliste. Als ein wesentliches Kriterium dafür wurden die zahlreichen Protestaktionen in den Jahren zuvor genannt. 1993 war dann endgültig Schluss mit dem Militärstandort Großengstingen.
Nach Beendigung des Kalten Krieges fühlen sich die meisten von uns nicht mehr von einem Atomkrieg bedroht. Auch wenn die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den ehemaligen Supermächten tatsächlich erheblich gesunken ist, so gibt es trotzdem durch die Aufrechterhaltung der ständigen Alarmbereitschaft für etwa 3.500 Atomwaffen in den USA und Russland ein "Restrisiko". Wenn diese Atomraketen auf Grund eines Fehlalarms gestartet werden, könnten sie sowohl die USA und Russland vernichten als auch das Leben auf der Erde insgesamt ernsthaft bedrohen. Auch die Gefahr eines regionalen Atomkrieges ist durch die Weiterverbreitung der Atomwaffen größer geworden. Aus Deutschland wurden zwischenzeitlich fast alle Atomwaffen abgezogen. Aber auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz sind wohl als letztem Atomwaffenstandort in Deutschland derzeit immer noch ca. 20 taktische Atomwaffen stationiert, die der NATO zur Verfügung stehen. Jede einzelne dieser Atomwaffen hat die Zerstörungskraft von mehreren Hiroshima-Bomben. Es gibt genügend Gründe, sich weiter für atomare Abrüstung und eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen. Zum Beispiel durch Beteiligung an der Kampagne "unsere zukunft - atomwaffenfrei" . Oder bei der internationalen Nichtregierungsorganisation "Mayors for Peace" (Bürgermeister für den Frieden), die 2003 die Kampagne "2020 Vision" (zu deutsch: atomwaffenfrei bis 2020) gestartet haben. Erfreulicherweise ist seit 2004 auch der Bürgermeister des früheren Atomraketenstandorts Engstingen, Klaus-Peter Kleiner, Mitglied dieser Organisation.
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